Bottrop. .
So wie andere eine Tasse Kaffee trinken, braucht Peter Lemal morgens ein Becherchen Methadon. Damit der Körper in Gang kommt, sagt er. Jeden Tag kommt er extra für sein Substitutions-Programm für Heroinabhängige aus Essen nach Bottrop.
Die Praxis von Allgemeinmediziner Dr. Karl-Georg Büscher besitzt einen kleinen Extra-Raum. Dort stehen eine Kaffeemaschine, ein paar Stühle und hinter einem großen Tisch drei Kisten, die wie Getränkeautomaten in Hotels aussehen. Statt Orangensaft gibt es Methadon. Auf einem der Stühle sitzt Lemal und spricht mit Peter Smok über „Off-Shore-Windkraftanlagen“ in der Nordsee, was diese heute schon leisten können und wie die Zukunft aussehen wird.
Die beiden sind Junkies - so bezeichnen sie sich selbst. Wie ihre persönliche Zukunft aussehen wird, wissen sie nicht. Gegenwärtig kommen sie morgens zwischen acht Uhr und Halb neun zur Methadonausgabe nach Bottrop. Wenn sie „abgeschluckt“ haben, fahren sie zurück nach Essen, oder bleiben noch eine Weile hier. „Ich glaube keiner von uns kann behaupten, noch niemals auf dem Berliner Platz gestanden zu haben“, sagt Smok. „Hier in Bottrop gibt es alles zu kaufen. Aber das ist nichts besonderes. Jede Stadt, sei sie noch so klein, hat ihre Szene oder ihre Platte.“
Ersatzstoffe lindern die Netzugserscheinungen
Die Abhängigen werden zunächst vom Dr. Büscher untersucht, welche Drogen sie tatsächlich konsumieren und gegebenenfalls entgiftet. Anschließend folgt ein Gespräch. Sollten sie in das Programm aufgenommen werden, stehen drei verschiedene Substitutionsmittel in der Praxis zur Verfügung. Je nach Diagnose verschreibt Büscher bestimmte Dosen der vollsynthetischen Opiate Methadon und Polamidon (methadonverwandt und veredelt) oder des halbsynthetischen Buprenorphins. Unter medizinischen Gesichtspunkten lindern alle drei die Entzugserscheinungen der Süchtigen, ohne dabei einen Rausch zu erzeugen. Der gesellschaftliche Aspekt der legalen Droge ist aber mindestens genauso wichtig: sie stabilisieren und bewahren die Junkies vor Beschaffungskriminalität. Büscher: „Es führt die Menschen aus ihrer Illegalität heraus.“ Man ist wieder in der Lage, am normalen Leben teilzunehmen, erklärt Smok. Es dreht sich nicht mehr alles nur um den nächsten Kick. Lemal sagt, er kenne Leute, die haben gemordet, „um an das Zeug zu kommen.“
Seit 2001 ist Lemal Substituierter. Wie Smok auch, hing er an der Nadel - war heroinabhängig. „Ich bin vorher schon bei vielen anderen Ärzten gewesen. Bei Dr. Büscher habe ich mich zum ersten Mal als Mensch behandelt gefühlt“, sagt Lemal. „Er hört zu und nimmt sich Zeit. Aber auch die Arzthelferinnen behandeln uns sehr gut“. Die Chance, dass Lemal und Smok eines Tages ganz ohne Drogen auskommen, ist nicht sehr groß. „Wir haben eine ,Drop-out-Quote’ von gerade einmal fünf Prozent“, sagt Büscher. Aber: „Aber bei fast allen schaffen wir es, sie vom Heroin weg zu bekommen.“
Süchtige testen Grenzen aus
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Drogensüchtige seien wie kleine Kinder. Sie lügen, verstecken sich, versuchen ständig die Grenzen auszutesten. Schlechte Erfahrungen hat Büscher auch schon gemacht, ohne dass sie ihn abgeschreckt hätten. „Einmal ist mein Laptop hier verloren gegangen, seitdem ist es angekettet. Eingebrochen wurde hier in der Praxis auch schon einmal, danach habe ich gesagt, sollte das noch einmal passieren, höre ich sofort auf mit dem Substitutionsprogramm. Seitdem ist nie wieder etwas passiert.“
Über eine damalige Patientin ist der Allgemeinarzt Büscher zu dem Feld Suchtmedizin gestoßen. „Das war 1990. Ich kann mich noch sehr gut an sie erinnern. Sie war HIV-Positiv, was ja in der Szene nicht ungewöhnlich ist. Mit ihr hat es gewissermaßen angefangen.“ Inzwischen betreut er insgesamt 90 Substituierte. Neben Büscher gibt es fünf weitere Ärzte in Bottrop, die Heroinabhängige mit Methadon behandeln. „Vielleicht ist es wegen der guten Lage in der Innenstadt, dass zu mir die meisten kommen“, vermutet Büscher. Viele seiner Patienten kommen wöchentlich, manche bekommen ihr Methadon sogar als “Take Home“ an die eigene Wohnungstür geliefert. Dass gerade so viele Patienten aus Essen kommen, liegt seiner Meinung nach auch an dem schlechten Angebot in der südlichen Nachbarstadt.