Philipp Thelen ist seit 100 Tagen neuer Geschäftsführer der Awo-Integration. Positive Effekte von Sozialarbeit vertritt er selbstbewusst.
Vor den großen Fußstapfen, die sein Vorgänger Karl-August Schwarthans in 38 Jahren als Geschäftsführer der Awo-Integration hinterlassen hat, muss Philipp Thelen keine Angst haben. In 15 Berufsjahren als Sozialarbeiter in Wuppertal-Osterbaum bringt der 43-jährige Duisburger viel Erfahrung mit sozialen Brennpunkten mit. Nach den ersten 100 Tagen ist der gebürtige Neudorfer, der nun in Duissern lebt, in seinem neuen Job im Stadtnorden angekommen. „Ich möchte hier in Rente gehen“, sagt er.
Wenn Sie hier den Rest ihres Berufslebens verbringen wollen, muss der Start gelungen sein?
Philipp Thelen: Ja, der Empfang war nett, obwohl es hier auf der Führungsebene relativ wenig Fluktuation gegeben hat. Alle sind oder waren, wie mein Vorgänger, ewig da.
Ist das eher gut, oder eher gefährlich?
Hier ist es gut, weil es Stabilität bietet und die Awo in der Lage ist, dennoch immer wieder Gutes von neuen Leuten zu implementieren. Awo-Geschäftsführer Wolfgang Krause hat mir am Anfang gesagt: Nur wenn wir Leute einstellen, die besser sind als wir selber, wird auch der Laden besser. Das war natürlich gut für mein Ego.
Als Chef von 120 Mitarbeitern können Sie alles besser?
Natürlich nicht. Es wäre schlecht, wenn unsere Hilfen zur Erziehung oder unsere Schuldnerberatung nur so gut wären, wie ich darüber Bescheid weiß oder Insolvenzberatung kann. Deshalb müssen da Leute sitzen, die besser sind als ich.
Sie müssen ein Chef sein, der seine Leute machen lässt?
Genau. Es geht um Vertrauen, um wirklich zu delegieren, statt scheindelegieren. Ich muss dafür sorgen, dass meine Leute ihr Bestes geben können. Das kehrt auch Führungsverständnis ein wenig um. Karl-August Schwarthans hat den Laden aufgebaut und war auch Fachmann in den meisten unserer Themen. Aber ich kann und will das auch nicht anders. Das bringt Dynamik in den Laden.
Außendarstellung muss besser werden
Wo müssen Sie denn besser werden als Awo-Integration?
In der Außendarstellung unserer Arbeit etwa. Wir machen da mehr gute Sachen als nach außen bekannt wird.
Schwierig, wenn es ein Gemischtwarenladen ist?
Das macht es natürlich komplizierter. Und die Förderkonditionen, etwa in der Flüchtlingsbetreuung, sind mittlerweile so differenziert, dass die Unterschiede kaum noch vermittelbar sind. Nur ein Beispiel: Wo ist der Unterschied zwischen Sozialarbeit an Schule und Schulsozialarbeit.
Also?
Es muss uns einfach wieder gelingen, dass wir sagen: Wir machen Sozialarbeit und dass ist gut so. Und das in einer Gesellschaft, in der wir noch vor den Nachrichten die Börse präsentiert bekommen. Der globale Handel ist offenbar wichtiger als Krieg. Und bei den Flüchtlingen, die deshalb zu uns kommen, fragen wir zunächst nach dem Mehrwert, den sie für uns bringen. Solange das so ist, müssen wir uns nicht wundern, warum junge Leute lieber BWL studieren, als Erzieher zu werden oder eine Pflege-Ausbildung zu machen.
Wieder selbstbewusster auftreten
Das sagen Sie als Vertreter der Wohlfahrtsindustrie?
Mit diesem Wort haben wir zu kämpfen. Zu sagen: Wir machen Sozialarbeit, weil das einfach gut ist, war bis in die 1990er-Jahre einfacher. Deshalb müssen wir da wieder selbstbewusster auftreten, klarmachen, dass es nicht darum geht, unsere Pfründe zu sichern.
Was heißt das für Ihre Arbeit?
Wir sollten unsere Angebote in der Zukunft noch besser miteinander verschränken. Dabei sind wir schon ganz gut, aber ist glaube, es geht noch ein wenig besser.
