Duisburg. WM-Gold hat er bereits, in Rio will der Duisburger Sprinter David Behre Paralympisches Gold holen und damit seine Karriere krönen.

Es gibt derzeit nur noch ein Ziel, ein einziges Datum im Leben von David Behre. In Rot hat er sich in jedem Kalender den 15. September markiert. Den Tag des 400-Meter-Endlaufs.

Der 29-jährige Sportler senkt den Kopf und geht in Startposition. Seine Augen schauen nicht auf Spikes, kontrollieren nicht, ob die Schnürsenkel geschlossen sind. Seine Augen sehen beim Tiefstart graues Carbon. Beim Startschuss schnellen die Prothesen aus dem Block, als wenn sie Teil von Behres Körper wären. Mit langen Schritten nimmt er Fahrt auf, lässt Trainingskollegen hinter sich.

Er ist der schnellste Mann ohne Füße.

Nach einem schweren Unfall ist David Behre beidseitig unterschenkelamputiert. Und was kaum nachzuvollziehen ist: Traurig scheint er darüber nicht zu sein.

Motorcross-Leistungssportler

„Ich lebe meinen Traum“, sagt der gebürtige Duisburger. Eine abgedroschene Floskel, die jedoch selten so gut passt wie auf den Strahlemann des TSV Bayer Leverkusen. Profisportler, das wollte er schon immer werden. Versucht hat er es mit Motorcross. „Aber, ganz ehrlich, das hätte sowieso nicht geklappt.“ Dann sagt er einen Satz, der einem Gänsehaut bereitet: „Da musste erst der Unfall kommen.“ Ein Unfall, der schrecklicher kaum hätte sein können.

Tüfteln, schrauben, ausprobieren: Die Prothesen müssen passen.
Tüfteln, schrauben, ausprobieren: Die Prothesen müssen passen. © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann

Am 8. September 2007 radelt David Behre von einer Feier nach Hause. Der Wind steht ungünstig, die Kreuzung ist nicht gut einzusehen. Behre hat keine Chance, als er an dem unbeschränkten Bahnübergang vom Zug erwischt wird. Viele Meter wird er mitgeschleift, liegt anschließend stundenlang blutend im Gebüsch, ehe ihn endlich jemand findet. Seine Unterschenkel hat der Zug abgetrennt.

Der junge Sportler wird in die BG Unfallklinik Duisburg eingeliefert und operiert. Dort, im Tal der Tränen, in dem viele Verunglückte manchmal für immer verweilen, schöpft der damals 20-Jährige neuen Mut. Er sieht einen gewissen Oscar Pistorius im Fernsehen bei den Paralympics über die Tartanbahn rennen. Vorbei an allen Mitstreitern. „Ich dachte nur, das will ich auch.“

Seitdem ist viel passiert im Leben des David Behre: Tatsächlich ist er jetzt Sprinter. Jettet zu Wettkämpfen um die Welt. 2012 schafft er die Qualifikation zu den Paralympics in London. Tritt im 400- Meter-Finale sogar gegen Pistorius an. 2015 wird er Weltmeister auf seiner Paradestrecke. Und 2016? Da soll die Krönung folgen. Paralympisches Gold, das ist sein Traum. Es ist ein großes Ziel in seinem Sprint zurück ins Leben.

David Behre geht wieder in Startposition, schaut auf graues Carbon und ist gedanklich schon in Rio.

Infos von der Trainerbank 

Drei Fragen an Thomas Börger

1. Sie sind Landessportwart des Behinderten- und Rehabilitationssportverbandes Nordrhein-Westfalen (BRSNW). Ist Inklusion im Spitzensport möglich?

