Duisburg. Hildegard Stieler ist bei der Stadt Duisburg zuständig für die Koordination von Freiwilligen - nicht erst seit Flüchtlinge kommen.

Seit 40 Jahren arbeitet Hildegard Stieler bei der Stadt, seit zehn Jahren kümmert sie sich im Dezernat des Oberbürgermeisters um den Kontakt zum Bürger. Sie nimmt Beschwerden entgegen, betreut die Ehrenamtlichen, die sich etwa als Spielplatz- oder Vorlesepaten engagieren – und koordiniert nun die vielen Anfragen und Hilfsangebote, die täglich bei der Stadt eingehen. Im besten Fall läuft alles reibungslos und Hildegard Stieler zieht die Strippen im Hintergrund.

Wie viele Anfragen kommen pro Tag?
Hildegard Stieler: Bevor wir die Homepage mit sämtlichen Anlaufstellen freigeschaltet haben, waren es rund 40, 50 Telefonate, die wir pro Tag geführt haben. Inzwischen sind es rund 20 bis 30. Die Leute melden sich, wenn sie ein ehrenamtliches Betätigungsfeld suchen, Kleider spenden wollen oder eine Wohnung im Angebot haben. Wichtig ist mir, dass sich jeder wahrgenommen fühlt und sein Engagement gewürdigt wird. In vielen Fällen verweisen wir die Freiwilligen an die Runden Tische in den Stadtteilen. Die Arbeit vor Ort funktioniert gut.

Flüchtlinge in DuisburgBevor die Stadt eine eigene Homepage aufgebaut hat, haben sich die Ehrenamtlichen selbst via Facebook koordiniert. Auch heute läuft noch viel Kommunikation über die sozialen Netzwerke. Warum hat es bei der Stadt so lange gedauert, bis sie selbst aktiv wurde?
Hildegard Stieler: Wir haben schon vorher viel koordiniert, ohne dass es sichtbar wurde. Bei uns ist es aber so, dass wir als Stadt die Dinge erst einmal prüfen müssen, bevor wir sie veröffentlichen. Deshalb haben wir uns die Zeit genommen, die Seite entsprechend aufzubauen. In vielen Fällen kann über Facebook aber auch schneller kommuniziert werden. Etwa wenn ein Fußballverein, der Flüchtlinge zum Training einlädt, ein paar Fußballschuhe sucht – und diese dann innerhalb weniger Stunden dort abgegeben werden.

Immer wieder melden sich Duisburger, die Kleider spenden wollen und bei Heimen abgewiesen werden, weil die Kammern voll sind. Das frustriert diejenigen, die helfen wollen.
Hildegard Stieler: Das stimmt, und deshalb ist es mir auch so wichtig, dass sich alle, die sich melden, wahrgenommen fühlen. Neulich gab es einen Aufruf der Caritas Süd und nach zwei Tagen war dort alles voll. Als Stadt haben wir keine Möglichkeit, Spenden zu lagern – das läuft alles dezentral vor Ort. Das ist ein riesiger logistischer Aufwand. Auf dem kurzen Dienstweg habe ich zum Beispiel die Gesellschaft für Beschäftigungsförderung aktiviert, damit sie die Spenden, die in der Zeltstadt Walsum angekommen sind, zur Frankenschule bringen. Ich bekomme aber auch Anrufe von anderen Trägern, etwa dem Friedensdorf in Oberhausen, die sich beklagen, dass dort wesentlich weniger Spenden ankommen. Wenn sich also jemand bei mir meldet, versuche ich den Anrufer auch an solche Stellen zu vermitteln. So kommt es auf jeden Fall Menschen zugute, die Hilfe brauchen.

Privatsphäre der Flüchtlinge achten 

Im Grunde helfen die Ehrenamtlichen der Stadt ziemlich aus der Patsche – schließlich kümmert sich die Verwaltung derzeit vor allem um die Unterbringung der Flüchtlinge.
Hildegard Stieler: Die Ehrenamtlichen helfen der Stadt sehr, das ist richtig. Bei der Masse der Flüchtlinge können wir momentan nicht mehr leisten, als ihnen ein Obdach anzubieten und sie zu versorgen. Im zweiten Schritt geht es dann darum, Deutschkurse anzubieten und die Kinder in Kindergärten und Schulen unterzubringen. Die Integration der Flüchtlinge findet vor Ort statt, deshalb ist es wichtig, dass sich die Ehrenamtlichen kümmern, mit den Kindern spielen, Deutschkurse anbieten oder Sportangebote machen.

Heike Lochert (links) und Natalie Papesch sortieren als ehrenamtliche Helferinnen die Kleidung in St. Barbara.
Heike Lochert (links) und Natalie Papesch sortieren als ehrenamtliche Helferinnen die Kleidung in St. Barbara. © Lars Fröhlich

Bei Begegnungen zwischen Ehrenamtlichen und Flüchtlingen ist die Stadt restriktiv und lässt die Bürger kaum in die Heime.
Hildegard Stieler: Das geht nicht anders, wir wollen ein Mindestmaß an Privatsphäre garantieren. In den meisten Unterkünften gibt es Sozialräume, wo Angebote und Besuche möglich sind. Ein Beispiel sind die Ehrenamtlichen in Walsum. Dort engagieren sich fast 80 Personen. Die haben sich gut organisiert und in Absprache mit der Hausverwaltung geklärt, wer zur Flüchtlingshilfe gehört und die Einrichtung besuchen kann. In anderen Fällen holen Vereine die Flüchtlinge aber auch vor Ort ab, damit sie auch mal etwas anderes sehen.

Inwieweit hat die Stadt Verantwortung für die Ehrenamtlichen und sollte sie auf ihre Aufgabe vorbereiten?
Hildegard Stieler: Wenn es um eine Tätigkeit in einem städtischen Bereich geht, führen wir mit jedem vorher ein Gespräch, was er oder sie sich vorstellt. Jeder sollte sich nur so weit einbringen, wie es für ihn zumutbar ist. Bei ­Fragen oder Konflikten sollten sich die Ehrenamtlichen auch an ihre Ansprechpartner wenden, die in vielen Fällen vor Ort sind – oder uns ein Zeichen geben. Es stimmt: Man wird mit viel Leid konfrontiert.

Abends bleibt das Telefon aus 

Inzwischen gibt’s immer mehr kritische Stimmen zur bundesweiten Situation. Merken Sie bei Ihrer Arbeit, dass die Stimmung kippt?
Hildegard Stieler: Nein, zum Glück nicht. Das Engagement ist nach wie vor groß und wir bekommen viele Hilfsangebote. Das ist wichtig, denn die Aufgabe wird nicht bis zum 31. Dezember gelöst sein.

Die Verwaltung gilt oft als langsam. Kann die Stadt auch pragmatisch?
Hildegard Stieler: So wie die Stadt jetzt arbeitet, das habe ich in den vergangenen Jahren noch nicht erlebt. Die Bürger haben viele Ideen und vieles konnte ich auf dem kurzen Dienstweg möglich machen. Auch die städtischen Gesellschaften helfen dabei. Aber wir laufen alle am Limit.

Wie viele Überstunden haben Sie derzeit?
Hildegard Stieler: Ich habe aktuell nicht geschaut, aber 100 müssten es sein. Oft telefoniere ich bis 16 Uhr und fang’ danach mit meiner regulären Arbeit an.

Hand aufs Herz: Telefonieren Sie überhaupt noch privat?
Nicht mehr so viel. Meine Bekannten und Verwandten beschweren sich in der Tat manchmal, dass ich abends nicht mehr ans Telefon geh’...