Duisburg/Mülheim. Im Jahr 1966 begannen die Arbeiten am „Spaghetti-Knoten“. Bauleiter Heinrich Bodmann (87) trug damals die Verantwortung über das Mammut-Bauprojekt.
- Im Spätsommer 1966 begannen die Arbeiten am Autobahnkreuz Kaiserberg in Duisburg
- In der Spitze 250 Bauarbeiter aus neun Firmen brauchten rund drei Jahre bis zur Fertigstellung
- Der Oberbauleiter der Anfangspahse erinnert sich an die Schwierigkeiten dieses Mammut-Projektes
Wer sich das Autobahnkreuz Kaiserberg einmal aus der Vogelperspektive angeschaut hat, der weiß, dass es den Spitznamen „Spaghetti-Knoten“ zu Recht trägt. Hier, am Verbindungspunkt zwischen A 3 und A 40, läuft ein Gewirr aus Straßen, Brücken und Tangenten zusammen. Vor genau 50 Jahren begannen die Arbeiten an diesem Bauwerk, das bis heute zu den bedeutendsten Verkehrsverbindungen im Ruhrgebiet zählt.
Aus diesem Anlass traf sich die Redaktion mit Heinrich Bodmann. Der heute 87-jährige Monheimer betreute das Projekt damals zu Beginn als Oberbauleiter. Noch immer ist eine große Portion Respekt in seiner Stimme herauszuhören, wenn er sagt: „Das war die größte Baustelle in meiner gesamten Laufbahn.“
Bietergemeinschaft bewirbt sich
Bauingenieur Bodmann arbeitete im Jahr 1966 für ein Düsseldorfer Unternehmen, das sich auf die Ausschreibung des Autobahnamtes Essen für den Riesenauftrag am Kaiserberg bewarb. „Wir hatten eine Bietergemeinschaft gebildet, an der sich insgesamt neun Firmen beteiligten. Für ein Unternehmen allein wäre diese Baustelle gar nicht zu stemmen gewesen“, stellt Bodmann klar.
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17 Ingenieurbauwerke galt es zu errichten – darunter zwölf Spannbetonbrücken und ein Regenrückhaltebecken. 30.000 Kubikmeter Brückenbeton und 150.000 Quadratmeter Fahrbahndecken sollten verbaut werden. Insgesamt 1,2 Millionen Kubikmeter Boden musste bewegt werden. Die Kosten für das Mammutprojekt waren mit 5 Millonen Mark kalkuliert. Im Mai 1966 erhielt die Bietergemeinschaft tatsächlich den Zuschlag. „Ende des Sommers haben wir losgelegt“, erinnert sich Bodmann. Das aber nicht im Rahmen einer feierlichen Zeremonie. „Es war eher ein schleichender, stiller Beginn.“
In der Spitze 250 Arbeiter gingen in der Folge auf der Riesenbaustelle zu Werke. „Es stürzt so viel auf einen ein“, sagt Rentner Bodmann. „Die Kernfragen lauteten für uns: Wo errichten wir die Organisationsbasis? Und wo fange ich danach in diesem Gewirr an?“
Ständig hat sich die Verkehrsführung geändert
Die Antwort auf Frage eins lautete: an der Dörnerhofstraße. Dort errichtete das Team eine Baracke, die fortan als berufliche Heimat für Ingenieure, Vermesser, die Bauleiter und die Abrechner diente. Abrechner? „Natürlich“, erklärt Bodmann. „Damals wurden die Arbeiter direkt auf der Baustelle ausbezahlt.“
Die eigentlichen Arbeiten am Autobahnkreuz starteten mit der Brücke an der Carl-Benz-Straße. Zuvor hatten Raupen für die Baufeldräumung gesorgt: Bäume, Sträucher und Gebüsche wurden beseitigt. Und auch der Verteilerkreis, auf den die alte A-3-Ausfahrt Kaiserberg führte, wurde abgetragen. „Wir haben dann immer abschnittsweise weitergebaut – und das alles unter laufendem Verkehr auf der A 3 und der A 40, die damals noch B 60 hieß“, erklärt Bodmann. Ständig habe sich die Verkehrsführung geändert. Das war ein Gefahrenherd für die Verkehrsteilnehmer, vor allem die Lkw. Es habe Irrfahrten und Unfälle gegeben.
