Duisburg. . Für die Schüler der Leibniz-Gesamtschule ist die DDR ein Teil deutscher Geschichte. Für Andreas Herzog ist die Diktatur Teil seines Lebens.
„Für Sie ist die DDR Geschichte, obwohl es erst 30 Jahre her ist. Aber für uns ist das Realität“, sagt Peter Keup, den Schülern des Leistungskurses Geschichte an der Leibniz-Gesamtschule. Der Historiker der Ruhruni Bochum (RUB) wurde wegen versuchter Republikflucht inhaftiert, ebenso wie Andreas Herzog, der an diesem Vormittag den angehenden Abiturienten eindringlich seine Geschichte vom Aufwachsen, Verfolgung, Verurteilung und fünfeinhalbjähriger Haft in der Diktatur berichtet.
Seit fünf Jahren berichtet der 60-Jährige, der in Düsseldorf lebt, regelmäßig über sein Leben. „Sie sollen sich das vorstellen können, damit Sie wissen, warum das Leben in einer Demokratie schützenswert ist“, erklärt Peter Keup.
In einem protestantischen Elternhaus aufgewachsen
In der Oberlausitz im äußersten Südosten in einem protestantischen Elternhaus aufgewachsen, lernte Andreas Herzog früh, „dass es immer um die Rolle im Kollektiv ging, dass der Einzelne nichts zählte“. Er sei „zweisprachig“ aufgewachsen: „Ich lernte früh, was man in der Öffentlichkeit sagen kann und was nicht.“ Während der Ausbildung zum Forstwirt ließ er sich für den dreijährigen Militärdienst anwerben. „Mich lockten die Möglichkeit, anschließend studieren zu können und der Standort Berlin.“
Der Junge aus der Lausitz landete beim Wachregiment „Feliks Dzierzynski“, direkt der Staatssicherheit unterstellt und Kaderschmiede des DDR-Geheimdienstes. Als sein Kirchenaustritt zur Bedingung gemacht wurde, seine Eltern sich verpflichten mussten, die West-Verwandtschaft nicht mehr einzuladen, dämmerte ihm „dass das kein normaler Verein ist“.
„Ich wurde strafversetzt, nicht befördert“
Schon bald geriet Andreas Herzog mit dem System aneinander. Er verweigerte den Parteieintritt, die Spitzeltätigkeit für die Stasi im geplanten Studium: „Ich wurde strafversetzt, nicht befördert.“ Mit einem Kameraden fasst er den Entschluss zur Flucht. „Dumm und naiv“ nennt er rückblickend den Versuch des Freundes, ausgerechnet in der BRD-Vertretung um Hilfe zu bitten. Als sie versuchten, über die Tschechoslowakei das Land zu verlassen, wurden sie an der Grenze festgenommen. Wegen Fahnenflucht und Spionage verurteilt, saß Herzog fünfeinhalb Jahr in Bautzen ab. Hoffnungen, freigekauft zu werden, erfüllten sich nicht – erst acht Monate nach seiner Entlassung konnte er in den Westen ausreisen.
3000 Seiten umfasst seine Stasi-Akte. „Dabei war ich ein kleines Licht“, sagt er, immer noch fassungslos über den Kontrollwahn des Regimes. „Mir geht es heute besser als anderen“, sagt Herzog auf die Fragen der Schüler nach den psychischen Folgen der Haft. Mit einem „Gefühl der Ungerechtigkeit“ erlebte er den Mauerfall: „Ich habe so viel investiert und die fahren da jetzt einfach rüber.“ Ähnlich ging es Peter Keup: „Ich musste wieder das Land mit denen teilen, die mich in den Knast gesteckt haben.“
Dennoch, da sind sich beide einig, war die Wiedervereinigung ein großer historischer Moment: „Er kann sich nur in Korea wiederholen.“
>>DAS DEMOKRATIEBEWUSSTSEIN FÖRDERN
Das DDR-Zeitzeugenprojekt ist initiiert vom Institut für Deutschlandforschung der Ruhruni Bochum in Kooperation mit der Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V. Die wissenschaftliche Begleitung hat 2017 der Historiker Peter Keup übernommen, er war selbst in der DDR wegen „Vorbereitung zur Republikflucht“ für zehn Monate inhaftiert und wurde 1982 von der BRD freigekauft.
Die DDR-Zeitzeugen berichten auf Wunsch in Schulen. Kontakt/Termine: 0234/3227 863, per E-Mail: idf@rub.de, Internet: https://www.ddr-zeitzeuge.de