Bottrop. Interview-Videos mit 20 Migrationsgeschichten sind jetzt im Bürgerbüro zu sehen. Bald wird das Projekt Teil des Hauses der Geschichte in Bonn.

Das Video-Projekt „Angekommen in...“ ist jetzt auch ganz praktisch in Bottrop angekommen. Inhaltlich setzt sich Gerburgis Sommer schon länger mit Geschichten von Einwandern in Recklinghausen, Gelsenkirchen und eben auch Bottrop auseinander. Jetzt sind 20 dieser Interviews, in der Neu-Bottroperinnen und Bottroper zwischen elf und 90 Jahren ihre ganz persönliche Geschichte erzählen, auf einer Video-Stele im Bürgerbüro zu sehen und vor allem: zu hören.

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An desem Projekt arbeitet Gerburgis Sommer vom Verein RE/init e.V. in Recklinghausen schon seit drei Jahren. 60 Frauen und Männer aus den Nachbarstädten hat sie dabei so nahe kennengelernt, dass sie nicht nur mit der Aufzeichnung dieser Interviews einverstanden waren, sondern auch, diese zu veröffentlichen. Den Wartebereich des Bürgerbüros als Standort findet Leiterin Monika Heisterklaus ideal aufgrund der täglichen Öffnungszeiten und des vielfältigen Publikums, zu dem nicht zuletzt viele Menschen gehören, die möglicherweise ähnlich gelagert Lebensgeschichten haben. Zudem bietet der leicht abgetrennte Bereich eine gewisse Ruhe, um sich mit diesen Geschichten per Kopfhörer und Video auseinanderzusetzen.

Poul Erik Hansen (77) kam in den 70er Jahren nach Deutschland. Von der Bürokratie und vor allem oft dem Ton, der dort herrscht, fühlte sich der Däne oft ausgegrenzt, zum Teil provoziert.
Poul Erik Hansen (77) kam in den 70er Jahren nach Deutschland. Von der Bürokratie und vor allem oft dem Ton, der dort herrscht, fühlte sich der Däne oft ausgegrenzt, zum Teil provoziert. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

„Ich wollte damals meine Freundin heiraten, nicht die Stadt Bottrop, auch wenn mir die Verwaltung dieses Gefühl gab“

Zu den Bottroper Teilnehmenden gehören auch Poul Erik Hansen, der in den 70er Jahren der Liebe wegen aus Dänemark nach Deutschland kam und beinahe auch physisch am deutschen Bürokratiemonster scheiterte. Fast anekdotisch-amüsant fasst er allein die Schwierigkeiten der Eheschließung mit seiner damaligen Freundin zusammen, die bis heute Hansens Ehefrau ist: „Ich wollte einfach meine Freundin heiraten, nicht die Stadt Bottrop, auch wenn sich das wegen der riesigen Verwaltungshindernisse so anfühlte.“ Bis heute wundert sich Hansen darüber, wie schwer es für Leute ist, die einfach hier arbeiten und ruhig eben wollen. Er sagt aber auch: „Leute, die nur mit kriminellen Absichten in dieses Land kommen, sollten nicht hereingelassen werden.“ Für Hansen ist es oft der Ton, der provoziert. Aber im Gegensatz zu Menschen aus ganz anderen Kulturkreisen traue er sich, seinen Mund aufzumachen.

Ahmad Niazi (70) kam in Folge der russischen Besetzung Afghanistans Mitte der 80er Jahre erstmals nach Deutschland. Mehrere Rückkehrversuche scheiterten seither. Inzwischen engagiert er sich in Bottrop in der Flüchtlingsarbeit.
Ahmad Niazi (70) kam in Folge der russischen Besetzung Afghanistans Mitte der 80er Jahre erstmals nach Deutschland. Mehrere Rückkehrversuche scheiterten seither. Inzwischen engagiert er sich in Bottrop in der Flüchtlingsarbeit. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Eine bewegtere und auch geografisch ungleich längere Geschichte erzählt Ahmad Niazi. Der heute 70-Jährige floh das erste Mal Mitte der 80er Jahre aus seiner Heimat Afghanistan, als diese von den Russen besetzt und verwüstet wurde. Zwei Rückkehrversuche scheiterten, unter anderem auch wegen der Machtübernahme durch die Islamisten. Gut erinnert er sich an an das unzerstörte Land in den 60er und 70er Jahren, als zum Beispiel Schulbildung und Studium auch für Mädchen selbstverständlich wurde und Afghanistan sich anschickte, seinen Weg zu einem modernen Land zu gehen. In Bottrop hat er, der früher für eine Firma für medizinische Produkte arbeitete, auch eine Aufgabe in der Flüchtlingsarbeit gefunden. Denn er weiß auch: Niemand verlässt freiwillig und grundlos seine Heimat, gibt die eigenen Wurzeln auf.

„Ein Aspekt, den Bernd von Bülow, ein Cousin von Loriot, in einem Interview betont“, sagt Gerburgis Sommer. Auch für ihn, der mit seiner Familie 1945 vom elterlichen Gut in Westpreußen floh, war der Verlust der Beziehungen die schlimmste Folge der Flucht.

Die Interviews von „Angekommen in...“ stehen bis zum Ende der Sommerferien im Bürgerbüro im Rathaus zur Verfügung. Mo+Di, 8 bis 16, Mi+Fr, 8 bis 13 und Do 8 bis 18 Uhr. Hier gehts zum Projekt: angekommen-in-bot.de.