New York..
Viele Helden, die nach den Anschlägen auf das World Trade Center als Helfer vor Ort waren, wurden schwerkrank. In Amerika als Patrioten gefeiert, mussten sie neun Jahre auf die Errichtung eines Hilfsfonds warten.
John Picarro hat das Wunder zu Weihnachten nicht mehr erlebt. Im letzten Oktober ist der einst so bärenstarke Kerl gestorben – mit 42 Jahren und den verbrauchten Lungen eines 95-Jährigen. 39 Medikamente hatte John zuletzt täglich gegen den Lungenkrebs geschluckt. Einer der Männer, die nach den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center im September 2001 nicht zögerten, sondern als Helfer an den Ort der bis dahin unvorstellbaren Katastrophe eilten. Helden, die neun Jahre auf einen staatlichen Hilfsfonds warten mussten.
Wie auch Kenneth Specht oder John Devlin. Auch Kenneth hat Lungenkrebs. Bei John hat der bösartige Tumor schon die Lymphknoten zerfressen. Drei Retter und ihr tragisches Schicksal: Wochenlang schufteten der Bauarbeiter aus New Jersey, der Feuerwehrmann und der Ingenieur aus New York City rund um die Uhr in diesem Albtraum aus Geröll, gesplittertem Glas und geborstenem Stahl. Dabei schluckten sie Unmengen des giftigen Staubs, der aus den kraftstrotzenden Männern binnen weniger Jahre körperliche Wracks machen sollte.
Zehntausende verloren ihre Gesundheit
28 000 vergleichbare Krankheitsfälle hat allein die New Yorker Ärztin Jacqueline Moline in ihrem Behandlungszentrum für erkrankte Helfer von Ground Zero mitten in Manhattan aufgelistet. Die Krankheitsbefunde ähneln sich. Lungenkrebs, Asthma, chronischer Husten, Herzbeschwerden. Viele der Helfer der ersten Stunden und Tage leiden noch heute unter Angstzuständen und Depressionen. 3000 Opfer hatten die Anschläge islamischer Fanatiker auf die Zwillingstürme gefordert. „3000 Menschen starben. Aber Zehntausende verloren ihre Gesundheit“, sagte die New Yorker Kongress-Abgeordnete Carolyn Maloney.
Als Helden und große Patrioten hat Amerika seine staubbedeckten Helfer gefeiert. Doch als es darum ging, Taten folgen zu lassen, als die Helfer selbst Hilfe brauchten, machten sich viele plötzlich ganz klein. John Picarro, der Eisenbieger aus New Jersey, der sich am Ende jeder Schicht einfach in den Staub zum Schlafen legte, lebte zuletzt von 500 Dollar im Monat, die ihm die Stadt New York aus ihrem Hilfsfonds für erkrankte Helfer zahlte.
Aufräumhelfer John Feal weiß von Fällen zu berichten, in denen Helfer von weit jenseits der New Yorker Staatsgrenzen nach Ausbruch ihrer Krankheit, dem Verlust von Arbeitsplatz und Krankenversicherung, nicht mal mehr das Geld hatten, um die Fahrt zum Arzt zu bezahlen.
Plötzlich war kein Dollar mehr übrig
Feal hat ein paar Jahre, nachdem öffentliche Hilfen für die erkrankte Helfer in größerem Umfang ausblieben, ein eigenes Hilfswerk auf die Beine gestellt, das seither Spenden sammelt und verteilt. Auch Feal geht es alles andere als gut. Einen Fuß hatte er bei den Aufräumarbeiten am Ground Zero verloren, als ein tonnenschwerer Eisenträger abrutschte. Über 70 Mal war Feal in den letzten Jahren auf dem Washingtoner Kapitolshügel, um daran zu erinnern, dass die Politik eine Verantwortung für die „Patrioten und Helden von Ground Zero“ habe. „Jeder, der mit Nein stimmt, gehört ins Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung“, hatte Feal mit ohnmächtigem Zorn herausgebrüllt, als im letzten Sommer ein Versuch gescheitert war, das Gesetz mit Zweidrittel-Mehrheit durch die Abgeordnetenkammer zu boxen. „Wegen Nine-Eleven haben wir zwei Kriege geführt“, sagte John. „Aber als es um die erkrankten Helfer ging, war plötzlich kein Dollar mehr übrig.“
Über Jahre verliefen alle Ansätze, einen großen nationalen Fonds aufzulegen, der erkrankten Helfern langfristig finanziell und medizinisch zur Seite steht, im Sand. Und auch im letzten, eben abgelaufenen Jahr schien es so auszusehen, als würden die Republikaner ihren Blockadekurs gegen Obama auch auf dem Rücken der kranken Arbeiter von Ground Zero führen.
Komiker hielt Politikern den Spiegel vor
Für Jon Stewart war dies ein gefundenes Fressen. Der Komiker hielt Mitte Dezember Amerikas politischer Klasse, aber auch den Medien in seiner Satire-Sendung „Daily Show“ schonungslos den Spiegel vorhielt. Stewards Sendung vor Weihnachten, die um die menschlichen Tragödien nach dem 11. September kreiste, rüttelte Amerika auf und erhöhte den Druck auf die republikanischen Senatoren, ihre Blockade gegen die Einrichtung eines „Gesundheits- und Kompensationsfonds“ aufzugeben.
Drei Tage nach Stewarts Sendung einigten sich beide Seiten auf einen Hilfsfonds. Mit 4,2 Milliarden Dollar, verteilt über fünf Jahre, fiel der Topf zwar kärglicher aus als angepeilt war. Ein großer Tag für die kranken Helfer war es trotzdem.