Duisburg. Wegen eines türkischen Haftbefehls saß Ismet Kilic in Slowenien im Gefängnis. Zum ersten Mal spricht er über seine Erlebnisse hinter Gittern.

82 Tage saß Ismet Kilic aus Duisburg in einem slowenischen Gefängnis. Jedes Mal, wenn Ehefrau Nurgül Kilic in dieser langen Zeit zu ihrem Mann gefragt wurde, lautete eine der ersten Fragen: „Wie geht es Ismet?“. Sie war in dieser Zeit sein Sprachrohr, durfte täglich zehn Minuten mit ihm telefonieren. Jetzt kann der 54-Jährige erstmals selbst antworten: „Mir geht es gut, doch die Zeit im Gefängnis hat Spuren hinterlassen.“

Seit Donnerstag ist Ismet Kilic zurück in Duisburg. Während er in seiner Haftzeit sehnsüchtig an seine Frau und Kinder zuhause dachte, kehrt er nun in Gedanken immer wieder ins Gefängnis zurück. „Ich bin noch nicht ganz voll hier. Man kann das Erlebte nicht sofort vergessen. Ich werde in der Nacht wach und denke, ich bin noch immer in U-Haft.“

Kilic zum Moment der Entlassung: „Du bist ein freier Mann“

Erst einen Tag vor der Entlassung erhielt Kilic die überraschende Mitteilung. „Ich wurde vom Wärter rausgerufen und er sagte mir: Du bist ein freier Mann. Du kannst deine Sachen einpacken“, beschreibt der Duisburger den erlösenden Moment.

Per Telefon informiert er seine Frau. „Sofort bin ich mit einem Freund losgefahren“, sagt Nurgül Kilic. Die Strecke von über 1200 Kilometern legen sie mit dem Auto ohne Übernachtung zurück. So schnell wie möglich möchte Ismet Kilic seine Frau in die Arme schließen.

Zelle mit zwei Häftlingen geteilt

In Freiheit wird er von zahlreichen Reizen überflutet. Der Verkehr, die Menschen um einen herum – nach Wochen der weitestgehenden Isolation, fallen die ersten Schritte schwer. „Es war zu laut“, erinnert sich Kilic, der im Gespräch nachdenklich und noch angeschlagen wirkt.

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Für den Duisburger beschränkte sich das Leben auf das, was sich hinter den dicken Gefängnismauern abspielte. Der einzige Überfluss: Zeit. „Ich habe viel gelesen.“ Vier bis fünf Stunden am Tag wälzt er Bücher. Durch ein kleines Fenster fällt etwas Licht in die Zelle, die er sich die letzten 30 Tage mit zwei Häftlingen geteilt hatte. „Die Zelle war etwa 16 Quadratmeter groß.“

Telefonate mit der Ehefrau geben Ismet Kilic Kraft

Zwei Stunden am Tag dürfen die Häftlinge auf den Innenhof. Die restliche Zeit verbringt Kilic fast ausnahmslos in der Zelle. Vor allem Schlafen fällt schwer. „Man denkt nur nach“, an die Heimat etwa. „Man vermisst alles, was einem entzogen wurde. Autofahren, Zeit mit den Kindern – selbst Streit habe ich vermisst“, sagt Kilic und lacht.

Jedes Geräusch nimmt er in der Haft wahr. Wenn sich die Wärter unterhalten oder die schweren Stahltüren der Zellen ins Schloss fallen. „Manchmal haben Häftlinge geschrien.“ Von der Welt draußen hört er stattdessen nichts. Ausgenommen die zehn kostbaren Telefonminuten täglich mit seiner Frau. „Die haben mir viel Kraft gegeben. Ich habe jeden Tag darauf gewartet.“

„Man verliert den Glauben an die Gerechtigkeit“

Worüber spricht das Paar in dieser Zeit? „Wir haben wenig über den Alltag und wenig über Emotionales gesprochen“, sagt Nurgül Kilic. Vielmehr nutzt seine Ehefrau die Zeit, um Kilic über den aktuellen Stand zu informieren. Oder etwa von der Welle der Hilfsbereitschaft, die angerollt ist, als seine Festnahme publik wurde. Viele Politiker hatten sich solidarisch erklärt. „Ich wollte ihm das Gefühl geben – du bist nicht alleine“, sagt die Sozialpädagogin.

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Während seiner Haftzeit habe Kilic nie die Hoffnung aufgegeben, entlassen zu werden – und trotzdem macht das Paar deutlich: „Man verliert den Glauben an die Gerechtigkeit.“ Vom Auswärtigen Amt fühlt sich die Familie im Stich gelassen. Zu lange habe sich der Entlassungsprozess hingezogen. Zu viele Lebenstage wurden ihm in der Haft gestohlen.

>>> Ein Blick zurück: Gründe der Verhaftung

Bei der Urlaubsrückreise wird Kilic im Juli an der slowenischen Grenze verhaftet und die Familie auseinandergerissen. Auf Ersuchen der türkischen Regierung sollte der Duisburger ausgeliefert werden, um eine siebeneinhalb Jahre lange Haftstrafe abzusitzen.

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Die türkische Justiz wirft ihm vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein. Ein beliebter Vorwurf, um Kritiker in der Türkei mundtot zu machen und wegsperren zu können. Kilic hatte mit anderen Mitstreitern in der Türkei eine Gewerkschaft gegründet und sich für Menschenrechte eingesetzt. „Er hat sein Land geliebt“, sagt Nurgül Kilic.

1997 kam Kilic als politischer Flüchtling nach Deutschland. 22 Jahre später holte ihn seine Vergangenheit wieder ein. „So etwas darf niemandem mehr passieren“, sagt Nurgül Kilic. Nun ist Ismet Kilic frei, für eine Auslieferung gebe es keine rechtliche Grundlage. Die Akte sei aber auch nach der Freilassung weiter in Bearbeitung.