In Bedarfen denken, nicht in Fördersträngen
Ist denn Sozialarbeit immer gut?
Hilfe zur Selbsthilfe leisten und sich dann überflüssig machen, das ist der eigentliche Auftrag. Wir helfen Menschen dort in Krisen, wo sie das nicht selbst können. Wenn sie den Strom abgeschaltet bekommen oder tief in Schulden stecken. Wenn wir das so machen, ist es gut.
Ein Vorwurf lautet, dass sie sich eben nicht selbst abschaffen?
Ja, man unterstellt, dass wir uns Bedarfe schaffen. Aber dabei wird übersehen, dass es Bedarfe gibt, die ganz einfach bleiben.
Aber Sie müssen als Geschäftsführer auch den Laden am Laufen halten?
Ja, aber es gibt einen Unterscheid, ob ich Bedarfe schaffe, um meine Leute im Job zu halten, oder ob Bedarfe bleiben, weil immer wieder neue Menschen hinzukommen. Der Kindergarten wird auch nicht deshalb überflüssig, weil schon eine Generation von Kindern ihn besucht hat. Wir machen Schuldnerberatung, weil immer aufs Neue Menschen in Schulden landen.
Ertragen, wenn Menschen es nicht anders wollen
Mancher tut sich dennoch schwer, die positive Wirkung der Investitionen in Sozialarbeit zu erkennen.
Wir können nur hoffen, dass es reicht, was wir tun. Etwa in der Jugendgerichtshilfe. Natürlich bleibt da manchmal der Eindruck, dass die Klienten nichts gelernt haben. Ich kann nicht jedesmal gefrustet sein, sondern muss ertragen, wenn Menschen es nicht anders wollen.
Die Zuwanderung prägt nicht nur den Stadtnorden, sondern auch die Arbeit der Awo-Integration.
Natürlich. Viele sind neu in Deutschland und wissen nicht, wie die Gesellschaft hier funktioniert. Wir wollen den einzelnen so schnell wie möglich befähigen, sich um sich selbst zu kümmern.
Wäre es nicht effektiver, den Sozialraum zu fördern, als viel Energie in Projektanträge zu stecken?
Allein Anträge, Verbuchung und Abrechnung binden eine Vollzeitstelle bei uns. Wenn wir ein festes Budget für Hamborn und Marxloh hätten, könnten wir möglicherweise mehr bewirken.
Wie geht’s weiter mit der Flüchtlingsarbeit?
Da gab es bei den Verbänden in Duisburg 30 Vollzeitstellen, die gekündigt wurden zum Ende des Jahres. Das ist auch in Ordnung, denn hier kommen weniger Menschen neu an. Aber nur weil jene, die hier sind, nun anerkannte Flüchtlinge sind, wissen sie noch nicht, wie hier alles funktioniert. Gleiches gilt für viele Menschen, die aus Südosteuropa kommen. Allein 25 Prozent der Bewohner von Marxloh sind neu. Wir haben in den vergangenen Jahren viel gelernt, können es aber künftig nicht mehr anwenden, weil es keine Finanzierung mehr dafür gibt. Das ist ein Problem. Wir reden über Förderstränge, nicht über Bedarf. Nur wenn wir die Fluktuation senken, wenn die Leute bleiben, haben wir etwas davon.
Zur Person: Sozialarbeiter und Sozialwirt
Dass aus ihm besser ein Sozialarbeiter als ein Bauingenieur wird, hat Philipp Thelen nach dem Abitur an der Gesamtschule Mitte schnell gemerkt und den Studiengang gewechselt. Sein mathematisches Talent hat ihm dennoch genutzt beim Studium der Sozialwirtschaft an der Fernuni Berlin, das der heute 43-Jährige dem Diplom an der Universität Essen folgen ließ.
Als Sozialarbeiter beim Nachbarschaftsheim Wuppertal hat er 15 Jahre lang in Osterbaum, einem Brennpunkt-Stadtteil gearbeitet, war zuletzt Vorstand und Geschäftsführer des Trägers. Vor seinem beruflichen Wechsel in die Heimatstadt war der Familienvater von drei Töchtern (11, 9 und 4 Jahre alt) Geschäftsführer des Paritätischen in Essen und von Parisozial Essen/Duisburg.