Bottrop. Däumchen- statt Lockendrehen: Die wochenlange Schließung legt die Nerven blank. Geld aus der Corona-Hilfe lässt auch auf sich warten.

Den Friseuren in Bottrop steht das Wasser bis zum Hals. Sie bangen um ihre Existenzen. Seit dem 16. Dezember liegen Schere, Fön und Kamm unbenutzt in den Läden. Der Frust sitzt tief, und der Unmut gegenüber der Politik wächst.

„Die zugesagten Hilfen müssen sofort und schnell kommen, das würde sehr helfen“, meint René Kuhn. Er ist Inhaber des Geschäfts „Haarmoden René“ auf der Scharnhölzstraße. Seit 30 Jahren ist der Friseurmeister selbstständig. Die versprochenen Hilfen für Dezember und Januar lassen weiter auf sich warten. Das Problem: Die Antragsformulare sind beim Bundeswirtschaftsministerium noch nicht freigeschaltet, wie Kuhn mitteilt. Regelmäßig ist er deshalb im Austausch mit seinem Steuerberater. Im ersten Lockdown durfte der 57-Jährige selbst die Anträge im Internet schnell und unkompliziert ausfüllen. „Das hat hervorragend geklappt. Zwei Wochen später war das Geld da.“ Nun ist die Lage anders.

Fachmann muss die Anträge bearbeiten

Diesmal muss ein Steuerberater oder ein Rechtsanwalt die Anträge ausfüllen und bearbeiten. Friseurmeisterin Annemarie Rogge vom „Friseursalon Rogge“ auf der Hansastraße vermutet, dass dadurch der Betrug von Corona-Hilfen wie im ersten Lockdown verhindert werden soll. Über ihre momentane Situation sagt sie: „Unser Betriebskonto sieht miserabel aus. Wir gehen auf dem Zahnfleisch.“ Dass die Finanzhilfen noch immer nicht da sind, stinkt ihr gewaltig. „Wir haben nichts, und wir kriegen nichts.“

Bei René Kuhn sieht es kaum besser aus. Drei Vollzeitkräfte sind in Kurzarbeit, fünf Minijobber musste er im Dezember entlassen. „Unsere Branche wird ausgeblutet“, sagt er. „Ich versuche jeden Tag spazieren zu gehen.“ In erster Linie, um den Kopf frei zu bekommen. Die ungewisse Situation zerrt an seinen Nerven. Ähnlich ergeht es Annemarie Rogge. „Man darf gar nicht drüber nachdenken, sonst wird man verrückt.“ Anstatt Locken werden Däumchen gedreht. Ab 15. Februar sollen die Friseurläden wieder öffnen dürfen. Die Auftragsbücher werden immer voller. „Jeden Tag rufen Kunden an und wollen einen Termin vereinbaren“, sagt Kuhn.

Die Rücklagen sind aufgebraucht

Ob der 15. Februar ein Neustart wird, bleibt abzuwarten. Dem Friseur ist der Bottrop-Besuch von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am 31. August in Erinnerung geblieben. Spahn sagte auf der Gambrinus-Bühne der Gladbecker Straße: „Mit dem Wissen von heute brauchten wir keine Friseure zu schließen.“ Der Lockdown im März hätte nach Ansicht von Spahn nicht so hart ausfallen müssen. Für Kuhn sei der Spruch „ein Klassiker“ aus der Kategorie „Was interessiert mich das Geschwätz von gestern.“

Der Friseurmeister zählt auf, was er alles getan hat, um in der Corona-Krise arbeiten zu können: „Wir hatten nur vier Kunden im Laden und zwischen den Kunden den nötigen Abstand gelassen. Kunden und Mitarbeiter trugen Masken, und jeder Kunde hatte ein eigenes Waschbecken“, sagt er. „Wir haben viel Geld für Desinfektionsmittel ausgegeben. Jeder Kamm, jede Schere, jeder Kugelschreiber wurde desinfiziert.“ Aus Gesprächen mit Kollegen weiß der 57-Jährige, dass die Rücklagen, die über Jahre gebildet wurden, aufgebraucht sind. „Ein Großteil der Altersvorsorge hat man in den Betrieb gesteckt.“

Es kommen Angebote zur Heimarbeit

Ganz offen erzählt Friseurmeister René Kuhn, dass er öfters am Telefon gefragt wurde, ob er nicht bei Kunden daheim die Haare schneiden könnte. Aber er lehnt solche Angebote strikt ab. „Das mache ich prinzipiell nicht. Das ist nicht Sinn und Zweck des Lockdowns, wenn Friseure vier, fünf Haushalte besuchen.“ Auch das Risiko wegen Schwarzarbeit eine hohe Geldstrafe zu kassieren sei zu hoch. „Das ist die Sache nicht wert.“

Schwarz sieht Kuhn eher für seine Branche: „Es gibt 80000 Friseurbetriebe in Deutschland. Ich glaube, dass zwischen 20000 und 25000 Betriebe die Corona-Pandemie nicht überleben werden. Rücklagen haben die wenigsten Friseure.“

Vom 31. Januar bis 1. Februar sollen daher alle Salons ihre Beleuchtung 24 Stunden anlassen, um die Bevölkerung auf ihre teils dramatische Situation aufmerksam zu machen. Dazu ruft der Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks auf. Das Motto: „Licht an, bevor es ausgeht!“

Auch die Kunden sind nahe der Verzweiflung

Während die Friseure um die Existenz ihres Geschäfts bangen, kämpfen die Kunden mit ihren Haaren. Auf der Facebook-Seite der Lokalredaktion berichten Leser, dass sie im Lockdown notgedrungen selbst Hand angelegt haben und ihre Haare selber schneiden. Frauen berichten von ihren (missglückten) Erfahrungen, sich selbst das Kopfhaar zu färben. Fazit: klappt ganz gut, ersetzt aber nicht den Friseurbesuch. „Was Frisöre können, können nur Frisöre“, lautet das Urteil einer Leserin. Manche machen aus der Not eine Tugend und lassen ihr Haar wachsen. Eine Leserin schreibt dazu: „Haarband und Haarreifen auf den Kopf und fertig.“