Bottrop. Seit 1876 verewigen sich Majestäten der Alten Allgemeinen mit einer Medaille an der Königskette. Sie ist Zeugnis der Welt- und Lokalgeschichte.
Eigentlich liegt sie gut gesichert im Tresor, die Königskette der Alten Allgemeinen. Denn zumindest der ideelle Wert ist unschätzbar, haben sich an der Kette doch sämtliche Majestäten der Gesellschaft seit 1876 verewigt. Es ist Tradition, dass das Königspaar Medaillen anfertigen lässt, die dann zum Ende der Regentschaft Teil der Kette werden. Der König bestückt die Königskette, seine Auserwählte die Königinnenkette. Und obwohl die zehn Jahre jünger ist als die Variante für den Mann, bringt sie doch mehr auf die Waage.
Beim Treffen und beim Gespräch über die Ketten – die immerhin wesentlich älter als die Amtskette des Oberbürgermeisters sind – bittet Ralf I. (Schönberger) im Hürter eigens um die Küchenwaage und macht den Test. Rund ein Kilo Gewicht trägt er um den Hals, wenn er seine Kette umlegt, bei Beate I. (Kewitsch) sind es rund 1,2 Kilogramm. Das lässt sich erklären: Nicht jedes Königspaar organisiert für die Ketten jeweils dieselben Medaillen. In manchen Jahren bestücken König und Königin ihren Halsschmuck auch individuell.
Medaillen im Kontext der Zeit sehen
Ein genauer Blick auf die Ketten lohnt sich, spiegeln sie doch Jahrzehnte an Stadt- und auch Weltgeschichte wider. Dabei ist es wichtig, manche der Medaillen im Kontext der jeweiligen Zeit zu sehen. So erklärt sich auch, warum mancher Kaiser und König einen Platz an der Kette hat und sogar der ehemalige Reichspräsident Paul von Hindenburg und Adolf Hitler gemeinsam auf einer Plakette verewigt sind. Auf der Rückseite eingraviert der Name des Schützenkönigs – Heinrich Weber. 1927 hat er den Vogel von der Stange geholt, erst 1934 fand das nächste Schützenfest statt. Damit fiel das Ende seiner Regentschaft genau in die Zeit der nationalsozialistischen Machtergreifung. Das mag die Auswahl seiner Medaille erklären.
Überhaupt finden sich gerade in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg viele Medaillen, die weltpolitische Ereignisse widerspiegeln. So hat der König von 1934, Ewald Heyer, einen Soldaten mit Stahlhelm an der Kette hinterlassen, einer seiner Vorgänger, Jakob Geyer aus dem Jahr 1907, erinnert mit einem Siegestaler von 1871 an den deutschen Sieg über Frankreich und die damit verbundene Gründung des deutschen Kaiserreichs.
Demokratische Persönlichkeiten sind auch zu finden
Wie zum Kontrast hat Jahrzehnte später ein anderer König seine Marke an der Kette hinterlassen. Ludwig Stolte feiert auf seiner Medaille von 1991 ein „Europa ohne Grenzen.“ Zuvor hat sich Franz-Josef Kerstin an der Kette verewigt. Er erinnert mit seiner Medaille an „40 Jahre Verfassung Bundesrepublik Deutschland“. Und auch demokratische Persönlichkeiten wie der erste Bundespräsident Theodor Heuss, sein Nachfolger Heinrich Lübke, der erste Kanzler Konrad Adenauer oder die erste Kanzlerin Angela Merkel wurden verewigt. Und so ist der Halsschmuck auch ein Beleg für sich wandelnde Zeiten und ein Dokument der Zeitgeschichte. Kein Wunder also, dass sich auch Heike Biskup, die Leiterin des Stadtarchivs für die Kette interessiert. Doch lagern die Schützen das gute Stück sicher im Tresor.
Längst nicht jedes Königspaar ist auf die große Weltpolitik eingegangen. Auch Entwicklungen und Ereignisse vor Ort finden sich an der Königskette wieder. So baumelt beispielsweise sogar Bottrops Ehrenbürger Josef Albers am Hals der Majestäten der Alten Allgemeinen – im übertragenen Sinne. Theo Wittstamm hat die entsprechende Medaille hinterlassen, im Jahre 1983. Zu der Zeit also, als in Bottrop das Josef-Albers-Museum im Beisein des damaligen Kanzlers Helmut Kohl und des US-Vize-Präsidenten George Bush eröffnet wurde und Albers Werke einen festen Platz in seiner Geburtsstadt bekamen. Auch der Rohstoff, der Bottrop groß gemacht hat, findet sich auf einer Plakette. Paul Stephan Schütte hat sich mit einem Stück Kohle verewigt.
