Dortmund. Eine neue Verkaufsform zieht gerade Kreise: Bauernmärkte, die nur bestellte Ware verkaufen. Es gibt keine Reste – und noch mehr Vorteile.
Da kommt der erste Hof durch die Tür. In Gestalt von Sabine Goertz, drei schwere, schwarze Kühlkisten wuchtet sie auf einen Tisch und stellt sich dahinter: Fleischwurst darin, Corned Beef, Grillhüfte, Bauchfleisch, Fenchel-Salami. . . Ihren Hofladen hat die Bäuerin aus Lünen für einen Tag an die Lange Straße 42 mitten in Dortmund exportiert. Und damit ist sie nicht allein. Stell dir vor: Die Hofläden kommen zu dir! Das geht.
„Marktschwärmer“ heißt die Verkaufsform, die sich im Ruhrgebiet schon an drei festen Stellen wöchentlich in Dortmund etabliert hat, an einer in Bochum und einer in Hagen; dass es sie schon vielfach mehr in Berlin und in Köln gibt, überrascht nicht weiter. Die Marktschwärmerei ist eine Art Feierabendmarkt für ökologisch bewegte Berufstätige mit wenig Zeit: Sie bestellen beim Bauern online, was sie brauchen, und dann kommen alle Erzeuger, die mitmachen, zu einem festen Zeitpunkt zugleich in die Stadt. Wie ein Markt, nur ohne Reste.
Helfer reichen den Kunden ihre Bestellungen nach draußen: „Ich bin die Nummer 66“
Julia Welkoborsky ist schon um ein Uhr mittags und damit lange vor der Zeit in das Restaurant am Dortmunder Westpark gekommen. Das Gesellschaftszimmer des „Biercafés West“ ist einmal wöchentlich der Marktplatz, doch im Moment ist ja alles anders, drum packt die 32-Jährige Chefin vor: Kontaktvermeidung, Sie verstehen schon.
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Von halb fünf bis sechs wird sie mit anderen Helfern den Kunden ihre Bestellung durch zwei Fenster nach draußen reichen. „Ich bin die Nummer 66“, stellen die sich vor, oder: „Die 78 mit Pommes.“ Tasche 78 ist da, aber Pommes? Hektisches Kramen und Suchen. „Tut uns leid, die Pommes fehlen.“ – „Das war ein Scherz!“
„Man hat hier nur Leute, die das Essen selbst machen, keine Händler“
Welkoborsky ist die „Gastgeberin“ der Schwärmerei, und ihr Beruf heißt tatsächlich so: Sie organisiert halt alles und ist angestellt bei der französischen Firma, die das Modell ausgeklügelt hat und am Umsatz beteiligt ist. In Frankreich hat sich das schon länger durchgesetzt. „Man hat hier nur Leute, die das Essen selbst machen, keine Händler“, sagt Welkoborsky: „Wenn Kunden und Landwirte miteinander ins Gespräch kommen, ist das ausdrücklich erwünscht.“ Sie hat eigentlich Wirtschaftsrecht studiert, aber dann fand sie es interessanter, beruflich für diese Art von Markt zu schwärmen.
Auch Sabine Goertz, die Bäuerin aus Lünen, sieht in dem Konzept nur Gutes. „Man erreicht die Menschen gebündelt in der Stadt, und die müssen nicht mehrere Höfe abfahren“, sagt die 55-Jährige. Sie hat aber auch pragmatische Gründe für ihre Marktschwärmerei hier: „Einen Verkaufswagen muss man morgens befüllen und abends das ausladen, was übrig blieb. Das entfällt hier.“
2000 potenzielle Kunden haben sich an dieser Marktschwärmerei registrieren lassen
Aus den ausgedruckten Bestellzetteln in den Kisten geht klar hervor, wes Geistes Kind hier Kunde ist: „Vier Frankfurter die dünnen, zehn Eier von Freiland, eine frische Vollmilch im Glas“ steht darauf, oder „Zehn Wachteleier, zwei Flaschen Spätlese (lieblich), ein Kilo Pommes handgeschnitzt, ein Eichblatt grün bio“. Jochen Reinke, der gerade rote und gelbe Bete in die Satteltaschen seines Fahrrades packt, sagt es so: „Ich halte es hier für gesünder. Es schmeckt besser, und man bekommt Fleisch, das nicht von dem Herrn Tönnies kommt.“
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2000 potenzielle Kunden haben sich angemeldet bei Julia Welkoborsky, das kostet nichts. „Zehn bis 15 Prozent sind auch aktiv“, sagt sie. Online schickt sie ihnen Empfehlungen, macht darauf aufmerksam, was gerade angesagt ist, wenn man Saison und Region bedenkt: gerade also regional produzierte Tomaten. Und, natürlich, ist Johannisbeeren-Zeit.
Keiner der Anbieter kommt aus mehr als 20 Kilometern Entfernung
Umgekehrt beteiligen sich je nach Saison und Ware zehn bis 20 Höfe: „Bei uns kriegen Sie auch Weihnachtsbäume in Bio-Qualität.“ Sie kommen aus Dortmund und der allernächsten Umgebung, keiner ist weiter entfernt von der Innenstadt als 20 Kilometer. Sie müssen nicht unbedingt Bio-zertifiziert sein, doch Welkoborsky sagt, dass sie sich schon anguckt, wie die Tiere gehalten und geschlachtet werden.
Am frühen Abend sind rund 80 Kunden dagewesen, haben alles mitgenommen, der Rest ist Null. Wenn jemand vergessen würde, seine Ware abzuholen, könnte derjenige nachträglich noch zu einem Abholpunkt kommen und sie dort finden. Das kommt aber praktisch nicht vor: Die Kunden haben online ja längst bezahlt, bevor sie ihre Ware kriegen. Alter Trick, funktioniert aber weiter gut. Und wenn’s der guten Sache dient . . .