Duisburg-Homberg. Seit 18 Jahren lindert die “Hochheider Tasche“ die Not der Menschen im Viertel. Ein Besuch der letzten Lebensmittelausgabe des Jahres.
Die Armut wohnt nebenan. Sichtbar ist sie trotzdem nur selten. Wer geht schon mit seinem leeren Kühlschrank hausieren? Und dass der Magen seit Tagen in den Kniekehlen hängt, das lässt sich unter dem gepflegten Mantel locker verbergen. Ein Segen, dass heute Mittwoch ist. Der Tag, an dem es voll wird auf der Ehrenstraße in Hochheide. Die Rentnerin ist früh dran. Drei leere Stoffbeutel baumeln am Rollator. Sie hat Glück, denn heute gehört sie zu den ersten, die in das Haus mit der Nummer 14 hinein dürfen. Seit Corona den Alltag anders macht, gelten auch bei der „Hochheider Tasche“ neue Regeln. Die Kunden bekommen schon in der Vorwoche Zettel mit Uhrzeiten, zu denen sie kommen dürfen. Damit sollen Warteschlangen vermieden werden, aber auf die letzte Minute kommt hier trotzdem niemand. Wer zuerst dran ist, der darf zuerst aussuchen. So einfach ist das. Auf geht’s - zur letzten Lebensmittelausgabe des Jahres.
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„Guten Mooooorgen!“ Conny Pauly gibt den Ton an. Sie gehört zum Organisationsteam der Hochheider Tasche und managt die Lebensmittelausgabe. Um 10.30 Uhr lotst sie die ersten mit flotten Sprüchen und guter Laune hinein in das „Schlaraffenland“, wie sie sagt. „Heute kann ich das so nennen, denn wir haben diesmal wirklich eine ganz besondere Auswahl.“ Durch die Weihnachtsfeiertage ist sehr viel übrig geblieben in den Supermärkten. Was für ein Anblick! Die Regale sind proppenvoll. Paprika, Blumenkohl, Salat, Brokkoli, Mandarinen, Äpfel, Bananen, Gurken, Trauben, Blaubeeren, Joghurt, Fleisch, Wurst, Milch, Mehl, Saft, Brot, Kuchen. Von fast allem ist reichlich da. Sogar ein paar Päckchen mit Garnelen liegen in der Kühlung.
Duisburg: Die Altersarmut hat spürbar zugenommen in Hochheide
Die Dame mit dem Rollator kramt ihr Portemonnaie heraus. Zwei Euro Eigenanteil müssen am Eingang bezahlt werden. Dann darf sie an einen der drei mit Plexiglas geschützten Ausgabeplätze vorrücken, die wegen der Pandemie eingerichtet wurden. Mit einem fröhlichen „Du bist aber flott heute Morgen“ wird sie von einer Ehrenamtlerin begrüßt, die ihre Wünsche entgegen nimmt. „Ich brauche Margarine, wenn du welche hast.“ Von der Abteilung mit den Grundnahrungsmitteln geht es einmal quer durch das Obst und Gemüse bis zur Brottheke. Am Ende werden ihre drei Beutel gut gefüllt sein und ihr bis zum nächsten Mittwoch über die Runden helfen.
Demut und Dankbarkeit liegen an diesem Morgen in der Luft. Auch wenn es immer wieder Menschen gibt, die den Hals nicht voll bekommen, so überwiegen bei der Lebensmittelausgabe in Hochheide doch diejenigen, die die Gaben bescheiden und glücklich entgegennehmen. „Das ist genau das, was die Sache hier so schön macht“, sagt Conny Pauly, der die vielen Einzelschicksale manchmal doch noch schwer an die Nieren gehen. „Wir haben hier in Hocheide wirklich sehr viel Armut“, sagt auch ihr Mitstreiter Paul Kühl. „Vor allem die Altersarmut spüren wir immer mehr.“
Ein Projekt der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden
Seit 18 Jahren ist die Hochheider Tasche, ein Projekt der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden, eine sichere Bank für Menschen, bei denen das Geld kaum für das Nötigste reicht. Hier können sie sich einmal pro Woche mit den wichtigsten Lebensmitteln eindecken. Aktuell sind 110 Kunden registriert. Wenn man die Familienmitglieder dazu rechnet, sind es um die 400 Menschen pro Woche, bei denen die Hilfe ankommt. Und es würden sogar noch mehr kommen. 30 haben es nur auf die Warteliste geschafft, denn mehr Kunden kann das Team nicht versorgen.