Thomas Börger: Sie ist nur bedingt möglich. Im Training klappt das sehr gut, dass

Thomas Börger, Landessportwart desBehinderten- und Rehabilitationssportverbandes Nordrhein-Westfalen.
Thomas Börger, Landessportwart desBehinderten- und Rehabilitationssportverbandes Nordrhein-Westfalen. © BRSNW

Sportler mit und ohne Behinderung gemeinsam trainieren, sich auf Wettkämpfe vorbereiten und voneinander profitieren können. Im Wettkampf ist es abhängig von der Art und Schwere der Behinderung, der Sportart und dem Einsatz von Hilfsmitteln. Ein aktuelles Beispiel ist die Diskussion um den paralympischen Weitspringer Markus Rehm. Da gibt es ein Regelwerk, das der Teilnahme von Sportlern mit Behinderung entgegenstehen kann.

2. Für Leichtathleten mit Behinderung gibt es verhältnismäßig wenige Wettkämpfe. Könnten nicht mehr Veranstaltungen mit nicht-behinderten Sportlern zusammengelegt werden?

Börger: Das wird zum Teil schon gemacht, könnte aber sicher noch ausgebaut und selbstverständlicher werden. Am 8. Juli fand in Leverkusen zum Beispiel das 6. Integrative Sportfest statt. Auf anderen Wettkämpfen starten Sportler mit und ohne Behinderung auch schon häufig gemeinsam, aber mit getrennten Wertungen.

3. Welche Projekte zur Inklusion gibt es?

Börger: Als Hilfestellung gibt es zum Beispiel den „Index für Inklusion im und durch Sport“ des Deutschen Behindertensportverbandes. Außerdem hat der BRSNW gemeinsam mit dem Landessportbund und dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport das Projekt „Sport und Inklusion im Verein“ ins Leben gerufen. Es wurden zusammen mit Sportvereinen Lösungen für den uneingeschränkten Zugang von Menschen mit Behinderung zum Sport entwickelt.

Hilfsmittelcheck

Sie sind ultraleicht, ergonomisch geformt und sitzen perfekt: Die Carbonprothesen von David Behre sind speziell auf den Ausnahmesportler angepasst, kosten mit rund 30 000 Euro so viel wie ein Mittelklassewagen. „Ich arbeite eng mit meinem Orthopäden zusammen, denn es müssen sehr viele Feinabstimmungen gemacht werden“, sagt Behre, dessen Sprintfedern allerdings keine Spezialanfertigungen sind.

„Die Ausgangsprothese kommt quasi von der Stange.“ Kosten: Rund 10 000 Euro. Dann muss getüftelt, optimiert und angepasst werden. Viel Spielraum bleibt dem 29-Jährigen dabei nicht: „Durch die Richtlinien sind wir stark reglementiert, was das Ausprobieren angeht.“ Behre verrät allerdings: „Ich dürfte theoretisch noch fünf Zentimeter wachsen.“ Also, längere Prothesen verwenden, die eine größere Schrittlänge ermöglichen würden. Aber: „Ich mache das nicht, weil ich für Fairness bin.“

Das Wichtigste sei ohnehin, dass der Schaft perfekt passe. „Pro Schritt sind es ein paar hundert Kilo Druck, die auf dem Stumpf lasten.“ Da dürfe nichts wackeln oder drücken. Bei seinen ersten Trainingseinheiten, erinnert sich Behre, hätte er viele, viele Schmerzen gehabt.

Inklusionscheck

David Behre ist sich sicher: „Im Leistungssport gibt es keine Inklusion.“ Durch Hilfsmittel käme es automatisch zu Verschiebungen in der Messbarkeit. „Ich fände es außerdem sehr schade, wenn die besten Paralympioniken zu den Olympischen Spielen abwandern würden“, so Behre. Der Hochleistungssportler ist viel mehr dafür, die Paralympics als Plattform zu stärken und paralympischen Sport noch mehr hervorzuheben. Beide Großereignisse gleichzeitig stattfinden zu lassen, hält er allerdings für problematisch: „Für die Sportler wäre es natürlich toll, aber rein logistisch ist es einfach nicht möglich.“

Weltrekord

Ist noch immer paralympischer Weltrekordhalter: Oscar Pistorius.
Ist noch immer paralympischer Weltrekordhalter: Oscar Pistorius. © imago sportfotodienst

Den Weltrekord über 400 Meter in der Startklasse T43 hält Oscar Pistorius, der seit Jahren aber nicht mehr wegen sportlicher Erfolge Schlagzeilen macht. Der unterschenkelamputierte Südafrikaner wurde wegen Totschlages an seiner Freundin Reeva Steenkamp, die er 2013 erschossen hat, zu sechs Jahren Haft verurteilt. 2011 lief er im südkoreanischen Daegu die Stadionrunde in 45,39 Sekunden. Pistorius ist der einzige paralympische Athlet, der auch bei den Olympischen Spielen starten durfe: 2012 erreichte er in London das Halbfinale der nicht-behinderten Sprinter.

