Duisburg. . Azerina Schulz und Elma Habibovic flohen in den 1990er Jahren, als in Bosnien der Krieg ausbrach. Nun setzen sie sich für heutige Asylbewerber ein.

„Bis vergangenes Jahr habe ich mich eigentlich ganz gut eingedeutscht gefühlt. Und dann begann die Diskussion um die Flüchtlinge.“ Am 20. November 1992, vor 23 Jahren, floh Azerina Schulz mit ihrem Brudern aus Bosnien. Ihr Vater und ihre Mutter sind ums Leben gekommen. Sie war 16 Jahre alt, der Bruder zweieinhalb Jahre jünger, als ein Hilfswerk die beiden nach Tschechien evakuierten. Das ZDF berichtet damals über den Krieg und zeigt auch das Schicksal der Geschwister. So erfährt ein Onkel in Dortmund davon und holt die Kinder zu sich. „Das war ein ganz schöner Schock“, erinnert sie sich an die ersten Eindrücke in der Dortmunder Nordstadt. Sie will ihre Geschichte erzählen, damit die Leute mehr Verständnis für die heutigen Flüchtlinge entwickeln.

Der Traum vom Medizinstudium

Azerina Schulz, heute 39, hat Glück. „Eigentlich stand ich in Bosnien kurz vor dem Abitur. Hier sollte ich dann die Hauptschule besuchen. Das war aber gut, denn ich hatte engagierte Lehrer, die sich um mich gekümmert haben.“ Ihr Traum war es immer, Medizin zu studieren. Die Lehrer raten ihr indes erst einmal eine Ausbildung zur Krankenschwester zu machen. „Ich habe eine Chance bekommen, und die haben die Flüchtlinge heute auch verdient. Schließlich bringen wir etwas in die Gesellschaft ein.“ Die Mutter von zwei Kindern arbeitet für die St. Elisabeth Gruppe in Herne in einer Beratungsstelle und berät dort nicht nur in Sachen Pflegeleistungen, sondern auch neue Flüchtlinge, die versorgt werden müssen. „Da schließt sich bei mir der Kreis.“

Die Tochter von Azerina Schulz besucht den Kindergarten Zaubersterne in Neuenkamp – ebenso wie die Tochter von Elma Habibovic, die ein ähnliches Schicksal teilt. Sie war elf Jahre alt, das älteste von vier Kindern, als die Mutter mit dem Nachwuchs aus Travnik flieht. „Mein Vater war Kaufmann und unterwegs, als sich die Lage zuspitzte.“ Irgendwie gelangen sie zum Flughafen nach Sarajevo. Dort geht es nicht mehr weiter. „Wir hatten kein Geld und keine Pässe“, erinnert sie sich. Doch dann wird ein kroatischer Taxifahrer auf die Familie aufmerksam. Er setzt sich für sie ein, verhandelt mit einer Fluggesellschaft, dass sie doch fliegen können – auch wenn sie keine Pässe haben. Er verspricht, die Rückflüge zu bezahlen, falls sie nicht einreisen dürfen. Es klappt, sie landen in Düsseldorf und für die Familie beginnt ein neues Leben in Bochum bei einem Verwandten. „Ich habe mich dann selbst in einer Schule angemeldet. Ich kannte ja den Unterschied zwischen Haupt- und Realschule nicht.“ Nach einem halben Jahr auf der Realschule kommt sie auf die Hauptschule. „Ich habe mich lächerlich gefühlt. Ich konnte alles, habe die Sprache aber nicht gut verstanden.“ Als jemand „Ausländer raus“ schreit, brüllt sie mit. Heute kann sie darüber lachen.

"Mit Würde hat diese Unterbringung nichts zu tun"

Nach ein paar Jahren wurde die Wohnung bei den Verwandten zu eng. Ein Bekannter besorgte den Habibovics ein kleines Zimmer, dass sie sich zu sechst teilten. „Meinem Vater war immer wichtig, dass wir nicht in ein Flüchtlingsheim gehen. Da musste man sich Bad und Küche mit vielen Menschen teilen.“ Azerina Schulz ergänzt: „Meine Tanten waren in einem Heim in Mülheim. Natürlich sind die Zustände im Krieg schlimm, aber mit Würde hat diese Unterbringung nichts zu tun. Da gibt es überhaupt keine Privatsphäre.“

Die Debatte, die losgetreten wurde, als klar war, dass Flüchtlinge in die alte Hauptschule nach Neuenkamp ziehen, hat die Frauen erschreckt. „Wir denken daran, wie es den Kindern und der Familie geht, den anderen geht’s nur darum, dass die Grundstückspreise sinken könnten“, sagt Azerina Schulz kopfschüttelnd. Elma Habibovic gibt zu bedenken: „Wenn man so eine Flucht nicht mitgemacht hat, kann man das vielleicht nicht nachvollziehen.“ Manchmal wird ihr 13-jähriger Sohn noch immer als „Ausländer“ beschimpft. Dabei ist er in Deutschland geboren. „Meine Kinder fahren nach Bosnien, um dort Ferien zu machen“, erklärt auch Azerina Schulz. Zuhause sind sie in Duisburg.

Als Jugendliche geduldet 

Elma Habibovic kann sich noch gut erinnern, wie sie als Jugendliche auf gepackten Koffern saß. „Ich war in der zehnten Klasse, habe einen Realschulabschluss mit Qualifikation geschafft, konnte mir aber keine Ausbildungsstelle suchen, weil wir nur geduldet waren.“ Mal gab’s die Genehmigung für einen Monat, dann wieder für drei. Kein Betrieb wollte das Risiko eingehen, dass sie ihre Lehre abbrechen könnte. „Irgendwann hatten meine Eltern genug und sind Ende der 90er Jahre freiwillig ausgereist.“ In Travnik stand das Haus zwar noch, war aber geplündert worden. „Plötzlich waren wir wieder wie Flüchtlinge. Wir waren Fremde“, erzählt die 36-Jährige. In den Sommerferien reiste Elma Habibovic deshalb wieder zurück nach Deutschland, und lernte ihren Ehemann kennen. Sie wartete vor der Post, er kam zufällig vorbei. Nach zwei Monaten heirateten sie. Die Ehe dauert inzwischen 14 Jahre.

Sollten demnächst Flüchtlings-Familien mit Kindern nach Neuenkamp kommen, wollen sich die beiden Frauen in Kooperation mit dem Kindergarten Zaubersterne engagieren. Schon heute sind einige Flüchtlingskinder zur Sprachförderung in der Einrichtung angemeldet. Der Kindergarten kooperiert mit der Familienhilfe „Mittendrin.“ Die Hoffnung der Mütter: Wenn die Kleinen spielen und sich verstehen, tun es die Erwachsenen vielleicht auch.

Unterbringungssituation hat sich verschärft 

In den 1990er Jahren suchten rund 5000 Personen Asyl in Duisburg. Damals gab es 50 Unterkünfte. „Die Unterbringung war einfacher zu regeln, weil man improvisieren konnte. Inzwischen sind die Brandschutzauflagen verschärft worden“, erklärt eine Stadtsprecherin.

Nachdem der Krieg vorbei war, wurden rund um das Jahr 2000 die Unterkünfte zurückgebaut. Aktuell sucht die Stadt händeringend Unterbringungsmöglichkeiten.