Bottrop. Auch ohne große Prozession zieht es dieser Tage viele auf den „Heiligen Berg“. Ob Wanderer oder Pilgerin: ein Ort abseits des Corona-Alltags.
Die Geräuschkulisse ist unverwechselbar: Vogelgezwitscher, knirschende Schritte auf Schotter und immer das Grundrauschen der A2. Karfreitag auf dem Weg zum Gipfelkreuz der Halde Haniel. Zum zweiten Mal keine große Prozession. Das Virus scheint sogar präsenter als im vergangenen Jahr. Trotzdem sind an diesem stillen Tag viele unterwegs, allein, in Gruppen, als Familie. Entgegenkommende halten Abstand. Es ist wieder kalt geworden, deutlich unter zehn Grad, der Frühling hält inne. Rabiate Mountainbiker zum Glück auch. Oft lässt sich nicht erkennen, wer als Pilger kommt oder als Spaziergängerin unterwegs ist.
Erste Grüppchen sind am Vormittag schon auf dem Heimweg. Familie Kempkes aus Essen packt gerade ihre Kreuzwegtexte ein. „Gab es im Internet.“ Auch Willy und Anita Aguilar aus Oberhausen sind schon dem Leidensweg Jesu über alle 15 Stationen gefolgt. Mit Enkelin Alicia und der kleinen Cassidy im Wagen haben sie an den Stationen gebetet. „Wir hatten das Textheft aus den letzten Jahren aufbewahrt und konnten so unsere eigene Andacht gestalten“, sagt Mutter Anita. Die Aguilars kommen jedes Jahr, vermissen ein wenig die große Prozession. „Aber es ist schön, dass trotzdem Gläubige so zahlreich kommen und beten.“ Es gibt Abschnitte, auf denen viele unterwegs sind und doch liegt eine andere, ruhige Stimmung auf dem Berg. Viele nicken, grüßen. Ein einzelner junger Mann hält nachdenklich an jeder Station und zückt sein Smartphone. Wahrscheinlich der Kreuzweg als Download...
Radler geben acht, kein aggressives Klingeln oder Pöbeln, wie es im vergangenen Jahr - bei wärmerem Wetter - oft zu erleben war. An der vierten Station halten gerade Brigitte und Alfred Wickop mit Enkelin aus Walsum. „Es ist die Station der Solidarität“, erklärt Brigitte Wickop der kleinen Emma, die in der ersten Klasse die Grundschule besucht. „Also, das hat etwas mit Achtung, Wertschätzung zu tun, gut zu anderen zu sein.“
Den Kreuzweg kindgerecht erzählen
Die Großeltern beschreiben die Stationen kindgerecht. „Obwohl man manchmal verrückt werden könnte“, sagt Anita Wickop. „Corona hinterlässt überall Spuren, Homeschooling ist doch eine einzige Katastrophe, das Kind allein vor dem Bildschirm.“ Andere hätten gar keinen eigenen Computer, nur ein Handy, weiß Emma aus ihrer Klasse. Als Großeltern versuchen sie, ihre Tochter und Emma so gut es geht zu unterstützen. Was steht neben der Station? „Die Lebenskraft des Ruhrgebiets ist die Solidarität“, heißt es auf der Tafel. „Aber manchmal könnte man doch verzweifeln, nicht nur an der Politik, auch an der Kirche“, sagt Brigitte Wickop und nimmt Emma in den Arm.
Oben, etwas abseits des Gipfelkreuzes treffen wir sie wieder. Emma betet laut und auswendig das Vaterunser, macht ein Kreuzzeichen. Klar, auf Ostern freut sie sich. Eine Gruppe Erwachsener steht unter dem Kreuz, betet den Rosenkranz, auf polnisch. Etwas weiter hält ein Mann. Pilger, Wanderer, Tourist? Als er sein Käppi vom Kopf zieht und innehält wird deutlich: Oben auf der Halde verschwimmen die Grenzen.
Eine Fotostrecke vom Besuch auf der Halde gibt auf waz.de/bottrop.