Kirchhellen. Nach Schacht 9 in Grafenwald hat die RAG auch den Schacht 10 am Alten Postweg verfüllt. Die Restarbeiten auf Prosper V übernimmt Thyssen.

Wo am 21. Dezember 2018 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den letzten Brocken Kohle des Bergwerks Prosper-Haniel entgegennahm, steht heute ein Förderband. Drei Monate lang hat die RAG darüber Tag für Tag 300 Kubikmeter Beton in den Schacht 10 gekippt. Jetzt ist er so gut wie verfüllt, das letzte Kapitel Bergbaugeschichte in Kirchhellen ist zugeschlagen.

Irgendwo in der Halle heult noch eine Lüftung für einen Transformator. In dem Gerüst, in dem bis 2018 der Förderkorb in die Tiefe rauschte, hat Beton die Verstrebungen zu skurrilen Skulpturen geformt. „Leer ist es. Ruhig ist es. Komisch ist es“, sagt Bergwerkssprecher Michael Sagenschneider. Seit 1999 arbeitete er auf Prosper-Haniel, seit 2008, als die Werksdirektion hierherzog, hatte er sein Büro am Alten Postweg. Jetzt arbeitet er auf dem Welterbe Zollverein in Essen. Seinen persönlichen Abschied, sagt er habe er im Oktober 2019 genommen. „Als der Förderkorb aus dem Schacht gezogen, die Seile abgeschlagen und Stück für Stück zerschnitten wurden: Das war hier das Ende des Bergbaus.“

Vorsicht, Sturzgefahr: 6,80 Meter sind von den einst 1246 Metern von Schacht 10 noch übrig.
Vorsicht, Sturzgefahr: 6,80 Meter sind von den einst 1246 Metern von Schacht 10 noch übrig. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

6,80 Meter sind noch übrig

„Ab hier bitte aufpassen: Sturzgefahr!“, sagt Stefan Schulte von der RAG-Tochter BAV beim Betreten der Baracke unter dem Fördergerüst. „Es geht nicht mehr so tief runter wie früher, aber 6,80 Meter unter Rasenhängebank können auch weh tun.“ So weit hat die BAV den einst 1246 Meter tiefen Schacht mit einem gigantischen Betonstopfen auf einem Sockel von hochfestem Beton verfüllt. Die „Hängebank“ bezeichnet im Bergbau den übertägigen Schachtansatz, zu ebener Erde halt Rasenhängebank.

8000 Tonnen Zement und 30.000 Tonnen Sand aus den großen Silos neben dem Gebäude sind dafür verarbeitet worden. Nicht irgendein Sand, sondern sehr feinkörniger, sagt Schulte: „Das ist hier schon ein anspruchsvoller Beton.“ Eingebaut wurde er unter den wachsamen Augen der Experten von DMT. Den Stopfen hat die RAG immerhin für die Ewigkeit gebaut.

Sonde warnte vor Grubengas

„Was wir hier machen, war vor zwei Wochen noch nicht möglich“, sagt Schulte beim letzten Blick in den Schacht 10. Bis dahin kontrollierte eine Sonde über dem Schacht noch, ob Grubengas austrat, das ein explosives Gas-Luftgemisch hätte bilden können.

Jetzt ist für die RAG die Arbeit am Alten Postweg fast getan. Im Stundentakt fahren Umzugslaster vor, Möbelpacker räumen die Bürogebäude leer. Am Schacht, sagt Schulte, warten die Verfüller jetzt, dass der Beton aushärtet. Womit und wie tief die letzten Meter verfüllt werden, steht noch nicht fest. „Das hängt auch von der Nachnutzung ab.“ Wenn der BAV-Trupp geht, übernehmen die Kollegen von Thyssen Schachtbau. Wenn sie am bereits verfüllten Schacht 9 in Grafenwald die Restarbeiten erledigt haben, machen sie am Alten Postweg weiter.

Die Verfüllanlage wird so schnell wie möglich abgebaut; sagt Sagenschneider. „Dann übergeben wir die Standorte an RAG Montan Immobilien.“ Die übernimmt am Vossundern und am Alten Postweg den Abriss. In Grafenwald wird sie auch die Standortentwicklung mit Wohnen und Gewerbe übernehmen. „Für den Standort hier gibt es noch keinen Zeitplan“, sagt Sagenschneider. Es könnte aber nach den Erfahrungen an anderen Bergbaustandorten noch einige Jahre dauern, bis Schacht 10 wieder das ist, was die RAG hier 1977 vorgefunden hat: ein Stück Kirchheller Heide.

Die kurze Geschichte von Schacht 10

1976: Die Erschließung des gigantischen Grubenfeldbesitzes „Nordlicht“ beginnt in der Kirchheller Heide.

1977: Teufbeginn

1981: Schacht 10 ist niedergebracht, die Schächte Prosper 3, Möller 5 und Arenberg 1 werden aufgegeben („abgeworfen“) und verfüllt. Am Alten Postweg fahren die Kumpel ein, außerdem ist Schacht 10 Materialschacht.

1985: Der Förderberg wird aufgefahren. 3,6 Kilometer ist er lang, zu Tage kommen Kohle und Bergematerial auf Prosper II an der Knappenstraße.

2011: Die siebte Sohle in einer Teufe von 1159 Meter wird eröffnet. Von hier aus hätten noch 100 Millionen Tonnen Kohle gefördert werden können.

21. Dezember 2018, 16.25 Uhr: Acht Bergmänner übergeben dem Bundespräsidenten das letzte Stück Kohle aus dem Feld Nordlicht.