Duisburg. In Duisburg gibt es „Urwälder“, in denen die Natur sich selbst überlassen wird. Stadtförster Axel Freude zur Bedeutung dieser besonderen Zonen.

Schon nach wenigen Schritten fällt auf, dass sich jenseits des Weidezauns die Vegetation sichtbar verändert. Hier stehen mannshohe Farne, dort versperren Brennnesseln und Brombeersträucher ein Weiterkommen in Richtung Haubachsee. Das Auffälligste: Die Zahl der Bäume ist hier deutlich höher. Sie stehen dicht an dicht nebeneinander. Diese Nähe und Enge verhindert, dass alle Exemplare gleichgut gen Himmel wachsen können. Mit der Folge, dass einige absterben und als Totholz auf dem Boden liegend landen. Oder wie Stadtförster Axel Freude es so treffend auf den Punkt bringt: „Hier im Urwald gilt das Recht des Stärkeren.“

Ein großer „Urwald“ rund um den Haubachsee

Ja, in Duisburg gibt es tatsächlich „Urwald“. Und zwar reichlich: Bei über 87 Hektar des städtischen Waldes handelt es sich um so genannte Referenzflächen. Hier greift der Mensch – in Person des Stadtförsters und des Teams vom Amt für Umwelt und Grün – nicht direkt in die Natur ein. Sie wird sich dort selbst überlassen. Einer der größten „Urwälder“ mit über 30 Hektar Fläche ist rund um das Ufer des Haubachsees zu finden. Dieser ist Teil der Sechs-Seen-Platte in Wedau und wurde im Jahr 2001 als letztes der künstlichen Gewässer fertiggestellt. Ab 2004 wurden dann die Referenzflächen ausgewählt und angelegt. Bei insgesamt 1500 Hektar städtischer Waldfläche beträgt der „Urwald“-Anteil in Duisburg heute inzwischen um die sechs Prozent.

Die Schilder weisen alle Spaziergänger darauf hin, dass der „Urwald“ rund um den Haubachsee nicht betreten werden soll.
Die Schilder weisen alle Spaziergänger darauf hin, dass der „Urwald“ rund um den Haubachsee nicht betreten werden soll. © Thomas Richter

Um den Unterschied zum normalen Waldgebiet für Spaziergänger, Hundebesitzer und sonstige Seebesucher sofort klar zu machen, sind weite Teile des „Urwaldes“ von besagten Weidezäunen umgeben. Grün-weiße Schilder mit der Aufschrift „Bitte nicht betreten“ sind an mehreren neuralgischen Punkten aufgestellt. „Und die meisten halten sich auch an diese Vorgabe“, weiß Stadtförster Freude. Natürlich gebe es immer mal wieder einen Angler oder Wildgriller, den er bei Kontrollgängen auch in diesen Bereichen antrifft. Doch meistens kann sich der „Urwald“ wie gewünscht und erhofft frei von jeder Menscheneinwirkung entwickeln.

Erhöhter Pilz- und Insektenbestand durch mehr Totholz

Manche Veränderungen werden schon nach einigen Jahren sichtbar. „Weil es hier mehr Totholz gibt, wirkt sich das automatisch auch sofort positiv auf die Pilz- und Insektenbestände aus“, weiß Freude. Auch die Tierwelt weiß die Abwesenheit des Menschen und die damit verbundene Ruhe zu schätzen. So finden zahlreiche Fledermausarten, aber auch Siebenschläfer mehr Schlaf- und Vermehrungsquartiere. Immer wieder stößt er auch auf einen Dachsbau. „Und vor einigen Jahren hatte sich hier im Urwald am Haubachsee sogar ein Baumfalken-Brutpaar angesiedelt“, berichtet Freude.

Formal handelt es sich bei den Urwäldern um ein Landschaftsschutzgebiet. Stadtförster Freude würde es aber noch lieber sehen, wenn diese Flächen in den Status eines Naturschutzgebietes hochgestuft würden. Seit dem Jahr 2006 gibt es eine entsprechende Zusage der Stadt Duisburg, die sie damals gegenüber mehreren Naturschutzverbänden und dem Beirat der Unteren Naturschutzbehörde gegeben hatte. Darin wurde erklärt, dass die „Urwälder“ im Nachtigallental und am Haubachsee zu Naturschutzgebieten erklärte werden sollen. Das ist bis heute – 13 Jahre später – aber noch nicht erfolgt.

Alte Bunkeranlagen auf dem Gelände

Stadtförster Axel Freude an einem jener kleineren Stillgewässer, die sich im „Urwald“ am Rande des Haubachsees gebildet haben.
Stadtförster Axel Freude an einem jener kleineren Stillgewässer, die sich im „Urwald“ am Rande des Haubachsees gebildet haben. © Thomas Richter

Wer an der Sechs-Seen-Platte den Weg entlangläuft, der den ebenso schönen wie historisch geprägten Namen „Verschwiegener Zoll“ trägt, der betritt laut Freude übrigens ehemaliges Militärgebiet. Alte, inzwischen fast komplett zugewachsene Bunkeranlagen sind stumme Zeugen aus dieser Zeit. „Und hier war Anfang des vergangenen Jahrhunderts auch noch ein Schießstand und Munitionsdepot zu finden“, weiß der Stadtförster. Damals standen hier bereits jene Eichen, die heute mit einem Alter von rund 160 Jahren den ältesten Baumbestand in diesem „Urwald“ bilden.

„Hier regiert das natürliche Chaos“

Wie sich der „Urwald“ perspektivisch verändern wird, mag Freude noch nicht beurteilen: „Dafür sind 15 Jahre des Bestehens einfach eine zu kurze Zeit.“ Was sich hingegen schon klar abzeichnet, ist der Einfluss, den Gewässer auf den „Urwald“ ausüben. Und gerade rund um den Haubachsee haben sich im Wald weitere kleine Stillgewässer gebildet, die für Pflanzen- und Tierwelt ein großes Plus sind. „Bei den Waldflächen, die wir bewirtschaften, verfolgen wir einen klaren Plan. Wir nehmen gezielt Pflanzungen und Fällungen vor, damit sich der Wald entsprechend entwickeln kann“, erklärt Freude. Beim „Urwald“ sei hingegen „der Weg das Ziel“. Auch unerwartete oder in der Theorie eher ungünstige Entwicklungen würden hier bewusst in Kauf genommen. Oder wie Freude es sagt: „Hier im Urwald regiert das natürliche Chaos.“