Duisburg. Der öffentliche Nahverkehr soll attraktiver werden. Das Pilotprojekt MyBus ist dafür nur der Anfang. Künftig fahren wir flexibler und grüner.
Will Duisburg CO2 sparen, müssen die Duisburger umsteigen. Ob aufs Fahrrad, in den Bus oder ins Carsharing-Auto, ist dabei zweitrangig, das Wichtigste ist: Das eigene Auto soll stehenbleiben. Zugunsten von Verkehrsmitteln, die dem sogenannten Umweltverbund angehören: also allen Fortbewegungsmitteln, die Kohlendioxid sparen – von den eigenen Füßen bis zum Zug. Das Klimaschutzkonzept macht den Verkehr als einen Hauptschuldigen für den Klimawandel aus: 1,2 Millionen Tonnen verursachte der städtische Verkehr im Jahr 2015 (Güterverkehr eingerechnet); laut Bundesumweltamt verschuldet der Verkehr in Deutschland 19 Prozent des ausgestoßenen CO2.
ÖPNV weist deutliche grünere Bilanz auf
Einfach mal ein Stück laufen oder Fahrradfahren – dass beides klimafreundlicher ist, als ins Auto zu steigen, ist offensichtlich. Auch der öffentliche Nahverkehr weist eine deutlich grünere Bilanz auf: Ein Personenkilometer im Linienbus kostet 75 Gramm CO2; die Hälfte der 140 Gramm im Pkw. Allerdings bewegen sich die Duisburger mit Abstand am häufigsten mit dem eigenen Pkw von A nach B: 57,7 Prozent aller Wege entfallen auf den sogenannten motorisierten Individualverkehr, auf Bus und Bahn gerade mal 15,7 Prozent. Dieser Anteil soll mit dem neuen Nahverkehrsplan auf 20 Prozent steigen. Dafür muss der ÖPNV attraktiver werden. Aber wie?
Multimodalität heißt das Wort, das sich Verkehrsexperten dafür ausgedacht haben. Es bedeutet: In der idealen Nahverkehrswelt kann ich morgens ein paar Meter zu Fuß bis zum nächsten Leihrad gehen und zur nahegelegenen Haltestelle radeln, um von dort bequem mit Bus oder Bahn an mein Ziel zu fahren. Will ich abends noch ausgehen, buche ich spontan ein Auto übers Carsharing oder rufe per App eine flexible Buslinie, die direkt vor meiner Haustür hält. Das eigene Auto wäre überflüssig.
DVG will per App jedes Mobilitätsangebot in Duisburg nutzbar machen
Das Ziel ist: mehr öffentlicher Nahverkehr, weniger Individualverkehr. Dazu muss der ÖPNV zur Konkurrenz fürs eigene Auto werden. Das funktioniert über Multimodalität – und über Bequemlichkeit. Deshalb will die DVG ihre App zu einer Art Universal-App für die Fortbewegung in Duisburg ausbauen: „Ich will, dass man mit der DVG-App jedes Mobilitätsangebot in Duisburg nutzen kann“, sagt Unternehmenssprecher Ingo Blazejewski. Inklusive Buchung und Bezahlung. Der Anfang ist gemacht: Die Leihräder von Metropolradruhr werden in der App bereits angezeigt, Taxi-Anbieter ebenso.
Was noch fehlt: Carsharing-Anbieter. „Sharing ist ein Element des zukünftigen Mobilitätsverhaltens“, sieht Blazejewski. Bislang gibt es in Duisburg fünf Anbieter, konzentriert in der Innenstadt. Für die DVG ist es erst sinnvoll, solche Angebote in ihre App zu integrieren, wenn sie stadtweit verfügbar sind. Dazu könnte sie selber aktiv werden, deutet Blazejewski an: „Die Überlegung ist: Machen wir Carsharing selber? Mit Partnern?“
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Für die Übergangszeit hat die DVG einen Kompromiss zwischen klassischem Nahverkehr und Sharing gefunden: MyBus. Bislang verkehrt der Bus als Pilotprojekt in den Randzeiten des Wochenendes um den Hauptbahnhof herum: in der Altstadt, in Duissern und Neudorf; ohne festen Fahrplan, stattdessen individuell nach einer Buchung per App. „Mit MyBus war es erstmals möglich, ein Angebot aufzustellen, das sich nach der Nachfrage richtet“, sagt Blazejewski. Erstmals weltweit.
