Duisburg. Der Historiker Jörg-Philipp Thomsa seziert in seinem Buch die Duisburger Kulturpolitik der vergangenen Jahrzehnte. Ein lesenswerter Verriss.
Die Kulturpolitik nach 1945 wurde „allen öffentlichen Bekundungen zum Trotz weiterhin vor allem für die Bürger der Stadt, nicht für die Arbeiter gestaltet“. Zu diesem Ergebnis kommt der Historiker Jörg-Philipp Thomsa in seiner als Buch veröffentlichten Dissertation „Duisburg 1945 – 2005. Kulturpolitik in einer Industrie- und Arbeiterstadt“, das der an der Universität Duisburg-Essen studierte Wissenschaftler jetzt gemeinsam mit dem Schriftsteller Feridun Zaimoglu in der Stadtbibliothek vorstellte.
Über fast 300 Seiten ist dem jungen Autoren nach aufwändigen Recherchen eine detaillierte und kritische Analyse einer auch in den späten Jahren vorwiegend an der Hochkultur von Oper und etablierter Kunst orientierten Kulturpolitik gelungen. Diese sei an einer jungen und experimentellen Kultur-Szene weitgehend nicht interessiert gewesen. Die Konfrontation der Arbeiterschaft anlässlich der Duisburger Akzente mit Goethe-Texten in der Kneipe sorgte eher für frustrierende Resultate. Es begegneten sich komplett unterschiedliche Bildungs- und Lebenswelten.
Kulturpolitik und ihre Auswirkungen untersucht
Akribisch beschreibt Jörg-Philipp Thomsa die Wiedererrichtung der Duisburger Kulturinstitute in einer vom Krieg zerstörten Stadt, deren Politik von der SPD und ihrem Oberbürgermeister August Seeling dominiert wurde, einem Vertreter der Hochkultur, der das Kulturleben der Stadt bis 1969 prägte. Thomsa zitiert den deutschen Schriftsteller Erik Reger (1893-1954), der feststellte, dass Kulturpolitik im Ruhrgebiet von einer kleinen Gruppe „schöngeistiger Herren und Damen“ betrieben wird, die „aus persönlichem Geltungsbedürfnis“ im fieberhaften Bemühen um Großstadtqualitäten den längst verblichenen Moden der Metropolen nachjagen. Erstmals ist es mit Thomsa einem Historiker gelungen, die Duisburger Kulturpolitik und ihre Auswirkungen auf die Oper, auf das Orchester, auf die Stadtbibliothek, auf die IKiBu, auf die Duisburger Akzente, auf das Stadthistorische Museum, auf die großen Musik-Festivals, aber auch auf das geliebte und ungeliebte Zentrum Eschhaus kompetent zu hinterfragen. Auch die städtischen Künstlerhäuser und nicht zuletzt die für die ehemalige Stadt Montan so wichtigen Projekte der Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA) werden bei Lichte betrachtet.
Auch der Abriss der denkmalgeschützten und akustisch hochkarätigen Mercatorhalle und der kostspielige Skandal um die neue Konzerthalle stehen auf der städtischen Fehler-Liste. Vor allem die zunächst von den meisten Politikern in den 80er Jahren ignorierten Pläne zur Restauration alter Industriekultur-Denkmäler wie Landschaftspark oder Innenhafen seien für Duisburgs Kultur von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Dabei ist der Autor gleichzeitig Historiker, Soziologe und Politikwissenschaftler, aber auch Journalist und Interviewer von Zeitzeugen und Experten. Zu den maßgeblichen Vertretern einer illustren Hochkultur gehörte Duisburgs Kulturdezernent Dr. Konrad Schilling, der zwar mit seinen Aktivitäten durchaus für kulturellen Glanz sorgte, der aber die ohnehin in Duisburg im Gegensatz zu traditionellen Universitäts-Städten kaum vorhandene junge Kultur-Szene nie so richtig ernst nahm.
