Duisburg. . Zwei Duisburger „Lebensräume“-Wohnheime für Menschen mit Behinderung feiern runden Geburtstag und präsentieren ihre Wohnformen.

„Kommense rein in meine Wohnung, aber nicht auf den Boden schauen, ich hab nicht gefegt.“ Gisela Boveland öffnet die Tür. Streng genommen ist die Wohnung ein Zimmer, 14 Quadratmeter groß. Genau für diese Größe gibt es Zuschüsse vom Landschaftsverband Rheinland. Gisela Boveland wohnt seit acht Jahren in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung. Das Haus an der Fischerstraße wurde vor 20 Jahren eröffnet. Gemeinsam mit einer anderen Wohnstätte an der Wintgensstraße, die in diesem Jahr zehn Jahre alt wird, wird am Freitag unter dem Motto „Zwanzig Zehn“ ein großes Fest im Ziegenpeter gefeiert. Träger beider Häuse sind die „Lebensräume.“

„Anfangs war ich ein bisschen traurig und hatte viel Heimweh“, gibt Gisela Boveland zu. Die 61-Jährige hat zuvor bei ihren Eltern gewohnt. „Ein Mitarbeiter hat mir dann den Tipp gegeben, abends ein bisschen Fernsehen zu gucken, damit ich auf andere Gedanken komme“, erzählt sie. Außerdem hat sie viele Fotos an den Wänden hängen. Sie zeigen ihre Eltern, die Schwester und Hunde, die zur Familie gehören. Die Regale hat sie ebenfalls mit Stoffhunden oder Igeln dekoriert. Zweimal pro Woche gibt’s Taschengeld, manchmal kauft sie davon neue Deko. Am liebsten sitzt sie in ihrem Sessel, die Füße hoch auf einen Hocker gestreckt. Das Bett ist versteckt – eingeklappt in einen Schrank. „Dann sieht’s aufgeräumter aus.“ Die Möbel hat sie teilweise selbst mitgebracht.

Gisela Boveland gefällt ihre Wohnung richtig gut

Das Zusammenleben mit den Nachbarn, insgesamt wohnen 13 Männer und Frauen mit Behinderung in dem Haus an der Fischerstraße, funktioniert wie in einer Wohngemeinschaft. „Da knallen auch schon mal Türen“, weiß Wohnstättenleiterin Anke Klein. Gisela Boveland ist entspannt: „Wenn die anderen mich nerven, dann mach ich die Tür hinter mir zu – und denk mir: Ihr könnt mich alle mal.“ Wenn es schwer wiegenden Knatsch gibt, wird das auch in der Grupppe besprochen. Aber meistens ist nach fünf Minuten der Streit bei allen wieder vergessen.

In der Küche hängt übrigens ein Wochenplan. Montags und freitags wird Taschengeld ausgezahlt. Die Bewohner arbeiten in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Da einige von ihnen unter Betreuung stehen, wird das Geld für sie verwaltet und gespart – etwa für gemeinsame Reisen. Vom Taschengeld können sie hingegen Kleinigkeiten kaufen. „Wir sind ein offenes Haus, die fitten Bewohner gehen auch mal alleine zur Fußgängerzone nach Wanheimerort“, erklärt Anke Klein. Gisela Boveland nimmt hingegen nur eingeübte Wege, etwa zur Kirchengemeinde oder zu Freunden.

Sie ist leicht dement. „Es ist die erste Generation von Menschen mit Behinderung, die so ein Alter erreicht“, weiß Sarah Güttler, Geschäftsführerin der „Lebensräume.“ Das bringt typische Begleiterscheinung des Alters mit sich. Deshalb gibt es auch Diskussionen von Fachleuten, ob Personen mit hohem Pflegebedarf in einem Pflegeheim besser aufgehoben wären. „Wir können aber jede pflegerische Leistung auch erbringen und wollen unseren Bewohner ermöglichen, so lange wie es geht, in ihrem gewohnten Umfeld zu bleiben“, sagt Sarah Güttler.

„Mir gefällt’s hier richtig gut“, ist Gisela Boveland von ihren eigenen vier Wänden begeistert.

Leiterin: Jedes Haus hat seinen Charme 

„Jedes Haus ist anders und hat seinen Charme“, erklärt Sarah Güttler mit Blick auf das Wohnheim an der Wintgensstraße. Das Haus wurde vor zehn Jahren neu gebaut und ist größer als die Einrichtung an der Fischerstraße. Nicht zuletzt kommt es auch darauf an, wie fit die Bewohner sind und wie viel sie noch selbst erledigen können.

In der zweiten Etage ist das „Hoheitsgebiet von Daniela.“ Darunter ist notiert: „Alles hört auf mein Kommando.“ Daniela Voß zeigt stolz einen Zeitungsausschnitt einer integrativen Karnevalssitzung, auf dem sie zu sehen ist. „Meine Familie ist berühmt“, sagt sie und lächelt. Dann verrät sie noch ein Geheimnis: In einer Schublade versteckt sie ihren Süßigkeiten-Vorrat, damit andere Bewohner ihr die nicht mopsen.

Die Zimmer kann jeder inviduell einrichten. Teilweise sind die Wohnbereiche mit medizinischem Gerät ausgestattet. So wie in dem Reich von Ina Burs. Die junge Frau sitzt im Rollstuhl und wird mit Hilfe eines Deckenlifts ins Bett befördert. „Bei uns arbeiten Pfleger und Sozialarbeiter“, erklärt Wohnstätten-Leiterin Barbara Kiebart. Morgens werden die Bewohner, die Hilfe benötigen, beispielsweise gewaschen. Andere machen sich ihr Frühstück selbst und helfen beim Tischdecken. „Jeder soll das machen, was er noch kann“, so Barbara Kiebart. Nur das frühe Aufstehen, damit alle pünktlich in die Werkstatt kommen, ist nicht jedermanns Sache.

Wartelisten für die Häuser

175 Wohnheimplätze bieten die „Lebensräume“ in Duisburg an, hinzu kommen 80 ambulant betreute Plätze. Das erste Haus entstand vor rund 40 Jahren in Walsum. „Das war damals die Zeit, in der man sich fragte, wie lange Menschen mit Behinderung zu Hause wohnen können“, erinnert sich Sarah Güttler. Als sie vor zwei Jahren die Geschäftsführung übernahm, benannte sie die Gesellschaft „Wohnstätten für Menschen mit Behinderung“ in „Lebensräume“ um. Träger der „Lebensräume“ sind die Werkstatt für Menschen mit Behinderung, die Lebenshilfe, der Verein für Körper- und Mehrfachbehinderte und das Lions Hilfswerk Duisburg-Hamborn.

„Grundsätzlich können sich die Bewohner aussuchen, wo sie wohnen wollen, allerdings führen wir Wartelisten für die Häuser.“ Der Bedarf für weitere Einrichtungen sei da. „Künftig wollen wir aber eher intensivbetreute Wohngruppen in Mietshäusern anbieten. Es geht dabei auch um den Inklusions-Gedanken“, betont Sarah Güttler. Zuletzt wurden zwei Wohnungen angemietet. Eine davon über dem neuen ADAC-Gebäude. „Da hatten wir Glück, die wurden barrierefrei neu gebaut, in diesem Bereich gibt’s nicht so viele Angebote.“