Duisburger Verkehrsgesellschaft ist mit MyBus Vorreiter
Das bestätigt Door2door, die Firma, die der DVG die Software für den on-demand-Bus liefert. „Duisburg war die Nummer 1“, sagt Sprecherin Lidia Fabian. Das Besondere am Projekt: Mit der DVG hat kein Privatunternehmen, sondern ein ÖPNV-Anbieter den Bus auf Nachfrage in sein Angebot integriert. Door2door sieht darin die Zukunft des Nahverkehrs. „Wir sind daran gewöhnt, dass sich Sachen nach uns richten und nicht andersrum. Wie beim Essen, das wir nach Hause bestellen. In der Mobilität ist das genauso.“ Weil dieser Anspruch nicht zum derzeitigen Nahverkehr passt, steigen wir ins sofort verfügbare Auto, statt 20 Minuten auf den nächsten Bus zu warten. Das soll MyBus ändern. Als Ergänzung des Fahrplanangebots, nicht als Ersatz. Um langfristig, so sagt es Lidia Fabian, einen „ÖPNV zu schaffen, der uns von Tür zu Tür bringt.“
Duisburg ist mit dem MyBus auf einem guten Weg: Rund 13 000 mal wurde die App seit Beginn des Pilotprojekts im September 2017 heruntergeladen. Pro Wochenende legt MyBus 100 Fahrten zurück, mit durchschnittlich zwei Personen pro Strecke. Erweist sich das Projekt als erfolgreich, könnte es künftig auch abgelegene Stadtteile erschließen oder in Randzeiten fahren, zu denen sich ein Linienbus nach Fahrplan nicht lohnt.
Bis die Multimodalität Alltag ist, fördert die DVG das Umsteigen in den Bus auf subtile Weise, wie Blazejewski verrät: „In der Routenplaner-App bekomme ich alle Möglichkeiten angezeigt, von A nach B zu kommen – bis auf das eigene Auto.“
Die Mobilität der Zukunft ist schnell und bequem
Von einem Verkehrsmittel bequem aufs andere umsteigen: Intelligent verknüpfte Haltestellen sollen das künftig ermöglichen. Einige solcher Mobilitätsstationen gibt es heute schon, zum Beispiel an der Universität, wo sich Straßenbahn, Bus und Leihräder treffen. Acht weitere sind geplant (siehe Karte). Im neuen Nahverkehrsplan ist vorgesehen, an diesen Stationen zusätzlich zu Bus und Bahn Carsharing, E-Ladestationen und Radverleih-Systeme anzubieten. Wie Nutzer damit am besten ans Ziel kommen, dazu sollen die Mobilitätsstationen auch beraten.
Damit das neue Angebot bei den Nutzern ankommt, muss der Umstieg von einem aufs andere Verkehrsmittel bequem und ohne großen Zeitaufwand möglich sein. Laut Klimaschutzkonzept darf dazu die nächste Haltestelle nicht mehr als 300 bis 500 Meter entfernt sein – 600 Meter sind es im Stadt-Durchschnitt zurzeit. Und: Die Wartezeit sollte nicht mehr als zehn Minuten betragen. Gerade in Randgebieten und -zeiten fahren Busse heute oft nur einmal in der Stunde. Die U79 in der Innenstadt verkehrt dafür im Zehn-Minuten-Takt.
Ist Carsharing die Zukunft – oder doch nur eine fixe Idee? Verkehrsexperte Prof. Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen ist vom Konzept überzeugt und glaubt an dessen Verbindung mit selbstfahrenden Autos.