Sogar der Fußball findet seinen Platz an der Bottroper Schützenkette
Erinnerungen an das Jubiläum 850 Jahre St. Cyriakus baumeln ebenfalls an der Kette. Dazu findet sich auch mindestens zweimal der Bezug zur so genannten Welheimer Reise oder der Kommende – dort standen sich die Schützen aus Essen und Recklinghausen in Bottrop gegenüber. Seit dem 14. Jahrhundert zogen die Essener St. Sebastianus-Schützen einmal im Jahr zur Kommende Welheim, die sich mit dieser Einladung für den Schutz durch die Essener Schützen bedankte. Das störte jedoch den Vestischen Statthalter Graf von Nesselrode, der deshalb Schützen aus Recklinghausen an den Brücken über die Emscher aufstellen ließ und die Essener Schützen so zum Abzug bewegte. Ulrich Korte gehört zu denen, die sich mit dieser Schützenhistorie an der Kette verewigt haben.
Sogar der Fußball findet seinen Platz in der Geschichte der Alten Allgemeinen. Eine Medaille erinnert an die erfolgreiche WM 1974 in Deutschland. Wer so fußballverrückt war? Gertrud Grosse-Bremer hat sich auf diese Weise an der Königinnenkette verewigt, ihr Schützenkönig an der Königskette. Dazu finden sich auch Medaillen, die an olympische Spiele erinnern. Grundsätzlich gilt: Auch an der Königinnenkette lässt sich schön über persönliche Vorlieben der jeweiligen Majestäten spekulieren. Und es scheint, auch manche Königinnen hatten einen Faible für Kaiser und sonstige Monarchen.
Einige Medaillen verraten auch etwas über die Vorlieben der Könige und Königinnen
Anderes lässt sich nicht so leicht erklären. So war Maria Dickmann, Königin von 1903, womöglich gern in Bayern unterwegs oder hatte irgendwelche Bezüge zum Süden Deutschlands. Wie ließe sich sonst erklären, dass sie sich für eine Plakette mit der Patrona Bavaria entschieden hat?
Je länger die Ketten auf dem Tisch liegen, umso mehr vertiefen sich auch das Königspaar, deren Ehepartner und der Vorsitzende der Alten Allgemeinen, Andreas Pläsken, in die Medaillen. Sie wundern sich über Kuriositäten, versuchen abgewetzte Gravuren zu entschlüsseln und erinnern sich an Königspaare, die sie teils selbst noch erlebt und gekannt haben. „Das macht diese Ketten ja aus. Es ist zum einen die Historie, die bis in die Anfänge der Gesellschaft zurück reicht, und zum anderen verbindet man mit manchen Medaillen eben ganz konkrete persönlich Erinnerungen an Personen und Erlebnisse“, so Ralf I..
Der Platz an den Ketten geht langsam zur Neige
Die Zeit, sich so genau mit seiner Kette zu befassen, hatte er bisher auch noch nicht. Schließlich werden die Ketten, aber auch die anderen Insignien der Königswürde – dazu gehören noch ein Diadem für die Königin und je ein kunstvoll gefertigter Ring aus dem Jahr 1964 – nur zu besonderen Gelegenheiten getragen. Meist ist es das Schützenfest. Zum Vogelschießen in zwei Jahren werden Ralf I. und Beate I. ihre Ringe letztmals tragen und sie dann ihren Nachfolgern anstecken. So war es in diesem Jahr beim Schützenfest auch, so ist es Tradition. Außerdem legt der Vorstand den neuen Majestäten nach dem Triumphzug ins Festzelt die Königs- bzw. Königinnenkette um. Ralf I.: „Es war schon sehr bewegend. Es hat etwas, diese Geschichte um den Hals zu tragen.“
Allerdings: Ganz so viel Platz für neue Plaketten ist an den Ketten nicht mehr. An der Königinnenkette, so sieht es zumindest aus, wurden schon zusätzliche Glieder eingearbeitet. „Wir werden wahrscheinlich in den nächsten Jahren vor der Frage stehen, wie wir das mit der Königskette halten. Da muss der Vorstand dann beraten, wenn es soweit ist“, sagt der Vorsitzende der Alten Allgemeinen, Andreas Pläsken.
Medaillen zum Bottroper Stadtjubiläum zieren künftig die Ketten
Bleibt die Frage: Wie verewigen sich eigentlich Ralf I. und Beate I.? Die beiden deuten auf zwei Schatullen. Darin zwei Münzen, herausgegeben zum Stadtjubiläum. „Die werden wir noch entsprechend fassen und gravieren lassen“, erklärt die Königin. „Es war eigentlich keine große Überlegung, dass wir einen Bezug zu 100 Jahren Stadt Bottrop herstellen wollen“, ergänzt der König. Daher sei es auch keine Frage gewesen, dass diesmal an beide Ketten die gleiche Medaille kommt – wenn auch mit unterschiedlicher Gravur.