Duisburg. . Projekt arbeitet mit jungen muslimischen Männern. Im einstigen Nazi-Vernichtungslager setzen sie sich mit dem Thema Antisemitismus auseinander.
Die Eindrücke, die er gesammelt hat, lassen Furkan Kuruderi nicht los. Ein ganz bestimmter Raum der KZ-Gedenkstätte Auschwitz wird ihm im Gedächtnis bleiben: An den Wänden hängen Zeichnungen von Kindern, viele getan mit nur wenigen Strichen. Auf einer dieser Zeichnungen ist zu sehen, wie die Sonne hinter den Mauern des Konzentrationslagers aufgeht. „Das drückt die Neugierde der jungen Hoffnungslosen nach der Welt aus“, sagt Furkan, Marxloher, Muslim. Der Besuch ist der Schlussakt des Projekts „Junge Muslime in Auschwitz“, dessen Teil er ist.
In Auschwitz sollen die jungen Muslime lernen, dem Judentum offen und vorurteilsfrei zu begegnen, sich mit Antisemitismus auseinanderzusetzen. Jedes Jahr fahren rund zehn Männer, zwischen 16 und 26 Jahre alt, zum früheren Vernichtungslager in Polen. Auf den Aufenthalt bereiten sich die Teilnehmer lange vor. „Diese Zeit umfasst drei Monate“, erklärt Gruppenleiter Burak Yilmaz, der mit dem Zentrum für Erinnerungskultur in Duisburg kooperiert.
Schlüsselmoment führte zur Gründung
Für Yilmaz, heute 30 Jahre alt, gab es den einen „Schlüsselmoment“, der dazu führte, „junge Muslime in Auschwitz“ ins Leben zu rufen: „Ein Jugendlicher kam zu mir und erzählte, der Geschichtsunterricht sei zugeschnitten auf die Mehrheitsgesellschaft. Er als Muslim habe das Gefühl, nicht richtig repräsentiert zu sein.“ Jener Jugendliche monierte auch, dass sich die Muslime, die er kennt, bei Fahrten zu NS-Gedenkstätten ausgeschlossen fühlen.
Die Teilnehmer des Projekts befassen sich intensiv mit dem Nationalsozialismus, dem Widerstand gegen die Nazi-Ideologie durch Kommunisten und Katholiken, sie versuchen den Antisemitismus, der auch in ihrer Religionsgemeinschaft ein Thema ist, einzuordenen, sie analysieren Propaganda-Videos und den komplizierten Nah-Ost-Konflikt. „Jugendliche sollen das Gefühl haben, an die Erinnerungskultur angeschlossen zu sein“, betont Yilmaz. Es könne nicht sein, sie vom Prozess des Erinnerns auszuschließen.
Teil der Bewegung „Heroes Duisburg“
Yilmaz ist Teil der Bewegung „Hereos Duisburg“, die wiederum dem vom LVR geförderten Trägerverein „Jungs e.V.“ angeschlossen ist. Die „Heroes“ sind an Schulen und in Jugendeinrichtungen unterwegs und suchen, so sagen sie, „gemeinsam mit anderen jungen Menschen nach Wegen, wie wir das Ziel einer friedlicheren und gerechteren Gesellschaft umsetzen können“.
Wir sprechen noch einmal mit Furkan Kuruderi: Nach dem Besuch in Auschwitz habe er „zwei bis drei Wochen gebraucht, um zu realisieren, was dort passiert ist“,erzählt der 20-Jährige. In seinem Alltag in Marxloh habe er oft erfahren, dass der Begriff „Jude“ als Schimpfwort missbraucht wird. Ein Beispiel für ein gängiges Vorurteil: Juden seien geizig. Bei einer Begegnung mit Juden in Essen hat er festgestellt, dass Muslime und Juden Gemeinsamkeiten besitzen, wie etwa religiöse Vorschriften bei der Ernährung. Furkans Vater unterstützt seine Weltoffenheit. Vorurteile abbauen, betont Gruppenleiter Yilmaz, das beginne bei jedem Einzelnen. Gerade in der heutigen Zeit sei das besonders wichtig.
Antisemitismus ist brandaktuell
„Antisemitismus ist nicht nur historisch, sondern brandaktuell“, sagt Yilmaz. Zum Glück sei in Duisburg die Bereitschaft, Fremdenhass entschieden entgegenzutreten, in den zurückliegenden Jahren sehr stark gestiegen. Denn antisemitische Muslime seien zwar eine Minderheit – jedoch eine sehr laute.
Burak Yilmaz und sein Freund Furkan Kuruderi wünschen sich, dass künftig die Unterrichtsinhalte in Schulen angepasst werden, dass sich mehr mit den Opfern des Nationalsozialismus und weniger mit den Tätern befasst wird. Alexander Drehmann, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Duisburg/Mülheim/Oberhausen, stimmt dem zu. Insbesondere in Bildungseinrichutngen bestehe erheblicher Nachholbedarf, was den Antisemitismus angeht: „Die pädagogische Arbeit, vor allem an den Schulen, muss verstärkt werden.“
>> VIELFALT IST EIN SCHATZ
- Burak Yilmaz ist selbst in Marxloh aufgewachsen. Er, der ein Privatgymnasium besuchte, kritisiert, dass Marxloh als „No-Go-Area“ gesehen wird. Er erkenne viel Talent und Potenzial, sehe Jugendliche, die neugierig sind.
- Bei diesen jungen Menschen gelte es, ein politisches Bewusstsein zu schaffen und die Bereitschaft zu fördern, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Als regelrechten „Schatz“ betrachtet er die kulturelle und ethnische Vielfalt in Marxloh.