Bottrop. Kleingärten sind der Renner. In Bottrops ältester Anlage am Beckramsberg warten Anwärter zwei Jahre auf eine Parzelle. Garten als Urlaubsersatz.

Feine Tropfen fallen aus dem grauen Himmel, allmählich verdichten sie sich zum sanften Landregen. Selbst die alte Gräfin von Paris räkelt sich wohlig im Garten. Sie muss sich ums sorgfältig aufgetragene Make-up ja auch keine Sorgen machen. Sie ist eine alte Birnensorte, die Andrea und Bodo Reißig in ihrem Kleingarten am Beckramsberg hegen und pflegen. Die Bäckchen sind schon prall, dezent getönt, wie es sich für adelige Damen gehört. Lediglich der Stamm ist rau und rissig. „Und deshalb machen wir uns schon Sorgen um die betagte Gräfin“, sagt Andrea Reißig. Eine historische Apfelsorte ist schon dem Hallimasch-Pilz zum Opfer gefallen. Jetzt scheint er auch die Gräfin zu bedrängen. „Machen kann man da wenig“, so die passionierte Kleingärtnerin, die mit ihrem Mann auch die Bienen vom Beckramsberg betreut.

Domenica und Christian Notz beackern seit gut einem Jahr ihre Parzelle im Kleingartenverein am Beckramsberg. Gemüse, wie hier im neuem Hochbeet, nimmt einen breiten Raum ein.
Domenica und Christian Notz beackern seit gut einem Jahr ihre Parzelle im Kleingartenverein am Beckramsberg. Gemüse, wie hier im neuem Hochbeet, nimmt einen breiten Raum ein. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Drei Völker leben im Garten am Rand des Fuhlenbrock. „Drei andere haben wir noch am Kirchschemmsbach“, verrät Ehemann Bodo. Neben Reißigs Parzelle liegt der so genannte Bienengarten der ältesten Kleingartenanlage der Stadt. Aus dem verwilderten Schrebergarten haben die Bottroper so etwas wie ein großes Bienenhotel geschaffen. Beide Parzellen kommen mit ihrer Blütenpracht wie ein Fünf-Sterne-Büffet für die fleißigen Tierchen daher. Zwischen der Pariser Gräfin, der Apfelquitte, ebenfalls einer alten, fast verschwundenen Obstsorte, Blumen, Stauden und natürlich diversen Gemüse- und Kräuterpflanzen ist kaum noch ein Durchkommen. Die Vereinsvorgabe von mindestens einem Drittel Nutzfläche pro Kleingarten haben die Reißigs längst übererfüllt.

Homeoffice im Garten

Seit Corona sind sie noch öfter als sonst im Garten. „Ich kann von hier aus im Homeoffice arbeiten“, sagt Andrea Reißig, die bei der Emschergenossenschaft in Essen arbeitet. Dass Arbeit und Urlaub so ineinander fallen können, sehen beide (Bodo arbeitet bei der Sparkasse Bottrop) schon als großes Privileg. „Aber das sind Vereinsmitglieder, wie wir sie uns wünschen“, sagt Lothar Kremer. Der Vereinsvorsitzende blickt mit Gartenobmann Frank Pewinski begeistert im leichten Regen auf die Blütenpracht und beobachtet, wie einzelne Bienen rasch Zuflucht im Stock suchen.

Aber Leute wie Reißigs sind nicht alleine am Beckramsberg unterwegs. Ein paar Gehminuten weiter freuen sich Domenica und Christian Notz unterm knallroten Regenschirm ebenfalls über ihren Garten - und natürlich über den rettenden Regen nach wochenlanger Dürre. Sie haben erst im letzten Jahr ihre Parzelle in der gepflegten Anlage übernehmen können. „Zuhause haben wir nur wenig Platz, um Pflanzen anzubauen und hier es für uns fast wie Urlaub“, sagt Christian Notz, während er auf sein neues Hochbeet schaut. Möhren, Radieschen, Salat, Kohlrabi, davor wachsen sogar Artischocken. Etwas Obst und Blumen gibt’s auch, Rasen so gut wie keinen.

Rasenwüsten sind nicht gerne gesehen

„Vereinsmitglieder wie die Notzens sind sind toll“, sagt Andrea Reißig später. Die hätten verstanden, was gärtnern bedeutet, sorgen sich um Vielfalt und damit auch um den Lebensraum für Vögel, Insekten, eben alles was so kreucht und fleucht. „Am schlimmsten finde ich reine Rasenwüsten mit schmaler Randbepflanzung“, so die Hobbyimkerin. Das sei fast so schlimm wie der zugepflasterte Vorgarten vor manchen Häusern.

Helene (5) besucht fast täglich die Tiere in der Kleingartenanlage am Beckramsfeld. Ihre Lieblinge sind die Kaninchen. Hans Szczyra, der sich um die Tiere und das Vereinsheim kümmert, kennt sie schon.
Helene (5) besucht fast täglich die Tiere in der Kleingartenanlage am Beckramsfeld. Ihre Lieblinge sind die Kaninchen. Hans Szczyra, der sich um die Tiere und das Vereinsheim kümmert, kennt sie schon. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

„Wir können und wollen die Vereinsmitglieder nicht gängeln.“ Lothar Kremer und Frank Pewinski nicken übereinstimmend. Aber wenn Randale oder sonstiges krasses Missverhalten überhand nehme, schreite der Vorstand schon ein. Die Nachfrage nach Kleingärten wächst seit einigen Jahren stetig. Derzeit ist keine Parzelle frei. Und: „Die Garten-Fans werden jünger“, so Lothar Kremer. Lag das Durchschnittsalter der Kleingärtner vor einiger Zeit noch bei 74 Jahren, so seien es heute etwa 45 Lenze.

Nachfrage nach Gärten enorm hoch

Ein ganz junge Besucherin treffen wir beim Vereinsheim, genauer: beim Tiergehege. Die Hühner, um die sich Hans Szczyra kümmert fallen sofort auf. Aber die kleine Helene kommt mit ihrer Mutter Nadine Aschoff vor allem wegen der Kaninchen. Und das bei Wind und Regenwetter. Helene bringt ihren Lieblingskaninchen auch Futter vorbei. Auf dem Tisch vor dem Vereinsheim liegen vier dicke Möhren. Auch mit fünf Jahren kann man schon wissen, was den Tieren nicht nur gut schmeckt, sondern auch gut tut. Und da Helene nicht die einzige eifrige Besucherin ist, hat das Tiergehege am Beckramsberg auch schon einen internen Spitznamen: Kleiner Kaisergarten - mit augenzwinkerndem Blick auf den großen Bruder hinter Schloss Oberhausen.

Vereine in Bottrop

Zur Kleingartenanlage am Beckramsberg gehören 152 Parzellen. Der Verein hat 250 Mitglieder. Zurzeit beträgt die Wartezeit für Interessenten auf ein freies Stück gut zwei Jahre. In anderen Kleingartenvereinen sieht es nicht viel anders aus. Eine Übersicht über die Bottroper Anlagen und Vereine gibt es auf: www.bzv-bottrop.de