Duisburg. . Die Diskussion über die Zukunft der Kirche im katholischen Bildungswerk offenbart den Wunsch nach Erneuerung. Auch ein Austritt ist Thema.
Fast 90.000 Menschen aus Nordrhein-Westfalen haben die katholische und evangelische Kirche im vergangenen Jahr verloren. 2019 könnte Anne Landscheid dazukommen. Die Katholikin überlegt auszutreten: „Ich bin hin- und hergerissen.“ Die Duisburgerin ist am vergangenen Samstag im katholischen Bildungswerk am Wieberplatz zu Gast, um einer Entscheidung näher zu kommen. Insgesamt sieben Teilnehmer und Referent Norbert Hendriks diskutieren bei der Veranstaltung „Duisburger Samstagsgespräche“ die Zukunft der Kirche. Das Thema: Die Missbrauchs-Studie als drängender Impuls für Kirchenerneuerung.
Nur die Spitze des Eisbergs
Die im September 2018 vorgestellte Studie dokumentiert den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Kleriker von 1946 bis 2014: Die Studie ergab, dass mindestens 1670 katholische Geistliche 3677 Minderjährige missbraucht haben sollen. Studienleiter Harald Dreßing betont: „Wir müssen von einem deutlich größeren Dunkelfeld ausgehen. Das ist nur die Spitze des Eisbergs.“ Die Forscher hatten keinen Zugriff zu Originalakten und fanden Hinweise auf Aktenmanipulation und -vernichtung.
Heft vom Bischof
Für Anne Landscheid war die Studie ein wesentlicher Grund sich zu fragen, ob sie weiter Teil der Kirche sein möchte. „Die Kirche muss endlich mit Taten und nicht mit Gerede überzeugen“, findet die Duisburgerin in der Diskussionsrunde. Referent Norbert Hendriks, ehemaliger Geschäftsführer der Erwachsenen-Bildung für das Bistum Essen, hat für die Teilnehmer Material dabei: Eine Kurzfassung der Missbrauchs-Studie, ein Heft vom Essener Bischof Franz-Josef Overbeck, das Lehren aus der Studie aufzeigt und gesammelte Zitate von ranghohen Klerikern, wie man mit der Situation umgehen könne.
„Es ist gut, dass wir mal informiert werden, was die Kirche tatsächlich unternimmt, um sowas in Zukunft zu verhindern. Aber bei dem Treffen kann man auch endlich mal Frust loswerden“, sagt Klaus Hardiek, der regelmäßig bei den „Samstagsgesprächen“ dabei ist.
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Die Diskutanten eint die tiefe Betroffenheit zu den Vorfällen, sie sind empört über die Zustände in der Kirche und sie erwarten radikale Änderungen im Regelwerk. „Die Kirche muss sich neu ausrichten“, ist sich Hendriks sicher. Auch Bischof Overbeck meint in der verteilten Lektüre: „Es gibt keine Tabus mehr, keine Fragen, die nicht gestellt werden dürfen. Unsere Kirche darf nicht bleiben, wie sie ist.“ Der Bischof und Referent Hendriks schließen sich den Studien-Empfehlungen an: Machtstrukturen durchbrechen, Aus- und Weiterbildung von Priestern, Frauen in Führungspositionen zulassen, das verpflichtende Zölibat beenden.
Das Bistum Essen hat inzwischen sämtliche Personalakten aller beschuldigten Priester und Diakone an die Staatsanwaltschaft übergeben. Zudem wurde eine Projektgruppe gegründet, die konkrete Initiativen und Arbeitsgruppen auf den Weg bringen soll, um etwa zu prüfen, wie Frauen gleichrangig an Führungsaufgaben mitwirken können.
Eine Frage des Vertrauens
„Es wird zwar immer noch viel geredet, aber immerhin hat man das Gefühl, dass die Kirche sich wirklich neu aufstellen will – es klingt erst mal positiv“, meint Anne Landscheid, die sich noch nicht endgültig festlegen will, ob sie aus der Kirche austritt. Den vielen Worten und Versprechungen müssten schnellstmöglich Taten folgen, sonst verliert die Kirche weiter an Vertrauen und sie verliert Anne Landscheid.
>>PAPST VERSAMMELT DIE BISCHÖFE
Vom 21. bis 24. Februar findet im Vatikan das vom Papst einberufene weltweite Bischofstreffen zu Missbrauch und Kinderschutz statt.
„Ein weltweites Problem kann nur weltweit angegangen werden“, begründet Papst Franziskus seine Entscheidung, die Vorsitzenden sämtlicher Bischofskonferenzen einzuberufen; in Deutschland übernimmt diese Aufgabe Kardinal Reinhard Marx, der auch die Missbrauchs-Studie September 2018 vorstellte.