Duisburg. . Ein 70-Jähriger aus Rheinhausen war an Rettungseinsätzen vor der Küste Libyens im Einsatz. Er erlebte schockierende Szene mit Flüchtlingen.
- Privates Rettungsschiff rettet Flüchtlinge vor der nordafrikanischen Küste
- Duisburger leistete mehrere Wochen freiwilligen Dienst auf der „Sea-Eye“
- Er erlebte Not und Elend, das man sein Leben lang nicht mehr vergisst
Es gibt viele Gründe, sein Heimatland zu verlassen, wie Hunger, Armut oder Verfolgung. Menschen, die das Wagnis der Flucht auf sich nehmen, sind auf Hilfe angewiesen, um unterwegs nicht den Tod zu finden. So sieht es Karl-Heinz R. aus Rheinhausen, der im April auf einem Schiff der Rettungsinitiative „Sea-Eye“ mitfuhr, um im Mittelmeer Geflüchtete vor dem Ertrinken zu retten. Seinen Nachnamen möchte der 70-jährige nicht in der Zeitung lesen, aus Angst vor rechtsradikalen Aktivisten.
Und die Aktualität hat den Einsatz des Rheinhauseners vor einigen Monaten eingeholt: Die Regensburger Hilfsorganisation Sea-Eye hat am Sonntag ihre Rettungsmission im Mittelmeer ausgesetzt. Zu gefährlich sei das, nachdem die libysche Marine erklärt hatte , ausländische Schiffe dürften die Küste des Landes ohne eine spezielle Erlaubnis der libyschen Behörden nicht mehr ansteuern.
Erfahrung durch eigene Segeltouren
Der Rheinhausener war vorigen Sommer durch einen TV-Beitrag auf den ehemaligen Fischkutter Sea-Eye, den der Regensburger Organisationsgründer Michael Buschheuer, zum Hilfsschiff umbaute, aufmerksam geworden und hatte sich bei dem gleichnamigen Verein gemeldet, um eine Mission mitzufahren. Nach erfolgreicher Bewerbung nahm Karl-Heinz R. an einem Infotreffen in Regensburg teil. Dann ging es nach Malta der Basis der Sea-Eye. Dort trafen sich die Freiwilligen, beluden das Boot mit Material und Proviant.
„Wir mussten jedoch erst noch einige Tage warten, bis wir losfahren konnten, weil das Wetter zu schlecht war“, erzählt Karl-Heinz R. Die Crew nutzte die Zeit, um das Herablassen des Beiboots zu üben, mit dem Schwimmwesten an die Geflüchteten verteilt werden sollten.Am 6. April legte das Schiff in Richtung libyscher Küste ab. 30 Stunden später war es vor Ort. Durch seine zahlreichen Segeltouren in der Heimat fand sich der Rentner schnell auf dem Boot zurecht. Auf der Sea-Eye arbeitete er als Maschinist.
Boote mit 2000 Flüchtlingen
Nach einigen Tagen wurde es das erste Mal ernst: Das Schiff fuhr zu einem führerlos im Meer treibenden Boot. Die Sea-Eye versorgte die rund 120 Menschen mit Schwimmwesten, bis ein größeres Schiff von „Ärzte ohne Grenzen“ sie aufnehmen sollte. In den folgenden Tagen überschlugen sich die Ereignisse. Am Ostersonntag erhielt das Schiff einen Notruf, dass in der Nähe mehrere Schlauch- und Holzboote im Meer treiben würden. Karl-Heinz R. schätzte die Zahl der auf Hilfe wartenden Menschen auf rund 2000.
„Die Flüchtlinge saßen dicht gedrängt einem Schlauchboot. Sie standen bis zum Bauch in einer Mischung aus Salzwasser, Maschinenöl und Urin. Viele hatten dadurch Verätzungen an der Haut.“ Vor den Augen seiner Eltern ertrank ein etwa acht Jahre alter Junge, Karl-Heinz R. sah Leichen auf dem Wasser treiben.
Leichen trieben auf dem Wasser
Obwohl die Mannschaft der Sea-Eye eigentlich nur Rettungswesten verteilen sollte, nahm sie die Menschen an Bord. „Wir können sie ja nicht ertrinken lassen. Die Leute lagen erschöpft auf dem Deck oder im Lazarett, das war schlimmer als Krieg“, meint er. „Wir nahmen auch eine junge Frau auf, die im achten Monat schwanger war. Sie ist erschöpft zusammengebrochen. Sie wurde 80 Minuten lang reanimiert, ist dann aber leider verstorben“. Über 36 Stunden wartete die Sea-Eye auf größere Schiffe, die sich der Menschen annehmen konnten. „Außer etwas Wasser, einem Müsliriegel und einer Rettungsdecke konnten wir den erschöpften Leuten nichts bieten“, erzählt Karl-Heinz R.
Eine absolute Ausnahmesituation für den 70-jährigen. „Während man den Menschen an Bord hilft, verliert man komplett das Zeitgefühl. Man spürt Hunger und Durst, aber selbst das nimmt man kaum wahr“, schildert Karl-Heinz R. „Diese Mission war die Schlimmste, die Sea-Eye je gefahren ist“, meint er. „Bilder können nicht ausdrücken, was man da spürt – das muss man selbst erleben.“ Er sieht die EU in der Verantwortung: „Die Staaten kommen alle an, wenn es was zu holen gibt. Wenn sie aber selbst etwas geben sollen, drehen sich alle um.“ Alle Retter auf dem Mittelmeer seien ehrenamtliche Privatleute. „Dabei ist das eine Angelegenheit der EU“, kritisiert Karl-Heinz R. „Ich selbst kann nicht viel tun – aber das kann ich tun“.
>> 12 000 Menschen auf dem Meer gerettet
- Sea-Eye rettete nach eigenen Angaben seit Beginn ihrer Missionen im April 2016 rund 12 000 Menschen vor dem Ertrinken. Mehrere hundert ehrenamtliche Helfer waren auf den beiden Schiffen „Sea-Eye“ und „Seefuchs“ im Einsatz.
- Die Sea-Eye ist ein 26 Meter langer ehemaliger Schiffskutter, der für die Seenotrettung umgerüstet wurde. Sea-Eye-Gründer ist Michael Buschheuer. Weitere Informationen auf Sea-eye.org.