Duisburg. Julia Deiters mag Ohrwürmer. Nicht die musikalischen, sondern jene, die einen Zentimeter groß sind, in Misthaufen leben und sogar fliegen können.
Der Ohrwurm begegnet dem Menschen entweder als muskalischer Gassenhauer mit Langzeitwirkung im Gehörgang oder als kleines Krabbeltier unter Steinen und Pflanzenresten im Garten. Auf Julia Deiters üben die Flugeigenschaften dieser einen Zentimeter großen Insekten Faszination aus.
Vor allem von der ausgeklügelten Falttechnik, derer sich die Tiere bedienen, um ihre Flügel aus- und einzupacken, kann sich der Mensch bei der technischen Entwicklungen viel abschauen. Das vermutet die Diplom-Biologin vom Westfälischen Institut für Bionik an der Westfälischen Hochschule in Bocholt (FH). Deshalb promoviert sie über die Flug- und Flügeltechnik der Tiere am Lehrstuhl für Mechanik und Robotik der Universität Duisburg-Essen bei Prof. Dr.-Ing. Wojciech Kowalczyk. Der sei „gleich ziemlich begeistert gewesen“, freut sich die 29-Jährige, die Ende des Jahres 2011 den Kontakt suchte, weil die FH kein Promotionsrecht hatte.
Fächerförmig die Flügel entpacken
Auf der Suche nach einem Thema stieß Julia Deiters auf den Ohrwurm. „Ich sah ein Foto, auf dem er die Flügel ausgebreitet hatte und war fasziniert“, berichtet sie. Drei verschiedene Techniken verwenden die Insekten, um ihre im Verhältnis zur Körperlänge sehr großen Flügel auszufahren. Zunächst quer, dann längs, schließlich fächerförmig werden sie entpackt. Deiters: „Die meisten anderen Insekten verwenden maximal zwei Falttechniken.“ Bis zu 90 Sekunden dauert die Prozedur. Vielleicht seien die Tiere eher flugfaul, weil die Flugfähigkeit erstens nicht zu Flucht tauge, sie zweitens auch zu Fuß recht flink unterwegs seien.
Bionik und Biomechanik: Profitieren von der Natur
Von Prinzipien, die von der Natur über Jahrmillionen entwickelt wurden, können Ingenieure bei technischen Entwicklungen lernen.
Bei der Biomechanik geht es eher darum, die Natur möglichst genau zu kopieren, etwa bei der Entwicklung von Gelenkprothesen. Ziel der Bionik ist es, Prinzipien der Natur zu entschlüsseln, um sie für technische Entwicklungen nutzbar zu machen. Daran arbeitet auch Julia Deites am Westfälischen Institut für Bionik an der Fachhochschule Bocholt.
Sehr ansehnlich sei aber der Flugstil der Ohrwürmer, findet die Biologin: Der gemächliche und eher langsame Flug erinnere sie an die Eleganz einer Ballerina. „Das sieht richtig klasse aus, wie ein Paraglider“, sagt Deiters.
Startrampe fördert die Fluglust
Mit drei Hochgeschwindigkeitskameras hat Julia Deiters Falttechnik und Flugstart dokumentiert – eine mitunter zeitaufwendige Angelegenheit. „Nur manchmal fliegen sie direkt drauflos.“ Eine „Startrampe“, die sie gebaut hat, fördert offenbar die Fluglust. „Sie starten gern von einem erhöhten Punkt aus.“ Die aerodynamischen Eigenschaften der Flügel wird Deiters nun noch dokumentieren. Ende des Jahres soll dann „der Abschluss der Arbeit in Sicht sein“. Die Ergebnisse werden veröffentlicht, Unternehmen angesprochen, die Interesse haben könnten. Für den Bau von Solarmodulen im Weltraum, Flugrobotern oder Cabriodächern könnte die Flügeltechnik der Ohrwürmer Pate stehen.