Essen./Bottrop. Im Mordprozess um die getötete Emma (6) aus Bottrop ist die Mutter einer lebenslangen Haftstrafe entgangen. Der Richter zeigte sich sehr bewegt.
Ohne sichtbare Reaktion nahm die Bottroperin Larissa H. am Freitag das Urteil des Essener Schwurgerichtes entgegen. Sie, die Mutter der nur sechs Jahre alt gewordenen Emma, hat ihre Tochter ermordet. Dafür soll die 46-jährige Sozialpädagogin dreizehn Jahre ins Gefängnis, entschied die II. Strafkammer.
Richter Jörg Schmitt, selbst Familienvater, zeigte sich sichtlich bewegt, als er das Urteil begründete. Aber man muss nicht Vater oder Mutter sein, um vom Tod des kleinen Mädchens erschüttert zu sein. Schmitt zeigte auch auf, wo einem Gericht in Deutschland Grenzen gesetzt sind. Denn nur wegen des Grundsatzes "im Zweifel für die Angeklagte" bescheinigte die Kammer der Mutter strafmildernd eine verminderte Schuldfähigkeit durch ihre Depressionen. Und das ersparte ihr die lebenslange Haft, die Rechtsanwalt Stefan Below, der Emmas Vater in der Nebenklage vertrat, beantragt hatte.
Sozialpädagogik studiert
Gleich eingangs betonte Richter Schmitt die Besonderheit des Falls: "Es ist schwierig, Worte zu finden. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich sie finden werde." Dann schilderte er sachlich den Lebenslauf der Angeklagten, die nach eigenen Angaben mit 16 Jahren vor der Gewalt in ihrem Elternhaus flüchtete, später aber das Abitur absolvierte und erfolgreich Sozialpädagogik studierte.
Und dies, obwohl sie seit ihrem 22. Lebensjahr "nachweislich", so Schmitt, an depressiven Störungen litt und regelmäßig Medikamente einnahm. Nach beruflichen Aufenthalten in Kanada und Island kehrte Larissa H. zurück ins Ruhrgebiet, lernte 2012 ihren Mann kennen. Das Paar zog in den Bottroper Stadtteil Grafenwald.
"Emma war ein ganz liebes Kind"
Nach der Heirat 2014 kam 2015 Emma zur Welt. Ein Wunschkind, so hatte es der Vater vor Gericht gesagt. Richter Schmitt: "Emma war ein ganz liebes Kind. Das haben wir von allen gehört, die sie kannten." Aber er zitierte auch die Grundschullehrerin des Mädchens: "Ich habe in 20 Jahren als Lehrerin noch nie so ein unglückliches Kind erlebt."
Nach Emmas Geburt hatten sich in der Ehe ihrer Eltern immer mehr Probleme ergeben. Das Gericht wies der Angeklagten die Hauptschuld zu: "Sie machte Besitzansprüche geltend. So durften Verwandte Emma nicht auf den Arm nehmen."
Gericht sieht Vater nicht gewalttätig
Zweimal kam es zu Polizeieinsätzen, Larissa H. warf ihrem Mann körperliche Gewalt vor. Deshalb verwies die Polizei ihn sogar der ehelichen Wohnung. Das Essener Schwurgericht hält diese Vorwürfe gegen den Ehemann für unbegründet. Schmitt: "Gewalt durch ihn haben wir nicht feststellen können."
Dem letzten Polizeieinsatz Ende November 2020 schloss sich laut Kammer ein "Scheidungskrieg und ein Gezerre ums Kind" an. Larissa H. war mit Emma in eine eigene Wohnung in Kirchhellen gezogen. Doch in dem Umgangsverfahren vor dem Familiengericht machte der Vater immer mehr Punkte. Das lag, so das Gericht, an dem von Fachleuten festgestellten "rechthaberischen und egozentrischen Verhalten" der Angeklagten. Schmitt erinnerte an die Äußerung von Larissa H., sie allein wisse, was das Beste für das Kind sei. Er kommentierte das: "Nein, das wussten Sie nicht."
Besuchsrecht des Vaters erweitert
Es kam der 27. Januar 2022. Das Familiengericht gewährte dem Vater wieder ein wenig mehr Umgang mit Emma, und für Larissa H. kam dies einer persönlichen Niederlage gleich. Abends guckte sie mit ihrer Tochter zunächst Fernsehen, dann flößte sie ihr unbemerkt im Fruchtsaft starke Schlaf- und Beruhigungsmittel ein. Anschließend, so das Gericht weiter, habe sie versucht, ihre Tochter in der Badewanne zu ertränken, und stach Emma schließlich mit einem Messer mehrmals in den Hals. Danach legte sie den Leichnam ins Bett.
Schmitt weiter: "Die Angeklagte unternahm danach einen dilettantischen Selbstmordversuch mit dem Messer an den Armen. Es waren nur Kratzer." Am Morgen des 28. Januar fand die von der besorgten Grundschullehrerin alarmierte Polizei die tote Emma und ihre Mutter.
Rache gegen den Ehemann als Motiv
Das Gericht sah mehrere Motive: Rache gegenüber dem Ehemann wegen des Sorgerechts, übersteigerte Besitzansprüche. Hätte eines dieser Motive die Tat beherrscht, hätte es wohl keine verminderte Schuldfähigkeit gegeben, lebenslange Haft wäre die Folge gewesen. Aber letztlich ließen sich Depressionen, die zur Tat führten, für das Gericht nicht ausschließen.
Schmitt gestand Anhaltspunkte zu, dass Larissa H., die sich auf Erinnerungslücken berief und mit dem Gericht nicht sprach, ein Schauspiel abgeliefert haben könnte. Zuschauern dürfte aufgefallen sein, dass die ständigen Pendelbewegungen des Kopfes von Larissa H. während der Verhandlung wie durch ein Wunder bei der Urteilsbegründung aufgehört hatten. Das war früher schon in Verhandlungspausen der Fall.
Urteil ist nicht rechtskräftig
Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht. Das Gericht hatte mit seinen 13 Jahren Haft zwar Staatsanwältin Elisa Haering um zwei Jahre überboten, war aber dem Antrag der Nebenklage bei den Mordmerkmalen und der Schuldfähigkeit nicht gefolgt. Die Verteidiger Siegmund Benecken und Malte Englert hatten den Fall als "Mitnahme-Suizid" eingestuft und lediglich eine Verurteilung wegen Totschlags gefordert. Sie haben bereits Revision angekündigt.