„Verpasste Chancen“
Unter der Rubrik „Verpasste Chancen“ behandelt Thomsa Lothar-Günther Buchheims „Museum über den Wolken“. Das Ansinnen, seine über 200 Millionen DM schwere Expressionisten-Sammlung in einem neuen Anbau des Museums zu zeigen, scheiterte im erbitterten Streit zwischen dem nur schwer erträglichen Sammler und den finanziell klammen Stadtoberen, die für das Renommier-Projekt die Bremse zogen. Umfangreich sind auch die Beiträge über das direkt nach dem Krieg vieldiskutierte Schauspiel für Duisburg, das es trotz aller Bemühungen niemals bekommen sollte. Mit dem „Studio M“ neben der Mercatorhalle gab es dann 1971 doch noch ein kleines Theater für eher kritische und experimentelle Aufführungen, das aber unter erheblichem Publikumsverlust litt und schließlich als Theater keine Funktion mehr hatte. Was beispielhaft deutlich machte, das trotz aller Debatten um eine junge Kultur-Szene sich das Interesse an eher progressiven Beiträgen in Duisburg schon immer schwer in Grenzen hielt.
Der Autor beschreibt dann sehr detailliert die Geschichte der Stadtbibliothek, die zunächst bundesweit einen guten Ruf hatte, dann aber infolge des Strukturwandels in der Stadt im Rathaus zur beliebten Verfügungsmasse der Sparpolitiker wurde, die mit der Schließung von Bücherbussen die Sparkommissare befriedigen wollten, und irgendwann noch nicht mal mehr einen Etat zum Erwerb neuer Bücher mehr hatte. Dass die Stadtbibliothek – auch in den Stadtteilen – bei der Arbeiterschaft und bei Migranten und ihren Familien sehr beliebt und auch bildungspolitisch wichtig war, dies betont Thomsa mit Nachdruck: „Durch die Aufgabe zahlreicher Stadtbibliotheken wurde der Trend zur Verödung der Stadtteilen weiter beschleunigt.“ Diejenigen, die den Bücherbus wegsparten, sägten sich dann den eigenen kulturpolitischen Ast ab.
Erfolge dank persönlichen Engagements
Thomsa vergisst auch das Duisburger Filmforum nicht, für das sich Oberbürgermeister Josef Krings damals trotz Widerstände - eigentlich sollte am Dellplatz eine Groß-Sporthalle entstehen – einsetzte. Zunächst im Studio M, das dann als Kino zu klein wurde, erhielt das inzwischen von vielen Duisburgern innig geliebte Programm-Kino einen neuen Saal in einem alten Gemäuer am Dellplatz. Was beweist, dass viele erfolgreiche Projekte in Duisburg Ergebnisse eines starken persönlichen Engagements auch schon mal gegen die eigene Partei oder gegen die Verwaltung sind. Thomsa kommt zu einer ernüchternden Bilanz: „Ohne die IBA würde das Gesamturteil über die Kulturpolitik in Duisburg wenig schmeichelhaft ausfallen. Dass Kulturpolitik sich an repräsentativen Zwecken orientieren muss, ist verständlich. Aber dass über einen Zeitraum von 60 Jahren die Interessen und Bedürfnisse der Einwohner Duisburgs beim Theater, der Stadtbibliothek, den Musikfesten, in der Museumspolitik, der Soziokultur oder in der Auswahl des Musicals Les Miserables eklatant missachtet wurden, verwundert.“
Thomsa hat ein grandioses Buch geschrieben, das man allen Kulturpolitikern als Lesepflichtlektüre empfehlen sollte. Thomsa: „Die führenden Duisburger Kulturpolitiker haben die Seele der Stadt nie begriffen.“
Jörg-Philipp Thomsa. Duisburg 1945 – 2005. Kulturpolitik in einer Industrie- und Arbeiterstadt. Klartext-Verlag. 290 Seiten. 24,95 Euro.