Duisburg. Zärtlichkeiten unter Menschen mit Behinderung sind oft noch ein gesellschaftliches Tabu. Harald und Gabriele Thomas arbeiten beide für die WfbM.
Als Harald seine heutige Frau Gabriele das erste Mal im Bus auf dem Weg zur Arbeit gesehen hat, war für ihn die Sache klar: „Ich habe sie einfach geküsst“, erzählt er schmunzelnd. Mit Erfolg: Inzwischen sind die beiden seit 28 Jahren verheiratet und haben eine erwachsene Tochter. Ihre Beziehung ist etwas Besonderes. Das Ehepaar arbeitet für die Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM). Gabriele Thomas in der Küche des Restaurants „Kleiner Prinz“, Harald Thomas ist Hausmeister. Sie hat ein Lernschwäche, er bekommt in Folge einer Gehirnerschütterung Anfälle. Liebe unter Menschen mit Behinderung ist oft noch ein gesellschaftliches Tabu. Dabei sehnen sie sich genauso nach einem Partner. Träumen von Zärtlichkeiten und einer gemeinsamen Zukunft. Doch wie jemanden finden? Auch für die Eltern ist es manchmal schwer, die Bedürfnisse ihrer erwachsenen Kinder anzuerkennen, und loszulassen.
„Menschen mit Behinderung machen viele Dinge nicht so kompliziert, sondern sind gerade heraus“, weiß Sarah Güttler, Geschäftführerin der „Lebensräume“ in Duisburg. In den Wohnheimen gibt es auch Appartements für Paare. Wieder andere wohnen lieber in Einzelzimmern, etwa, wenn der Status noch nicht ganz geklärt ist. „Partnerschaften wechseln manchmal, genau wie bei anderen“, sagt Sarah Güttler. Und Stress gibt es auch wegen ähnlicher Dinge: Eifersucht zum Beispiel, Ärger über Kleinigkeiten – oder, wenn der oder die Liebste zu weit weg wohnen. Immerhin das Problem hat das Ehepaar Thomas nicht. Beide sind selbstständig, brauchen kaum Hilfe und wohnen in einer eigenen Wohnung. „Als ich ihn das erste Mal gesehen habe, ist mir direkt seine Ausstrahlung aufgefallen. Er ist ein super netter Kerl“, erinnert sich die 53-Jährige. Für beide ist es die erste große Liebe. Geheiratet wurde 1989. „Ich hatte ein schwarz-goldenes Kleid an, richtig schick“, erzählt Gabriele Thomas lächelnd. Mit 60 Gästen wurde groß gefeiert.
Tochter Sabrina komplettiert Glück
Zum Glück der beiden gehört auch Tochter Sabrina. Sie arbeitet ebenfalls in der Werkstatt, im Café „Ziegenpeter“. „Bisher hatten wir bei unseren Bewohnern noch keine Schwangerschaft. Wenn ein Paar zusammenkommt, dann führen wir Aufklärungsgespräche“, so Sarah Güttler. In einigen Fällen hätten das auch schon die Eltern übernommen. Nur einmal hätten Frischverliebte einen Kinderwunsch geäußert. Für die hat Sarah Güttler eine Babypuppe besorgt, damit sie erst einmal üben konnten, ob sie ihrer Verantwortung auch gerecht würden. Die Puppe schrie nachts, wollte alle paar Stunden die Windeln gewechselt bekommen, ganz wie im echten Leben. Mit dem Kinderwunsch war es dann schnell vorbei. „Aber wir stellen uns nicht auf den Standpunkt, dass Menschen mit Behinderung kein Recht auf ein Kind haben. Man muss im Einzelfall schauen, was möglich ist.“
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In der Bundesarbeitsgemeinschaft „Begleitete Elternschaft“, die 2002 gegründet wurde, organisieren sich deutschlandweit Einrichtungen und Projekte, die Hilfe und Assistenz für Eltern mit geistiger Behinderung vermitteln. Zahlen, wie viele Kinder geistig behinderter Menschen in Deutschland leben, gibt es nicht. Ihr Leben ist ein Balanceakt: Ihre Eltern sind zwar in der geistigen Entwicklung zurückgeblieben – die Kinder selbst haben aber oft eine gute Chance sich altersgemäß zu entfalten und zu entwickeln. Aber auch die Rechte behinderter Väter und Mütter werden durch die „begleitete Elternschaft“ gewahrt. Ihnen ist im Artikel drei des Grundgesetzes zugesichert, dass niemand wegen seiner Behinderung diskriminiert werden darf. Und die UN-Behindertenrechtskonvention, die auch in Deutschland geltendes Recht ist, unterstreicht den Anspruch körperlich und geistig behinderter Menschen auf sexuelle Selbstbestimmung sowie auf eigene Kinder.
