Hagen/Dortmund. In der IT-Branche in den USA gibt es Massenentlassungen. Zwei Dortmunder Firmen bauen dagegen neue Zentralen. Warum die Job-Aussichten gut sind.
Die digitale Welt investiert in Stein und Beton: In Dortmund wachsen derzeit neue, riesige Bauten der beiden großen IT-Unternehmen Adesso und Materna, die zusammen an all ihren Standorten mehr als 10.000 Mitarbeiter haben. Adesso erweitert seinen Hauptsitz an der Stadtkrone-Ost nahe der Bundesstraße 1, Materna baut eine neue Firmenzentrale auf dem früheren Stahlwerksgelände Phoenix-West.
Viel neuer Büroraum also. Aber wie passt das zu der allgemeine Lage der IT-Branche, in der es seit Beginn des Jahres aus den USA Meldungen über massenhafte Entlassungen gibt? Amazon kündigte in zwei Runden mit Verweis auf eine ungewisse Wirtschaftslage den Abbau von insgesamt 27.000 Arbeitsplätzen an, beim Facebook-Konzern Meta sind es zusammengerechnet 21.000, während 5000 freie Stellen nicht mehr besetzt werden. Insgesamt, so berichtet der Finanzdienst Bloomberg, sollen so bis Anfang Februar 67.000 Arbeitsplätze in der IT-Branche abgebaut worden sein. Gilt diese dramatische Entwicklung auch bei deutschen IT-Unternehmen? Nachgefragt bei den zwei Großen der Branche aus der Region:
Deutliches Umsatzplus
An dem Markttrend möchte sich Dirk Pothen, Vorstandsmitglied des Softwareunternehmens Adesso SE, gar nicht so sehr orientieren. „Wir haben unsere Geschicke ja selber in der Hand. Das Geschäft läuft weiter.“ Der IT-Markt, sagt er, sei „angemessen vital“. Die Zahlen sprechen für sich: Im vergangenen Jahr ist der Umsatz um rund 30 Prozent gestiegen, in diesem Jahr hat Adesso in Deutschland bereits drei neue Geschäftsstellen eröffnet – eine davon in Siegen.
Die ebenfalls aus Dortmund stammende Software-Firma Materna, die aktuell mit den Folgen eines Hacker-Angriffs auf das Unternehmen zu kämpfen hat, meldete für das Geschäftsjahr 2021 positive Zahlen, der Umsatz stieg in diesem Jahr um 21,9 Prozent.
Sowohl Adesso als auch Materna sind IT-Dienstleister, die von Unternehmen und öffentlichen Stellen beauftragt werden, um die Digitalisierung von Arbeitsprozessen und Kundenschnittstellen voranzubringen und zu gewährleisten. So entwickeln Adesso und Materna etwa Chatbots, Apps oder automatisieren an Flughäfen die Gepäckaufgabe.
Verband sieht „überwiegend positive“ Aussichten
Tatsächlich sieht der Verband Bitkom für die gesamte Branche in Deutschland einen positiven Trend, er bewertet die Aussichten in diesem Jahr „überwiegend positiv“. Gerechnet wird mit einem Wachstum. Ende 2022 wies Bitkom darauf hin, dass „trotz der schwierigen konjunkturellen Lage, weiterer Krisen und der Verwerfungen, die von dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine ausgehen“ 137.000 Expertinnen und Experten in der IT fehlen. Als wesentlichen Grund macht der Verband dafür den demografischen Wandel aus: Es scheiden mehr Fachkräfte aus dem Berufsleben aus als „junge Menschen mit IT-Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt kommen“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg.
Martin Brochhaus, Personalleiter bei Materna, kann das aus seinem Alltag bestätigen. „Der Kampf um Fachkräfte ist stark gewachsen und wird auch nicht abnehmen.“ Gleichzeitig steige der Bedarf an IT-Experten, denn über die letzten Jahre sei „die Digitalisierung immer stärker in der Realität angekommen“. All diese Aspekte sprechen dafür, dass Einsteigerinnen und Einsteiger in die IT-Branche heißt begehrt sind.
40.000 Bewerbungen in einem Jahr
Das macht es wichtig, sich bei potenziellen Arbeitnehmern als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren. Daher freut sich Adesso zum zweiten Mal über die Auszeichnung, zu den besten Arbeitgebern Deutschlands zu gehören. „Das sorgt dafür, dass wir auch gesucht werden“, sagt Dirk Pothen. Sowohl die Zahl als auch die Qualität der Bewerbungen steige, im vergangenen Jahr seien insgesamt 40.000 Bewerbungen eingegangen.
Die beiden Dortmunder Firmen wollen potenziellen neuen Beschäftigten schon früh den Einstieg in die IT-Branche ermöglichen: Studierende können neben dem Studium bereits in das Berufsleben reinschnuppern. „Das ist eine gute Möglichkeit, im Studium gutes Geld zu verdienen und einen guten Einstieg in den Beruf zu finden“, so Martin Brochhaus. Viele von den Werkstudenten blieben nach dem Studium auch bei Materna.
Chancen für Studienabbrecher
Neben dem klassischen Einstieg durch das Studium bieten Materna und Adesso auch die Ausbildung zum Fachinformatiker an. „Die Ausbildung ist eine Möglichkeit, die viel zu wenig im Fokus ist, wenn es um IT geht“, sagt Martin Brochhaus. Sie sei auch eine Möglichkeit, die vielen Studienabbrecher aufzufangen. Für Absolventen eines Studiums oder einer Ausbildung bieten sich darüber hinaus Trainee-Programme an, die sechs bis zwölf Monate dauern. Sie seien gedacht als Brücke zwischen Studium und Beruf, so Martin Brochhaus.
Dass Materna aktuell mit den Folgen eines Hacker-Angriffs zu kämpfen hat, soll übrigens keine Auswirkungen auf den Neubau der Firmenzentrale haben. In Kürze werde man wie geplant Richtfest auf Phoenix-West feiern können, so ein Unternehmenssprecher.
+++ Hintergrund: Zwei Größen der IT-Branche aus Dortmund +++
Das Unternehmen Adesso wurde 1997 als Start-up in Dortmund gegründet. Heute zählt das Unternehmen mehr als 7500 Mitarbeiter, die an 61 Standorten in Deutschland und anderen europäischen Ländern arbeiten. Zu den Kunden zählen namhafte Banken, Automobilhersteller und Versicherungen.
Das Unternehmen Materna wurde bereits 1980 in Dortmund gegründet und hat heute insgesamt mehr als 3000 Mitarbeiter. Der IT-Dienstleister sieht sein Kerngeschäft in Projekten für öffentliche Verwaltungen und Institutionen.