Duisburg. . In Duisburg landen jeden Monat bis zu einem Dutzend volltrunken bewusstloser Jugendlicher im Krankenhaus. Viele konnten die Wirkung nicht abschätzen.

Wie tot wirken sie, wenn sie mit dem Rettungswagen in die Kinder- und Jugendkliniken eingeliefert werden, „unweckbar, im Koma“, beschreibt Dr. Peter Seiffert,Chefarzt der Kinderklinik im Helios St. Johannes im Interview. Vier bis sechs Fälle landen jeden Monat bei ihm auf der Intensivstation. Im Klinikum Duisburg sind es ähnlich viele, die zwischen 14 und 16 Jahren alt sind, in extremen Fällen auch noch jünger. „Hochsaison“ ist jetzt vor Ende des Schuljahres, Karneval natürlich, an Feiertagen.

Wie geht es den Kindern, die bewusstlos zu Ihnen kommen?

Dr. Peter Seiffert: Sie sind schwer vergiftet und ernsthaft gefährdet, die Schutzreflexe verschwinden, sie könnten Erbrochenes einatmen, je nach Jahreszeit unterkühlt sein, auch das Gehirn kann anschwellen.

Der Chefarzt der Kinderklinik, Dr. Peter Seiffert, findet, dass Jugendliche den Umgang mit Alkohol lernen sollten.
Der Chefarzt der Kinderklinik, Dr. Peter Seiffert, findet, dass Jugendliche den Umgang mit Alkohol lernen sollten. © FUNKE Foto Services

Bis zu zwei Promille werden bei den Untersuchungen gemessen. Das Drogen-Screening fördert oft noch zusätzliche Substanzen wie Marihuana oder Heroin zutage. 24 Stunden braucht der kindliche Körper für die Entgiftung.

Und was kommt dann?

Seiffert: Dann kommt das böse Erwachen, neben Kopfschmerzen und Übelkeit vor allem auch der Schreck, im Krankenhaus aufgewacht zu sein. Für die Hälfte der Patienten ist das ein heilsames Erlebnis, in das sie etwa durch ein Trinkspiel geraten sind, für die andere Hälfte ist Hilfe schwieriger. Manche Wiederholungstäter zelebrieren es richtig, sich bewusstlos zu trinken. Einige Mädchen verabreden sich auch gezielt zum Liebeskummer-Trinken. Wir sondieren, wie sich die Familie positioniert, ob sie hochbesorgt ist und sich kümmert oder sagt, der soll sehen, wie er nach Hause kommt. Dann organisieren wir andere Hilfe, bieten immer „HALT“ an, das Projekt des Suchthilfeverbundes (siehe unten).

Welche Möglichkeiten der Prophylaxe sehen Sie?

Seiffert: Man muss den Umgang mit Alkohol lernen und die Risiken kennen, und zwar ähnlich wie Fahrrad fahren, das kann man auch nicht, wenn man es nur einmal erklärt bekommen hat. Es ist weltfremd, zu glauben, dass man ohne Alkoholkontakt durch die Welt kommt. Kinder haben Forscherdrang, müssen lernen dürfen. Beim Thema Alkohol sollte das natürlich kontrolliert geschehen. Verbote reizen meist nur dazu, heimlich durchbrochen zu werden.

In Schulen könnten in Fächern wie Biologie oder Sozialwissenschaften verschiedene Aspekte thematisiert werden, aber auch die Familien seien gefragt. Die Wirkweise unterschiedlicher Alkoholika müsse thematisiert werden, findet Seiffert. Das fängt an mit dem Finger im Bierglas, um den Schaum zu probieren. Wichtig sei dabei, die Balance zu halten, damit der Kontakt zum Kind bleibt und es behütet verstehen und lernen kann. Außerdem müssten die Eltern ihren eigenen Konsum hinterfragen. Worte und Taten müssten mit dem eigenen Verhalten übereinstimmen.

Welche Grenzen sehen Sie?

Seiffert: In der Vorpubertät ist Alkohol absolut tabu, für das wachsende Hirn ist Alkohol Gift, sonst würden die Kinder ja nicht bewusstlos. Deshalb sollten auch Schwangere nicht trinken, denn durch die Plazenta wird der Alkohol 1:1 weitergegeben, das Ungeborene damit durchflutet. In der Stillzeit ist Alkohol dann eher eine Frage der Dosis.

Projekte des Suchthilfeverbundes 

70 Prozent der 12- bis 17-Jährigen haben schon mal Alkohol getrunken. 6,7 % der Jungs und 3,9 % der Mädchen trinken täglich so viel, dass es über der „empfohlenen“ Menge für Erwachsene liegt, berichtet der Suchthilfeverbund Duisburg.

Er hat deshalb das Projekt HaLT aufgelegt - „Hart am Limit“ ist für junge Leute gedacht, die sich fragen, ob sie übermäßig viel trinken oder die schon mal die Kontrolle verloren haben - wie die Patienten von Dr. Peter Seiffert also. Neben einem Risikocheck gehört auch ein Kletter-Erlebnis zum Programm.

Netzwerk gebildet

Die Experten arbeiten eng mit den Kinderkliniken an der Wedau und in Hamborn zusammen, haben ein Netzwerk mit weiteren Ansprechpartnern in der ganzen Stadt gebildet. „Damit überschreiten wir die Sektorengrenze zwischen stationärer Medizin und ambulanter Versorgung“, sagt Seiffert, dem die psychosoziale Versorgung seiner Patienten ebenso wichtig ist wie die medizinische.

Im Rahmen der Aktionswoche Alkohol, die noch bis Samstag läuft, ist der Suchthilfeverband Duisburg an zwei Schulen aktiv. Die Gesamtschule Meiderich und die Förderschule Dittfeldstraße beschäftigen sich mit der Entstehung von Sucht und einem gesundheitsbewussten Umgang mit Alkohol.

Wöchentliche Sprechstunden

Die Jugendsuchtberatung des Suchthilfeverbunds an der Beekstr. 45 in der Altstadt bietet jeden Mittwoch eine offene Sprechstunde von 15 bis 17 Uhr an. Weitere Infos: 0203-72812660. www.suchthilfeverbund-duisburg.de