Bottrop. Der Schienennahverkehr im Ruhrgebiet ist in der Krise: wegbrechende Einnahmen, explodierende Kosten. Bottroper Bahnpendler merken das täglich.
Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) legt neben dem jährlichen Qualitätsbericht jetzt erstmals einen „Qualitätsmonitor“ auf. Vierteljährlich lässt sich ablesen, wie gut und pünktlich die einzelnen Linien fahren. Ein Blick auf die Bottroper Linien im ersten Quartal zeigt, was Bahnfahrer jeden Tag im Wortsinn erfahren: Sie spüren die Krise des Schienennahverkehrs. Besonders bei der Pünktlichkeit liegen die Bottroper Linien weit abgeschlagen im hinteren Mittelfeld.
Alle drei Monate veröffentlichen der VRR und das „Kompetenzcenter Integraler Taktfahrplan (KC ITF)“ ab sofort Messungen und Bewertungen, wie gut die Züge auf jeder Linie durchs Ruhrgebiet unterwegs sind, ob Regionalexpress, Regionalbahn oder S-Bahn. Kernfragen sind dabei: Wie pünktlich sind die Züge? Wie oft fallen sie aus? Sind genügend Plätze vorhanden?
Um den Anbietern gegenüber fair zu bleiben, rechnen die Statistiker in die Gesamtnote einen so genannten Komplexitätskennwert hinein, der Dinge gewichtet, die der Linienbetreiber gar nicht selbst in der Hand hat, zum Beispiel die Länge des Linienweges, ein vorhandenes Flügelkonzept (mehrere Zugteile wie beim RE14/RB45, die unterwegs geteilt oder vereint werden), die Nutzung überlasteter Gleise oder Wechselwirkungen mit dem Fern- oder Güterverkehr.
Aus allen Daten wird ein Gesamtwert errechnet, der im Idealfall bei 100 liegt. Daraus wiederum wird ein Ranking errechnet. Im Ranking der 96 NRW-Bahnlinien liegen die Bottroper Linien auf den Plätzen 45 (RB 43), 68 (RE14), 81 und 82 (S9 und RE 44, siehe Grafik).
Die wichtigste Frage jedes Bahnkunden lautet: Ist mein Zug pünktlich? Antwort für das erste Quartal: Die Wahrscheinlichkeit dafür ist geringer als im Schnitt der VRR-Verbindungen. Für das Jahr 2020 meldet dere VRR eine durchschnittliche Pünktlichkeit bei S-Bahnen von 91,6 Prozent, für Regionalbahnen von 89,4 und für Regionalexpresse bei 87,8 Prozent. Dagegen kann Betreiber Abellio für seine S-Bahnlinie 9 nur 81,8 Prozent pünktliche Fahrten melden, der schlechteste Wert aller Bottroper Linien.
Dass die Bottroper Linien im VRR-Vergleich so schlecht abschneiden liegt zum Teil an Engpässen wie dem eingleisigen Flaschenhals in Essen-Dellwig, der regelmäßig die S-Bahn und den Regionalexpress einbremst. Die Ergebnisse bilden aber auch die Krise des Schienennahverkehrs ab, die schon 2019 begonnen hat mit dem Mangel an Lokführern und sehr eng gestrickten Betriebskonzepten. Dazu kam der Einnahmeverlust durch Corona und explodierende Betriebskosten. Der VRR rechnet vor: „Die Ticketumsätze fielen 2020 im VRR-Raum um 233,5 Millionen Euro auf 1,097 Milliarden Euro.“
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Der Rettungsschirm von Bund und Land hat dem VRR vergangenes Jahr und wohl auch dieses Jahr geholfen. Das nutzt aber den Betreibern der Linien wenig. Erstmals hat der VRR jetzt zugegeben, dass die ausgehandelten Vergütungen für den Linienbetrieb nicht mehr auskömmlich sind. Unter anderem deshalb hat letzte Woche Abellio eine Schutzschirm-Insolvenz beantragt. Die Analyse des VRR: Es zeichne sich ab, „dass die Einnahmen, die die Verkehrsunternehmen benötigen, um ihre Aufwandssteigerungen zu decken, nicht mehr ausreichen. Nach Ansicht des VRR werden ihre Aufwände in den kommenden Jahren eher zu- als abnehmen.“
Gegen die Krise soll ab 2022 die angekündigte Tariferhöhung um im Schnitt 1,7 Prozent helfen. Reichen wird das nicht, warnt der VRR: „Insgesamt erwarten wir aufgrund von Corona-Nachwirkungen ein Minus zwischen 180 und 250 Millionen Euro“, sagt VRR-Vorstand José Luis Castrillo. „Aus unserer Sicht können Aufwandssteigerungen nicht mehr in dem Umfang durch die Nutzer refinanziert werden wie bisher.“ Heißt im Klartext: Der VRR braucht mehr Geld von Bund, Land, Kommunen und Kreisen.