In Duisburg gab es noch keine Fälle von begleiteter Elternschaft. „Wenn, dann ist jeder Einzelfall anders. Jugendamt, Allgemeiner Sozialer Dienst und der Landschaftsverband Rheinland sind Ansprechpartner“, beschreibt Stadtsprecher Jörn Esser. Die verschiedenen Stellen würden sich Betreuung und Kosten.teilen.
Harald Thomas gibt seiner Frau Gabriele ein Küsschen. Das Gefühl, etwas verpasst zu haben, haben beide nicht. Im Gegenteil. Gabriele Thomas sagt lächelnd: „Ich habe meine große Liebe gefunden.“
„Schatzkiste vermittelt Partner“
Gabriele und Harald Thomas hatten Glück, dass sie sich bei der Arbeit kennen gelernt haben. „Das kommt öfter vor“, weiß Sarah Güttler. Allerdings werde die Sache schwieriger, je schwerer der Grad der Behinderung sei. Für alle anderen gibt es zum Beispiel die Schatzkiste, eine Partnervermittlung für Menschen mit Behinderung. Martina Maus und Lars Ostendorf von der Kaiserswerther Diakonie führen eine Kartei, in der sich Singles mit Behinderung registrieren lassen können. Momentan sind etwa 100 Personen auf der Suche. „Männer sind deutlich aktiver als Frauen“, sagt Lars Ostendorf, der gemeinsam mit seiner Kollegin „Liebesbote“ spielt. Seit 2005 gibt es das Angebot. Die erste Schatzkiste wurde 1998 in Hamburg eröffnet.
Aussehen ist zweitrangig
Die Interessierten können sich in eine Kartei eintragen lassen. Dabei sollen sie vor allem viel von sich selbst erzählen. Erst in zweiter Linie sei wichtig, wie der Traumpartner aussehe. Auf einer Skala von eins bis fünf wird der Grad der Behinderung eingetragen. Dann machen die Flirtwilligen Angaben zum Alter, Wohnort, Hobbys und wen sie suchen. Gerade hier wird es schwierig. „Viele Menschen mit Behinderung fühlen sich nicht behindert und wünschen sich am liebsten einen Partner ohne“, beschreibt Ostendorf. Nicht alle Wünsche passen zusammen. Zudem sei wenig Bewegung in der Kartei. „Wir können den Menschen manchmal wenig Hoffnung machen.“
Besser seien da die Partys, die die Schatzkisten aus den verschiedenen Städten veranstalten. In Duisburg gab es früher mal Feten im Kleinen Prinzen. Momentan suchen die Anbieter allerdings nach neuen Räumen. Die Partys in der Kulturfabrik in Krefeld oder die in Düsseldorf laufen hingegen gut. Die meisten besuchen die Feiern in unterschiedlichen Städten. Das Kennenlernen falle den meisten hier leichter. Neulich hat sich sogar ein Paar gefunden. „Auf Wunsch begleiten wir dann von der Schatzkiste das erste Date.“
Interessenten, die etwas über die Arbeit wissen oder in die Kartei aufgenommen werden wollen, können sich bei Martina Maus melden. Telefonisch unter 0211/4093636 oder per Mail: m.maus@kaiserswerther-diakonie.de.