Dortmund. Kuttenträger, Hooligans, Ultras: In 50 Jahren Westfalenstadion veränderte sich Dortmunds Fanszene – und mit ihr die Stimmung auf den Rängen.

80.000 Zuschauer, Choreografien, Dauersupport – ein Stadionbesuch bei Borussia Dortmund ist spektakulär. Das Westfalenstadion, vor allem die Südtribüne hatten schon immer große Anziehungskraft. Und doch war die Atmosphäre früher anders. 50 Jahre ist das Stadion alt, fünf Jahrzehnte, in denen die Stimmung auf den Rängen sportliche (Miss-)erfolge, aber auch Veränderungen in der Fankultur widerspiegelte.

„Die 80er waren scheiße“, sind sich vier Fans einig, als sie bei einer Podiumsdiskussion der Fanabteilung zurückblicken. Gerd Kolbe, Michael Bolte, Jens Volke und Oliver Ricken sind treue Anhänger der Borussia und in Verein und Fanszene auf verschiedene Weise prominent. Nachdem BVB-Archivar Kolbe die Geschichte von Planung, Bau und Eröffnung des Westfalenstadions erzählt hat, erinnert sich die Runde an Zeiten der Euphorie, aber auch an Momente der Tristesse.

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In den 80ern kamen die Hooligans ins Dortmunder Westfalenstadion

In jenen 80ern begann Michael Bolte, zum BVB zu gehen. Mit seiner Kutte ist er heute eine Ausnahmeerscheinung. Damals jedoch trugen viele Stadionbesucher die hellblaue Jeans-Weste, bestickt mit Aufnähern des eigenen Vereins. Auch Embleme anderer Clubs waren erlaubt, je nach Sympathie.

Die Fans sahen damals nicht nur anders aus, sie benahmen sich auch anders: „Koordinierte Fangesänge gab es nicht“, erinnert sich Bolte. „Wer Bock hatte, sang ein Lied, vielleicht machte mal die Süd mit, aber nie das ganze Stadion.“ Zu Dauersupport, wie man ihn heute kennt, gab auch die sportliche Situation keinen Anlass: „Mitte der 80er war die Stimmung grottenschlecht – so wie die Mannschaft.“ Michael Bolte kann sich an Heimspiele mit kaum 10.000 Zuschauern erinnern.

Beliebtes Fan-Accessoir der 80er und 90er Jahre: Die Kutte. Heute sieht man sie auch beim BVB nur noch selten.
Beliebtes Fan-Accessoir der 80er und 90er Jahre: Die Kutte. Heute sieht man sie auch beim BVB nur noch selten. © imago | imago

Im gleichen Jahrzehnt etablierte sich in deutschen Fußballstadien die Hooligan-Bewegung: „Von der Gelsenszene kriegten wir ständig in die Fresse, egal wo wir waren.“ Nicht mal im eigenen Stadion sei man vor den Schalker Hooligans sicher gewesen. „Als Reaktion darauf haben sich hier zuerst die Wittener Wölfe und die Black Army formiert. Und dann kamen die ganz bösen Buben“, sagt Bolte mit Blick auf Gruppen aus dem Neonazi-Milieu.

Zuschauerzahlen beim BVB verdoppelten sich in den 90er-Jahren

Als Ende des Jahrzehnts der sportliche Trend wieder nach oben zeigte, war auch das Stadion wieder voll. „Auf der Süd konnte es so eng werden, man hat es nicht mal geschafft, eine Zigarette zu drehen“, lacht der Kuttenträger, „man hat die Hände einfach nicht aus den Hosentaschen bekommen“.

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In den erfolgreichen 90er-Jahren, mit zwei Meisterschaften und dem Gewinn der Champions League, ging der Zuschauerschnitt durch die Decke. In der Saison 1990/91 kamen rund 35.000 Zuschauer zu jedem Heimspiel, 1998/99 waren es fast doppelt so viele. Dazwischen lagen nicht nur große sportliche Triumphe, sondern auch der Ausbau des Westfalenstadions und die Erweiterung um den Oberrang.

„Nach der Vizemeisterschaft 92 war die Euphorie greifbar“, erinnert sich Jens Volke, Mitbegründer der Dortmunder Ultra-Szene und später unter anderem Fanbeauftragter des Vereins. Die Anziehungskraft der Südtribüne sei in den Folgejahren ins Unermessliche gestiegen.

