Stress in der Firma ist Normalität, doch offenbar nicht ohne Folgen. „Medikamentenabhängigkeit ist ein Dauerthema”, sagt Angelika Korneli. Sie leitet in Datteln die Fachstelle für Suchtkranke.
Angst und Stress, so die Beraterin, seien Nummer-Eins-Gründe für Medikamentenmissbrauch und das Abdriften in die Sucht. Wie eine Studie der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) belegt, greifen etwa zwei Millionen Menschen zu Medikamenten um ihre Leistung im Job zu steigern. Immerhin 800 000 Arbeitnehmer sollen regelmäßig zu entsprechenden Präparaten greifen. Ein Zustand, der als „Doping am Arbeitsplatz” diskutiert wird. Denn, so warnen die Experten, Leistungssteigerung für den Job birgt Suchtgefahr.
„Ich bin nicht sicher, ob der Begriff Doping es trifft”, sagt Suchtberaterin Angelika Korneli. Zu vage der Begriff, zu weit das Feld. Auch wenn die DAK-Studie konkrete Ergebnisse liefert, sagt Korneli: „Für unsere Gegend kenne ich keine Zahlen.” Aber immer mehr Berufstätige fühlten sich genötigt, Stress-Situationen mit Medikamenten auszuhalten.
Der Einstieg in die Sucht führe oft über Beruhigungsmittel. Die Betroffenen betrieben oft das, was Korneli salopp als „Ärztehopping” bezeichnet. Sie holten sich bei verschiedenen Ärzten Rezepte für verschreibungspflichtige Mittel. Die Quelle versiege deshalb selten.
Sicher sei, ob man es Sucht oder Doping nenne: „Am Ende bekommen die Betroffenen nichts mehr auf die Kette”, sagt Korneli. Die Leistung im Job, und im übrigen Leben, lasse rapide nach. Ein Problem sei, dass Medikamente heimlich genommen werden könnten. Das gesellschaftliche Stigma sei geringer als bei Alkoholismus. „Man riecht keine Fahne und die Hemmschwelle ist erschreckend gering”.
Ähnliche Beobachtungen macht Matthias Müller. Er leitet die Abteilung „Leistungen” bei der Regionalstelle der Barmer Ersatzkasse und hat täglich mit Fällen von Berufsunfähigkeit zu tun. Doping am Arbeitsplatz, wo fängt das an? „In jedem Fall dort, wo medikamentöse Unterstützung im Spiel ist. Mit Schlaf- und Aufputschmitteln wird eine Grenze überschritten”, warnt Müller. Seiner Meinung nach ein gefährlicher Weg, leistungsfähig zu sein. Schon Baldrian könne Türen in die Abhängigkeit öffnen. Oft reiche das irgendwann nicht mehr.
Mobbing, Mehrarbeit und Jobangst haben oft schlimme Auswirkungen. „Gerade in strukturschwachen Regionen wie dem Kreis Recklinghausen häufen sich Fälle von Arbeitsunfähigkeit”, sagt Müller. Insolvenzen und Entlassungen seien Alltag. Falsch sei Doping für den Job in jedem Fall – aber leider auch nachvollziehbar. „Die Zahl der Komplettausfälle wächst. Immer mehr Menschen sind lange krank”, sagt Müller. Sich einfach schütteln, und weitermachen? „Das können viele nicht mehr”, sagt er.