Arbeitspensum: Zwölf Stunden plus X
Die Arbeiten seien trotzdem planmäßig vorangekommen, versichert Bodmann: „Unser Arbeitspensum lag bei zwölf Stunden plus X pro Tag. Aber das Team der Bauarbeiter war richtig gut eingespielt.“ Man sei ab und an gemeinsam zum Kegeln gegangen oder spielte Fußball, um den Teamspirit zu fördern. „Die Truppe war spitze. Wir hatten sehr viele Mitarbeiter aus dem früheren Jugoslawien dabei, vor allem Kroaten“, erinnert sich der einstige Oberbauleiter und fügt lobend hinzu: „Das waren alles fleißige, zuverlässige Arbeiter.“
Nach anderthalb Jahren gab Bodmann die Verantwortung über die Baustelle aber weiter – an seinen Nachfolger Dr. Joachim Peters. Er selbst hatte die Möglichkeit, bei seiner Düsseldorfer Firma die Abteilung Straßenbau zu übernehmen. „Das war für mich ein Karrieresprung. Doch dafür konnte ich die Baustelle am Kaiserberg nicht zu Ende bringen“, erzählt er von einem lachenden und einem weinenden Auge. Drei Monate blieben ihm zur Übergabe an seinen Nachfolger. „Damals waren schon rund 75 Prozent fertig. Die größten Probleme waren gestemmt. Da fällt einem ein solcher Schritt deutlich leichter.“
Und was empfindet Bodmann, wenn er heute, 50 Jahre nach Baubeginn, mit dem Auto durch das Autobahnkreuz Kaiserberg fährt? „Ein ungutes Gefühl! Einer meiner Mitarbeiter hat dort bei einem tragischen Unfall seinen Sohn verloren. Daran muss ich bis heute denken, wenn ich dort lang fahre.“
Das Kreuz Kaiserberg wurde dann im Sommer 1969 nach rund dreijähriger Bauzeit fertiggestellt und eröffnet.
Der Duisburger Spaghetti-Knoten
Daten, Fakten und Anekdoten vom Autobahnkreuz Kaiserberg
Das "Spaghetti-Dorf": Um die bis zu 250 Arbeiter in unmittelbarer Nähe zur Baustelle unterbringen zu können, wurde im Jahr 1966 in der Nähe des alten Verteilerkreises Kaiserberg eine Holzbau-Siedlung errichtet. In diesen Baracken lebten und schliefen die Malocher. Von der Bevölkerung bekam diese Ansiedlung gleich den passenden Spitznamen verpasst: „Spaghetti-Dorf“. Dort lebt das recht junge Team: Die meisten der Mitarbeiter sind damals unter 40 Jahre alt.
Nur am Wochenende heim: Viele der Baracken-Bewohner fuhren an den Wochenenden heim. Einer von ihnen war August Katmann aus Ostfriesland, den WAZ-Mitarbeiter Wolfgang Dicke für die Ausgabe vom 7. Oktober 1967 interviewte. „Ich war Schumachermeister“, erzählte Katmann. „Aber da war nichts mehr zu verdienen. Deshalb bin ich zum Bau gegangen“, so der Betonbauer. Erstaunlich: Viele der Männer bekochen sich unter der Woche selbst. In den Baracken wurden eigens Kochstellen eingerichtet.
Die Völkerwanderung: Kaum hatte der letzte Arbeiter nach dem Ende der Freitagsschicht die Großbaustelle in Richtung Heimat verlassen, da nahte bereits der nächste Menschenauflauf. Zahlreiche neugierige Duisburger strömten samstags und sonntags auf das Areal – vor allem Väter mit ihren Söhnen wollten das Voranschreiten der Arbeiten hautnah unter die Lupe nehmen, so der damalige Oberbauleiter Heinrich Bodmann – und das, obwohl das Betreten der Baustelle verboten war. Doch die engagierten Wachleute waren machtlos. Das Areal und der Andrang waren einfach zu groß. „Bei schönem Wetter war das eine regelrechte Völkerwanderung“, so Bodmann.
Besuch von Langfingern: Unter den Schaulustigen befanden sich auch einige Langfinger: „Was dort nicht alles gestohlen wurde“, erzählt Bodmann. Fast zehnmal wurden die rund 100 Meter langen Stromkabel der großen Turmkräne gestohlen. Der Materialschaden lag bei rund 4000 Mark pro Kabel. „Das war aber nicht das Schlimmste“, so Bodmann. „Viel schlimmer war, dass die Kräne dann einen Tag still standen und wir nicht wie geplant weiterarbeiten konnten.“
Furcht vorm großen Lkw: Während der Arbeiten an den Brücken mussten auch zahlreiche Gerüste errichtet werden. Damit die auf der A 3 fahrenden Lkw (dort lief der Verkehr ja damals weiter) diese Gerüste wegen ihrer Höhe nicht beschädigten oder gar einrissen, wurde eine besondere Anlage errichtet. Diese verwehrte allen Lkw mit zu großen Ausmaßen die Durchfahrt. „Manche sind trotzdem durchgebrettert“, so Bodmann. Sie mussten dann aufwändig zurückgeschleppt werden.
Das Verkehrsaufkommen: Das Autobahnkreuz Duisburg ist heute einer der meistbefahrenen Verkehrsknotenpunkte im Land. Laut Straßen NRW fahren allein zwischen dem Kreuz und der A-3-Ausfahrt Oberhausen-Lirich pro Tag über 140 000 Fahrzeuge, darunter über 16 000 Lkw. Zwischen Duisburg-Wedau und dem Kreuz sind es knapp 110 000 Fahrzeuge auf der A 3 pro Tag. Und auf der A 40 sind es zwischen den Kreuzen Duisburg und Kaiserberg knapp 115 000 pro Tag.