Duisburg steht beim Carsharing im Stau – noch
Geteiltes Auto ist halber Umweltschaden – oder noch weniger: Nach Zahlen des Bundesumweltamtes ersetzt ein Carsharing-Auto durchschnittlich 15 private Kfz. Kein Wunder: Nur eine Stunde am Tag fährt das eigene Auto im Schnitt tatsächlich. Den Rest der Zeit steht es nutzlos herum.
In Duisburg allerdings kommt der Umstieg vom eigenen aufs geteilte Auto nur schleppend in Fahrt: Pro 1000 Einwohner gibt es hier gerade mal 0,04 Carsharing-Autos – Platz 112 von 144 im Städteranking des Bundesverbands Carsharing (siehe Grafik).
Es sollen aber mehr werden: Die Stadt führt dazu zurzeit Gespräche mit einem Carsharing-Anbieter und überlegt, künftig Stellplätze für solche Anbieter zu installieren; zum Beispiel an zentralen Umsteigepunkten.
ÖPNV wird klimaneutral – Erster echter E-Bus der DVG kommt 2020
Ab 2020 fährt die erste komplett elektrisch betriebene Buslinie durch Duisburg: die Linie 934. 1000 Tonnen CO2 pro Jahr will die DVG so sparen. Und DVV-Sprecher Ingo Blazejewski kündigt schon mal an, dass das nur der Anfang ist: „Wir testen nicht, wir rüsten komplett um.“
Alle Linien des Nahverkehrsunternehmens sollen langfristig emissionsfrei durch Duisburg rollen. Schon heute bezieht die DVV für alles, was sie elektrisch betreibt, 100 Prozent Ökostrom. Der Grund: Klimaschutz. Der ist als Ziel zwischen Stadt und DVV vereinbart. Blazejewski stellt klar: „Wir sind davon überzeugt, dass Diesel nicht mehr die Antriebstechnologie der Zukunft ist.“ Das Fernziel benennt das Klimaschutzkonzept der Stadt: ein komplett klimaneutraler ÖPNV.
Die Umstellung darauf ist der DVG einiges an Geld wert: Ein Gelenkbus mit herkömmlichem Dieselantrieb kostet 350 000 Euro; die E-Variante annähernd das Doppelte. Bis alle 110 Busse elektrisch fahren, muss die DVG nach heutigem Stand 87 Millionen Euro ausgeben – 50 Millionen mehr, als wenn sie weiterhin Diesel auf die Strecken schicken würde. Immerhin kann sie für die Umrüstung Unterstützung in Anspruch nehmen: Gefördert werden bis zu 80 Prozent der Mehrkosten und 40 Prozent der technischen Infrastruktur.
Wer im ÖPNV schon heute grün fahren möchte, kann das in Duisburg übrigens schon lange tun: indem er in die Straßenbahn steigt. Die fährt mit 100 Prozent Ökostrom.
E-Autos kommen nur langsam in Fahrt
Die E-Mobilität bewegt sich in Duisburg noch im Promille-Bereich: Von den knapp 228 000 zugelassenen Fahrzeugen fahren mit E-Antrieb gerade einmal – 144. Nach Berechnungen der Universität Duisburg-Essen im Auftrag des Stadtkonzerns DVV entwickelt sich deren Anteil mit angezogener Handbremse: Für 2020 geht das optimistischste Szenario von einem Prozent der Fahrzeuge aus, bis 2030 von maximal zehn Prozent. Das entspräche 22 000 Kfz, die rein elektrisch betrieben unterwegs wären – immerhin mehr als das 150-fache der heutigen Anzahl.
Eine Entwicklung, die dem Klima zugute käme: Denn selbst mit dem derzeitigen deutschen Strommix betankt, stößt ein E-Auto nur die Hälfte des Kohlendioxids eines durchschnittlichen Benziners aus. Kommt der Strom für den Tank aus erneuerbaren Energien, reduziert sich dieser Ausstoß bis auf zwei Prozent. Laut Bundesumweltamt verbraucht ein durchschnittlicher Pkw pro Kilometer 206 Gramm CO2. Auf Duisburg gerechnet, bedeutet das einen jährlichen Ausstoß von fast 47 000 Tonnen CO2.
