Ruhrort. Seit einem Jahr treffen sich Geiger, Flötisten, Banjospieler und Zuhörer im „Anker“ zu Jam-Sessions. Eine Atmosphäre wie im irischen Pub: Toll!

Die Anwohner des Ruhrorter Neumarktes kennen das schon: an jeden zweiten Dienstag im Monat steht die schöne Einrichtung des Cafés „Zum Anker“ im Schutz des alten Bunkers auf der Straße. Der Wirt Rainer Schmitz und seine Geschäftspartnerin Doro Tönges brauchen Platz, denn zur Irish Folk Session wird es gewöhnlich proppenvoll im Anker. Die Fenster am Traditionslokal stehen offen, auf der Außenterrasse plaudern die Gäste bei Flammkuchen und Aperol. Drinnen sitzen zwölf Musiker um einen großen Tisch und spielen sich und ihr Publikum auf die grüne Insel.

Monatlich finden sich, wie in den Pubs in Irland, Musiker am Stammtisch ein. Dabei gehören Tin-Whistle, Fiddle und die Bodhrán als traditionelle Instrumente ebenso dazu, wie Gitarre, Akkordeon oder Drehleier und Gesangsstimmen.
Monatlich finden sich, wie in den Pubs in Irland, Musiker am Stammtisch ein. Dabei gehören Tin-Whistle, Fiddle und die Bodhrán als traditionelle Instrumente ebenso dazu, wie Gitarre, Akkordeon oder Drehleier und Gesangsstimmen. © Foto: DANIEL ELKE / FUNKE Foto Services

Die Gäste hocken eng beieinander auf den platzsparenden Biertischgarnituren und klopfen den Takt auf die Tische, dass die Gläser hüpfen. Der Musiker Holger „Mick“ Haering, der vor einem Jahr mit der Session-Idee den Anker-Chef ansteckte, ist glücklich. „Ich wollte immer in einer Gegend wohnen, wo abends in den Kneipen Sessions gespielt werden“, sagt er. Vor einigen Jahren ist er vom Niederrhein nach Laar gezogen, wohnt mit Blick über den Deich. Dass man im Ruhrgebiet alles selber machen muss, einschließlich der Landschaft, weiß nicht nur Kabarettist Frank Goosen. Mick Haering kannte die nötigen Flötisten, Geigerinnen, Trommler, Banjospieler, Gitarristen und Lautenschläger für Folkabende im Kreise netter Menschen schon lange. „Es gibt eine große Irish-Folk-Szene und wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft“, sagt er. Er selber reist jedes Jahr mit seiner Gitarre nach Irland und tingelt durch die Pubs. So einen Ort für Musik und Geschichten wollte er auch da, wo er zu Fuß nach Hause gehen kann. „Wir sperren uns hier prinzipiell gegen gar nix“, sagte Reiner Schmitz zu der Idee, seine Kombüse jeden Monat einmal mit handgemachter Musik aus keltischer Tradition zu beschallen. Und die Idee schlug sofort ein.

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Wer kommt und sein Instrument mitbringt, der darf mitspielen. Solange er das Tempo mithalten kann. Bei einem der schnellen Tänze fliegen die Finger, die Tinwhistle steigt atemlos aus und befeuchtet erst mal die Kehle, die Geige hat zwar „Whiskey in the jar“ auf dem grünen T-Shirt stehen, trinkt aber schon den dritten Pfefferminztee. Zum Runterkommen spielt die Querflöte solo eine langsame, klagende Ballade. Danach hat sich die Flötistin ein dickes Eis mit Schokoladenüberzug von der Eis-Theke verdient. Mick zeigt ihr quer über den Tisch ohne aus dem Takt zu geraten, wo noch Schoki in ihrem Mundwinkel sitzt, bevor sie wieder die Flöte hebt. Die Banjos treiben den Rhythmus, die Folk-Fans singen mit. Bei „Dirty Old Town“ steigen alle ein.

Es scheint keiner im Lokal zu sein, der noch nie seine große Liebe im Schatten einer Fabrikwand geküsst hat, in einer schmutzigen, alten Stadt. „Die spielen einfach immer weiter, bis wir sie vor die Tür setzen“, freut sich Doro Tönges, „am längsten bleibt immer der Thomas, der spielt uns dann noch einen Wiedereinräum-Blues“.