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Zum Glück steht die Hochheider Tasche mittlerweile auf einem soliden Fundament. „Wir haben tolle Sponsoren und Helfer“, sagt Conny Pauly. Gerade erst hat die Rheinberger Unternehmensgruppe Aumund Weihnachtstüten für die Senioren unter den Kunden spendiert, da nicht nur der Geschenkewunschbaum in diesem Jahr wegen Corona ausfallen musste, sondern auch die Adventspäckchen, die die Kirchgänger sonst immer schnüren. Im März musste sogar die Lebensmittelausgabe vier Wochen schließen. Das Unternehmen aus der Nachbarstadt gehört zu den treuen Unterstützern. "Von Aumund bekommen wir jeden Monat 200 Euro", erzählt Hans-Hubert Jansen, der für die Finanzen der Hochheider Tasche zuständig ist. Regelmäßige Geldspenden wie diese machen ein verlässliches Angebot möglich. Denn Grundnahrungsmittel wie Mehl, Reis und Nudeln müssen zugekauft werden.
Ein Glücksfall ist auch, dass das Moerser Unternehmen Ineos in diesem so schwierigen Corona-Jahr 5000 Euro gespendet hat. „Und es ist unglaublich, wie toll uns Privatleute und die Kindergärten und Schulen unterstützen“, beschreibt Conny Pauly die Akzeptanz im Stadtteil.
Am Anfang muss eine Hemmschwelle überwunden werden
Wer die Hemmschwelle, sich als „Bedürftiger“ zu outen, einmal überwunden hat, der kommt mit einem guten Gefühl in die Ehrenstraße 14. Da ist sich Conny Pauly sicher. „Wir sind hier sowas wie eine große Familie.“ Damit meint sie vor allem die lockere Atmosphäre, die den Besuch bei der Hochheider Tasche leichter macht. Man kennt sich. Das klingt manchmal so: „Schätzchen, was hast du denn heute Leckeres für mich im Angebot?“, fragt die nächste Dame, die sich bis zur Gemüseausgabe vorgearbeitet hat.
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Dass es an diesem vorletzten Tag des Jahres 2020 so eine große Auswahl gibt, hat auch damit zu tun, dass die Helfer der Hochheider Tasche neben den Stamm-Anlaufstellen wie Aldi, Kaufland, Lidl und Rewe zum ersten Mal auch Lebensmittel bei Real abholen durften. Sogar an den Weihnachtstagen waren sie unterwegs, um Sachen einzusammeln. So richtig geschuftet wird dann immer am Vortag der Ausgabe. „Sie machen sich keine Vorstellung davon, was dann hier los ist“, sagt Paul Kühl und macht eine Armbewegung, die den ganzen Raum einnimmt. Riesige Mengen der geschenkten Waren sind nämlich leider doch schon hinüber und müssen entsorgt werden. Wer hier hilft und Verdorbenes von Genießbarem trennt, der darf nicht zimperlich sein. „Sechs Biotonnen und noch einige Säcke voller Abfall hatten wir diesmal.“
Hochheider Tasche: 30 Ehrenamtler sind dabei
Davon ist jetzt nichts mehr zu sehen. Appetitlich liegt die Gurke neben der Paprika im Regal. Nebenan wird der von Bäckereien gestiftete Kuchen in Papiertüten zum Mitnehmen angeboten. Für all das sorgt ein Team von insgesamt 30 Ehrenamtlern Hand in Hand mit den großen Sponsoren, den kleineren Firmen aus dem Stadtteil, die der Hochheider Tasche Sonderkonditionen bieten, und den vielen privaten Unterstützern. Ein Zusammenhalt, der auch Geschichten wie diesen ein Happy End beschert: Als Paul Kühl einer Kundin Gemüse für eine wärmende Suppe anbieten wollte, flüsterte diese ihm zu, dass sie gar keinen Herd besitzt. Das Netzwerk der Hochheider Tasche hat’s möglich gemacht, dass sie sich nun etwas kochen kann.
Der Abschied fällt bei dieser letzten Lebensmittelausgabe von 2020 besonders herzlich aus. „Bis nächstes Jahr“, ruft die Seniorin mit dem Rollator, bevor sie sich beim Rausgehen noch eine Blume einpackt. Zum Glück klingt das länger als es wirklich dauert: Am nächsten Mittwoch darf sie schon wieder hier sein.
Hochheider Tasche in Duisburg: So kann man Kontakt aufnehmen
Kontakt zur Hochheider Tasche: Tel. 0152/05724393 (nur dienstags und mittwochs), per Mail unter kontakt@hochheider-tasche.de