Bottrop. Der frühere Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei erinnert am Montag auch an die letzte Juden der Stadt, die 1942 nach Riga deportiert wurden.

Die Reichspogromnacht am 9. November vor 81 Jahren mit ihren zerstörten Synagogen, geplünderten Geschäften und zerstörten Wohnungen bis hin zu körperlicher Misshandlung oder Tötung jüdischer Deutscher durch die Nationalsozialisten gilt Historikern als offizielles Signal zum späteren Völkermord an den Juden. Ein Teil deutscher Geschichte, der niemals ausgeblendet oder verharmlost werden darf. Das sagt auch Stadtarchivarin Heike Biskup. Sie beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Geschichte und dem Schicksal der Bottroper Juden nicht nur zwischen 1933 und 1945. In diesem Jahr wird es auch wieder eine Veranstaltung zu diesen historischen Geschehen geben.

Das Innere des alten jüdischen Betsaals an der Tourneaustraße in Bottrop nach den Verwüstungen in der Reichspogromnacht 1938.
Das Innere des alten jüdischen Betsaals an der Tourneaustraße in Bottrop nach den Verwüstungen in der Reichspogromnacht 1938. © Stadtarchiv

Aber am kommenden Montag wird alles etwas anders, als in den Jahren zuvor. Denn der Gast, der frühere Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Grüne), stellt nicht die Pogromnacht vom 9. November 1938 in den Mittelpunkt, sondern den 24. Januar 1942. Damals wurden die letzten neun verbliebenen Bottroperinnen und Bottroper mit jüdischen Wurzeln deportiert und ins Lager nach Riga gebracht. Dort wurden über 25.000 Juden aus dem Gebiet des damaligen Deutschen Reiches, Männer, Frauen und Kinder, unter schlimmsten Bedingungen zusammengepfercht, gequält und schikaniert. Tausende von ihnen wurden im nahen Wald von Bikernieki erschossen.

Bottrop trat dem „Deutschen Riga Komitee“ bei

Am 27. Januar dieses Jahres ist Bottrop als 60. Stadt dem „Deutschen Riga-Komitee“ beigetreten, um die Erinnerung an die lange vergessenen Geschehnisse wach zu halten und den Aufbau der Gedenkstätte bei den 55 Massengräbern in Bikernieki zu unterstützen. „Auch ein Gedenkstein mit dem Schriftzug ,Bottrop’ ist dort nun zusammen mit vielen anderen Städtenamen, aus denen die Opfer stammten, gelegt worden“, sagt Heike Biskup.

„Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga“ nennt Winfried Nachtwei nun den Abend im Kammerkonzertsaal. In seinem eindrucksvollen bebilderten Vortrag schildert er die Geschichte der Deportationen und Ermordungen der Juden in Riga und gibt Einblicke in seine langjährige, intensive Spurensuche nach den Schicksalen der Deportierten und seinen Einsatz für eine würdige Gedenkstätte in Riga. Damit öffnet sich die Erinnerung in Bottrop auch hin auf eine europäische Perspektive und weist bereits auf eine kommende Ausstellung des Stadtarchivs hin, die das Schicksal der dorthin verschleppten Bottroper zum Thema hat.

„Der Abend soll auch als Spurensuche dienen. Vielleicht hat noch jemand Erinnerungen an die Familien Dortort und Krauthammer oder auch an andere Bottroper Jüdinnen und Juden“, so Heike Biskup. „Wir möchten jede auch noch so kleine Information über sie sammeln, damit man nicht nur das Sterben, sondern auch das Leben in den Blick nehmen kann.“ (siehe Zweittext unten). Musikalisch umrahmt wird die Veranstaltung durch die Bottroper Gruppe „Jankele“. Holger Schie (Gitarre), Uta Oppermann (Geige), Andrea Döing (Gesang) und Paul Döing (Querflöte, Gesang) singen und spielen jiddische Lieder aus Osteuropa. Montag, 11. November, 18 Uhr, Kammerkonzertsaal, Böckenhoffstraße 30, 46236 Bottrop. Eintritt frei.

Archiv sucht Zeitzeugen für historische Ausstellung

In der historischen Ausstellung des Stadtarchivs von September bis Dezember 2020 geht es schwerpunktmäßig um die 1942 nach Riga deportierten Bottroper Juden. „Wir wissen bisher von 25 Männern, Frauen und Kindern aus unserer Stadt, die in das lettische Ghetto verschleppt wurden. Das jüngste Kind, Paul Krauthammer, war gerade einmal sieben Jahre alt, als es mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern am 24. Januar 1942 aus Bottrop deportiert wurde. Die gesamte Familie gilt seither als verschollen und wurde schließlich vom Amtsgericht Bottrop für tot erklärt“, so Stadtarchivarin Heike Biskup.

Auch Julius Dortort und seine Tochter Martha sind von Bottrop aus in das lettische Ghetto Riga verschleppt worden. Während der Vater im KZ Dachau umgekommen ist, verliert sich die Spur von Martha Dortort im KZ Stutthof.
Auch Julius Dortort und seine Tochter Martha sind von Bottrop aus in das lettische Ghetto Riga verschleppt worden. Während der Vater im KZ Dachau umgekommen ist, verliert sich die Spur von Martha Dortort im KZ Stutthof. © Stadtarchiv

„Leider wissen wir kaum etwas über das Leben der Familie Krauthammer. Über die Familie Dortort, aus der der Bottroper Kaufmann Julius Dortort gemeinsam mit seiner Tochter Martha mit dem gleichen Transport wie die Krauthammers „abtransportiert wurden“, wie es nüchtern in der Polizeiakte heißt, weiß man mehr durch Josef Dortort, der Bottrop vor einigen Jahren wieder besuchte. „Er hat uns viel über seine Kindheit in Bottrop, über seine Eltern und seine Geschwister erzählt.“ Als die Deutschen das Lager Riga wegen der näherrückenden Russen aufgelösten, kam Julius Dortort nach Dachau, wo er später umkam. Martha Dortort wurde ins Lager Stutthof bei Danzig gebracht. Dort verliert sich ihre Spur.

Neun Bottroper wurden 1942 nach Riga verschleppt

Das Stadtarchiv und der maßgeblich an der Ausstellung mitarbeitende Historiker Matthias Ester hoffen auf Erinnerungen, vielleicht sogar alte Fotos oder erhalten gebliebene Gegenstände, die Nachbarn, Bekannte oder Mitschüler und deren Nachfahren von Julius und Martha Dortort (zuletzt Kirchhellener Straße 46) oder Josef, Auguste, Eduard, Joachim, Heinz und Paul Krauthammer (zuletzt Essener Straße 17) haben. Vielleicht hat auch noch Erinnerungen an Jakob Skurnik (zuletzt Horster Straße 17) oder andere jüdische Bottroper Mitbürger.

Kontakt: Stadtarchiv, Leiterin Heike Biskup, Kulturzentrum, Blumenstraße 12-14, 46236 Bottrop. Oder .