Fanszene verändert sich: Widerstände gegen die Ultra-Bewegung

Diese Euphorie zu erhalten, war gar nicht so leicht. Der Mensch gewöhnt sich an den Erfolg. „In der Bundesliga wurde die Stimmung ein Stück weit alltäglicher und langweiliger“, blickt Volke zurück, so richtig gebrannt habe das Stadion nur noch bei Champions-League-Spielen. Dazu sei ein Generationenwechsel gekommen. „Es gab in der Kurve keine Strukturen mehr.“

Gerd Kolbe, Michael Bolte, Jens Volke und Oliver Ricken (v.l.) sprechen mit einem Vertreter der BVB-Fanabteilung (Mitte) über fünf Jahrzehnte Westfalenstadion.
Gerd Kolbe, Michael Bolte, Jens Volke und Oliver Ricken (v.l.) sprechen mit einem Vertreter der BVB-Fanabteilung (Mitte) über fünf Jahrzehnte Westfalenstadion. © Funke Medien NRW | Christian Schmitt

Ende der 90er ließ auch der sportliche Erfolg wieder nach. Die vier Fans erinnern sich an ein 1:1 gegen den SSV Ulm als Tiefpunkt dieser Zeit: „Die Mannschaft wurde verhöhnt und der Gegner gefeiert“, sagt Volke, „das war wirklich nicht schön“. Zwar gab es 2001 noch eine Meisterschaft, doch im neuen Jahrtausend lief es lange Zeit noch schlechter. Zwischen den Trainern Hitzfeld und Klopp schloss der BVB manche Spielzeiten sogar auf zweistelligen Tabellenplätzen ab.

Auf den Rängen dagegen wurde der Grundstein für das gelegt, was den Besuch im Westfalenstadion heute so besonders macht. Jens Volke war daran maßgeblich beteiligt: „Das Fanprojekt hat versucht, alles neu in Gang zu bringen und auf der Süd neue Dinge auszuprobieren. Die Ultras wurden zwar noch nicht so bezeichnet, aber die Art des Supports mit Vorsänger, Fahnen und Doppelhaltern wurde von vielen abgelehnt.“ Gerade die älteren Fans zu überzeugen, sei ein nervenaufreibender Kampf gewesen.

Existenzangst beim BVB hat Fans zusammengeschweißt

Dass es Ende der 2000er um nicht weniger als die Existenz des BVB ging, habe diesen Prozess aber erleichtert, meint Volke. Die drohende Insolvenz habe „alle zusammengeschweißt, von den Ultras über Kuttenträger bis zu den ganz normalen Fans“.

Diese Einheit im ganzen Umfeld des Vereins habe auch die Reaktion auf die Umbenennung des Westfalenstadions gezeigt. Nennenswerte Proteste gegen den Namen Signal Iduna Park gab es nämlich nicht. „Jeder wusste, dass wir diese Kröte schlucken müssen“, sagt Ultra Oliver Ricken, der als Vorsänger den Support auf der Südtribüne koordiniert.

Jürgen Klopp brachte Erfolg und Euphorie zurück nach Dortmund.
Jürgen Klopp brachte Erfolg und Euphorie zurück nach Dortmund. © dpa | Torsten Silz

Und dann kam Jürgen Klopp. Der gab dem BVB die Euphorie zurück, entzündete nicht nur mit seiner Art des Fußballs, sondern auch mit seiner Leidenschaft das Stadion wieder neu. „Die Stimmung war zwischen 2011 und 2013 ein absoluter Selbstläufer“, erzählt Oliver Ricken.

Schwierige Nachwuchssuche für organisierte Fanszene

Auf diese Zeit blicken viele Fans auch mit Wehmut. „Das war ein Gemeinschaftsgefühl, das es bis heute nicht mehr gegegen hat“, findet der Capo. Am Ende der Podiumsdiskussion fallen Begriffe wie „Eventisierung“. Mehr Touristen kämen ins Stadion, dazu sei es für die organisierte Fanszene schwieriger geworden, Nachwuchs zu finden: „Viele junge Leute gamen lieber“, so Ricken.

Er weiß aber auch: „Das ist Meckern auf sehr hohem Niveau. Und Wellenbewegungen hat es immer gegeben.“ Die Anziehungskraft des Westfalenstadions ist jedenfalls ungebrochen – der Status „ausverkauft“ ist bei Heimspielen Normalzustand.