Kirchhellen. . Monika Boguslwaski liest aus Leidenschaft und Profession vor. Sie ist eines von nur 120 Mitgliedern der Europäischen Märchengesellschaft. Die Kirchhellenerin erzählt, worauf es ihr beim Vorlesen ankommt.

„Advent, sagt man, sei die stillste Zeit im Jahr. Aber in meinem Bubenalter war er keineswegs die stillste Zeit. Zu Anfang Dezember, in den unheimlichen Tagen, während St. Nikolaus mit Knecht Ruprecht unterwegs war, wurde ich in den Wald geschickt, um den Christbaum zu holen . . .“

Gespannt wie es weitergeht? Nur so viel: In seiner Weihnachtsgeschichte „Das ist die stillste Zeit im Jahr“ (1956) schwelgt der österreichische Schriftsteller Karl Heinrich Waggerl in Kindheitserinnerungen, erzählt vom Duft der Wachslichter und Bratäpfel, vom weihnachtlichen Glockenklang, aber eben auch von den tagelangen Festvorbereitungen, den qualvollen Stunden des Teigrührens und zuletzt von der wohl schwersten Prüfung – „der Schande des Gewaschenwerdens im Holzzuber mit der Reisbürste“.

Zur Entspannung

Ein kurzweiliges Geschichtchen, wie geschaffen für eine gemütliche, kuschelige Vorlesestunde im Kreise der Kinder am Heiligen Abend. Indes, das ist schon lange nicht mehr „in“. Ebenso wie das Singen von Weihnachtsliedern. „Dabei vermitteln wir gerade dann unseren Kindern: Hör’ zu, ich habe jetzt Zeit für Dich, ich bin jetzt für Dich da“, sagt Monika Boguslawski. Die 66-jährige Kirchhellenerin weiß, wovon sie redet. Sie ist eine von nur 120 anerkannten Erzählerinnen der Europäischen Märchengesellschaft. „Kleine Kinder nimmt man beim Erzählen am besten auf den Schoß oder in den Arm; dadurch erzielen Eltern oder Großeltern noch mehr Atmosphäre und können, wenn’s mal gruselig wird, die Kinder ein bisschen knuddeln und drücken, so zum Beschützen.“ Zur (Ent)Spannung empfiehlt sie auch das Nüsseknacken, „und sollten mal Nussschalen auf den Boden fallen, ist das nicht so wichtig“, lacht die vierfache Großmutter – Oma und Opa haben ja schließlich den Enkel-Bonus erfunden . . .

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Wenn Eltern vorlesen oder erzählen, davon ist sie überzeugt, „ist das ein Wert an sich: Dass Eltern sich die Zeit nehmen, wird von den Kindern hoch geschätzt. Und Eltern sollten ruhig den Mut haben zu lesen, auch wenn sie Angst haben, sich zu verhaspeln. Kinder sehen darüber weg.“ Das wäre dann der Elternbonus.

Versprecher sind tabu

Für Monika Boguslawski allerdings sind Versprecher tabu: „Rumstümpern kann für mich nicht gelten – ich bin Profi.“ Diese bis zum Schluss-Punkt einer Erzählung geltende Einstellung hat sie in ihrem früheren Beruf verinnerlicht, ganz sicher: Sie war Versicherungskauffrau. Für ihre zweite Berufung hat sie in den letzten zehn, fünfzehn Jahren ein respektables Repertoire an Märchen erarbeitet: „Ich habe 130 Geschichten im Kopf, die ich bei meinen Auftritten abrufen kann.“ Die eigentliche Kunst aber, das ist der Vortrag. „Ich will nicht nur verstanden werden, sondern richtig den Sinn transportieren. Also muss ich mich vorher mit dem Text auseinandersetzen.“ Nur so könne eine richtige Akzentuierung und eine deutliche, vernünftige Artikulation erreicht werden. Gleichermaßen entscheidend: eine gute Atemtechnik. „Wenn ich an der falschen Stelle atme, löse ich die Spannung auf. Und wenn ich die Spannung an der falschen Stelle löse, ist der Text kaputt!“

Körpersprache

Viel Wert legt Monika Boguslawski auf eine weitere Ausdrucksform, die Körpersprache: „Wenn ich ausstrahle, dass ich will, dass man mir zuhört, muss ich das zeigen.“ Zur Unterstützung nimmt sie bei Erzählungen vor Kindern einen Regenmacher zu Hilfe, ein mit kleinen Kieselsteinen gefülltes Holzrohr, dessen Geräusch an fließendes Wasser erinnert. „Das beruhigt und sorgt für Konzentration“, sagt sie. (Als Geschenktipp für den heutigen Abend vielleicht etwas zu spät.)

Auf bis zu 180 öffentliche Veranstaltungen kommt Monika Boguslawski pro Jahr: Erzählabende, Märchenkunde, Rhetorikkurse, Vorträge, Lektorenschulungen – und neuerdings auch Lesekurse daheim. Ihre Gemeinde reicht längst über Kirchhellen hinaus: von Borken über Münster und Recklinghausen bis nach Cottbus, Chemnitz und Görlitz.