David Behres Glück auf Protesen

David Behre in voller Action...
David Behre in voller Action... © picture alliance / Mika
...Nach einem Unfall mit einem Zug mußten dem Moerser im Jahr 2007 die Unterschenkel amputiert werden...
...Nach einem Unfall mit einem Zug mußten dem Moerser im Jahr 2007 die Unterschenkel amputiert werden... © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann
...Heute trainiert der 27 Jährige für seinen Verein Bayer 04 Leverkusen...
...Heute trainiert der 27 Jährige für seinen Verein Bayer 04 Leverkusen... © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann
...Aufwärmen, heißt auch bei Behne Dehnen, Dehnen und...
...Aufwärmen, heißt auch bei Behne Dehnen, Dehnen und... © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann
...Dehnen...
...Dehnen... © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann
...Auf einer Party lhatte Behre Heinrich Popow kennengelernt, viermaliger paralympischer Medaillengewinner im Weitsprung...
...Auf einer Party lhatte Behre Heinrich Popow kennengelernt, viermaliger paralympischer Medaillengewinner im Weitsprung... © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann
... Über ihn kommt Behre im 2008 zu Bayer 04 Leverkusen. Dort entdeckt man sein Talent als Sprinter und Kurzstreckenläufer...
... Über ihn kommt Behre im 2008 zu Bayer 04 Leverkusen. Dort entdeckt man sein Talent als Sprinter und Kurzstreckenläufer... © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann
...Mit Hilfe von Sponsoren bekommt David Sprintprothesen...
...Mit Hilfe von Sponsoren bekommt David Sprintprothesen... © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann
... Ein paar Minuten soll er sie am ersten Tag tragen. Er läuft fünf Stunden damit herum...
... Ein paar Minuten soll er sie am ersten Tag tragen. Er läuft fünf Stunden damit herum... © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann
...Bei den paralympischen Spielen in London holte er 2012 Bronze mit der Staffel. Seine Lieblingsstrecke sind 400 Meter...
...Bei den paralympischen Spielen in London holte er 2012 Bronze mit der Staffel. Seine Lieblingsstrecke sind 400 Meter... © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann
... Bei den Paralympics in Rio de Janeiro will Behre 2016 eine Einzelmedaille erlaufen, in Tokio 2020 auch...
... Bei den Paralympics in Rio de Janeiro will Behre 2016 eine Einzelmedaille erlaufen, in Tokio 2020 auch... © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann
...Pläne für die Zeit nach der Sportkariere gibt es auch schon. „Ich würde gerne ein Reha-Zentrum aufbauen speziell für junge Menschen, die einen schweren Unfall hatten“, sagt David Behre.
...Pläne für die Zeit nach der Sportkariere gibt es auch schon. „Ich würde gerne ein Reha-Zentrum aufbauen speziell für junge Menschen, die einen schweren Unfall hatten“, sagt David Behre. © WAZ FotoPool/ Ralf Rottmann
...Außerdem kann man Behre...
...Außerdem kann man Behre... © Uwe Zak, WAZ FotoPool
...auf Lesungen erleben. Der heute 27-Jährige...
...auf Lesungen erleben. Der heute 27-Jährige... © Uwe Zak, WAZ FotoPool
...hat über sein Schicksal ein Buch geschrieben.
...hat über sein Schicksal ein Buch geschrieben. © Uwe Zak, WAZ FotoPool
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