An die Steckdose fahren können E-Autos abseits der heimischen Garage in Duisburg bislang an sechs Standorten, die die Stadtwerke betreiben; übrigens mit 100 Prozent Wasserstrom. In den nächsten Jahren „sind zehn weitere Standorte vorgesehen“, so DVV-Sprecher Ingo Blazejewski. Auch 16 Standorte klingen nach wenig angesichts von 22 000 E-Autos, die in zwölf Jahren vielleicht schon über die Duisburger Straßen fahren. Aber Blazejewski argumentiert: Es sei nicht sinnvoll, überall in der Stadt Ladesäulen aufzustellen. Schließlich tanken die E-Autos da Strom, wo sie gerade stehen, also zu Hause oder am Arbeitsplatz. „Dort finden 85 Prozent der Ladevorgänge statt.“ Neben Privatleuten, die per E-Auto von zu Hause zur Arbeit fahren wollen, sind also auch Wohnungsunternehmen und Arbeitgeber gefragt, wenn es um neue E-Ladepunkte geht.
Wie wir fahren: Zahlen aus der Mobilitätsstudie
Was fahren die Duisburger, wie weit und wie oft? Auf solche Fragen hat die Stadt in ihrer Mobilitätsbefragung Antworten gesucht und gefunden:
- 85 Prozent der Duisburger Haushalte verfügen über ein Auto – im Schnitt gibt es 1,2 Pkw pro Haushalt.
- 15 Prozent ihrer Wege legen die Duisburger mit dem ÖPNV zurück; fast die Hälfte aller Strecken fahren sie mit dem eigenen Auto.
- 9,7 Kilometer lang ist die Durchschnittsfahrt.
- 9 Kilometer brauchen drei Viertel der Bewohner höchstens bis zur Arbeit. Ein Drittel muss sogar nur bis zu fünf Kilometer zum Job fahren.
- 3 Viertel der täglichen Wege werden innerhalb der Stadt zurückgelegt.
Umsatteln aufs Leihfahrrad mit zwei Anbietern möglich
Seit acht Jahren ist Duisburg Leihfahrrad-Stadt: Wer kein eigenes Rad hat, kann trotzdem in die Pedale treten. Diese beiden Anbieter machen’s möglich:
1) Den Anfang machte 2010 Metropolradruhr, das inzwischen mehr als 400 Räder im Stadtgebiet verteilt hat, an über 30 Stationen. Besonders attraktiv ist das Angebot für Studenten und ÖPNV-Fahrer: Wer an der Universität Duisburg-Essen eingeschrieben ist oder ein Jahresabo der DVG hat, fährt die ersten 60 beziehungsweise 30 Minuten gratis. Der Normaltarif kostet einen Euro pro halber Stunde oder neun Euro für einen ganzen Tag. Wer ein Rad leihen will, muss sich registrieren und kann dann an den Stationen aufsatteln. Codes fürs Schloss gibt’s per App, SMS oder Hotline. Eine Rückfahrt ist nicht nötig: Wer will, kann das Rad an einer anderen als der Start-Station abgeben – im Ruhrgebiet sogar in einer anderen Stadt. Mehr Infos: metropolradruhr.de
2) Seit Februar können Radler auch auf Byke umsatteln: 150 Räder warten in Duisburg auf Fahrwillige. Wo sie stehen, wechselt: Im Gegensatz zum etablierten Konkurrenten setzt der neue Anbieter auf Flexibilität ohne feste Stationen. Wo ein Rad gerade verfügbar ist, können Nutzer nach der Registrierung in der App sehen. Mittels App wird das Leihrad auch auf- sowie abgeschlossen. Wer es zurückgeben will, lässt es einfach an einem öffentlichen Platz stehen. Eine ungünstige Fahrradverteilung vermeidet Byke, indem es bei Bedarf die Räder wieder an bestimmte Ausgangspunkte zurückfährt. Preislich fährt Byke in der Werbephase außer Konkurrenz: Pro halbe Stunde kostet das Leihrad 50 Cent. Mehr Informationen: byke.de