Duisburg. „Crash-Kurs NRW“: Fünf Unfall-Beteiligte erzählen in der Gesamtschule Meiderich ihre Geschichte – und mahnen zu mehr Achtsamkeit im Straßenverkehr.
Alexander Raths betritt die Bühne. Der 28-Jährige war einst leidenschaftlicher Motorrad-Fahrer, hatte eine 125-PS-Maschine. „Wir waren auf der Suche nach der perfekten Kurve. Und wir sind gerast wie die Bescheuerten“, redet er Klartext. Seine Zuhörer – 260 Zehnt- und Elftklässler der Gesamtschule Meiderich, die die Aula an der Westender Straße bis fast auf den letzten Platz füllen – lauschen gebannt. Den Jugendlichen stockt der Atem, als Alexander schildert, wie bei einer Tour im Bergischen Land in einer Kurve bei Tempo 120 seine Maschine wegrutscht, er unter eine Leitplanke hindurch fliegt und 50 Meter in den Wald geschleudert wird. Der junge Mann überlebt den Horror-Unfall schwer verletzt. „Es ist pures Glück“, sagt er, „dass ich heute noch vor euch stehe“. Und plötzlich wird ein Einzelschicksal viel greif- und begreifbarer, wenn es in Fleisch und Blut vor dir steht.
Fälle gehen für Hinterbliebene weiter
Der Duisburger zählte zu jenen fünf Menschen, die den Schülern gestern im Rahmen der Aktion „Crash-Kurs NRW“ ihre persönliche Unfall-Geschichte erzählten. Auf eindringliche, bewegende und teils erschütternde Art und Weise. „Wir wollen die Jugendlichen nicht schocken. Wir wollen ihnen aufzeigen, welch großes menschliche Leid ein Unfall erzeugen haben kann“, sagt Rolf Holz. Der Duisburger Polizeibeamte ist Opferschutzbeauftragter in der Abteilung Verkehrsunfallprävention. Er begleitet dieses einst in England entwickelte Projekt, seitdem es im Jahr 2012 auch hier in der Stadt angeboten wird.
18 Veranstaltungen dieser Art gibt es pro Schuljahr. „Bis auf zwei Gymnasien machen alle weiterführenden Schulen Duisburgs mit“, so Holz. Es würden 85 Prozent aller Zehnt- und Elftklässler erreicht. Also jene Zielgruppe, die bald selbst Verkehrsteilnehmer wird.
Vor der Tür warten Betreuer
Auf diesen Vormittag bereiteten sich die Schüler im Unterricht vor. Wem es emotional dennoch zu viel wird, der darf die Aula vorzeitig verlassen. Vor der Tür warten Betreuer zum Gespräch. Oder zum Trösten. Und Trost ist nötig. Viele Schüler weinen, als Jennifer Winkler erzählt, wie sie erst den Vater, dann den jüngeren Bruder im Alter von 21 Jahren durch Unfälle verlor. Schreiend sei sie auf der Straße zusammengebrochen, als sie die Todesnachricht erhielt. Noch schlimmer sei es in der Kirche am Sarg gewesen. „Nehmt euer Leben nicht auf die leichte Schulter“, mahnt die junge Frau ihre Zuhörer.
Zwei Familien die Nachricht vom Tod ihres Angehörigen überbracht
Dieses Prinzip – eine persönliche Geschichte mit einer Botschaft zu verknüpfen – geht auf. So auch bei Polizist Frank Deffke, der erzählte, wie er nach einem Autounfall mit zwei Toten gleich beiden Familien die Nachricht vom Tod ihres geliebten Angehörigen überbringen musste. Im Blut des 18-jährigen Unfallverursachers fanden die Ärzte Cannabis- und Kokain-Spuren. Mit überhöhter Geschwindigkeit hatte er einen älteren Herrn mit in den Tod gerissen. „Also: Finger weg von Drogen oder Alkohol am Steuer!“
Ergreifend auch die Erzählungen von Feuerwehrmann Michael Dreide (27), der bei einem seiner allerersten Einsätze als Rettungssanitäter mit seinen Kollegen vergeblich um das Leben einer jungen Frau kämpfte. Sie hatte als Fußgängerin im Dunklen auf ihr Handy, nicht aber auf den Straßenverkehr geachtet. Sie wurde von einem Auto erfasst, dass bei Grün mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit über eine Ampelkreuzung gefahren war. „Ein einziger Moment der Unachtsamkeit hat der Frau das Leben gekostet. Seid also achtsam, wartet an den Amplen auf Grün“, mahnt Dreide.
Mit Fehlern der anderen rechnen
Auch Polizistin Katrin Fischer (29) hat einen schlimmen Einsatz hinter sich, bei dem ein junger Roller-Fahrer verunglückte und starb. „Achtet auf euch und eure Freunde! Verzichtet zur Not auch mal auf die eigene Vorfahrt und pocht nicht auf euer Recht! Rechnet mit Fehlern der anderen Verkehrsteilnehmer!“, sagen Fischer und ihre Polizei-Kollegin Kerstin Kühnau, die die Moderation des Vormittages übernahm.
Nach einer Stunde ist es vorbei. Die Schüler verlassen die Aula, viele mit dickem Kloß im Hals. Sie sollten zuvor ihre Lebensträume auf einen Zettel schreiben. Die pappen nun auf einem Ballon. Es liege nun auch an ihrem zukünftigen Verhalten auf der Straße, so Rolf Holz, dass diese Lebensträume nicht platzen.