Gladbeck / Bottrop. Die Entwicklung im Bereich des Polizeipräsidiums Recklinghausen steht gegen den allgemeinen Trend. 2019 wurden hier bisher 339 Anträge bewilligt.
Die Deutschen bewaffnen sich immer mehr. Derzeit besitzen gut 640.000 Menschen bundesweit einen „Kleinen Waffenschein“. Er berechtigt dazu, eine Schreckschusspistole oder eine vergleichbare erlaubnisfreie Waffe zu tragen. Zum Vergleich: 240.000 Bürger besaßen hierzulande im Jahre 2014 einen Kleinen Waffenschein. Ganz Deutschland rüstet also auf? Nein, nicht ganz! Die Entwicklung im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Recklinghausen – auch Bottrop zählt dazu – ist nach Angaben der Behörde sinkend.
Massenhafte Übergriffe auf Frauen beunruhigten viele Menschen
„Im vergangenen Jahr wurde 622 mal eine Erlaubnis erteilt“, sagt Andreas Lesch. Der Polizeisprecher im Präsidium Recklinghausen vergleicht: „2017 waren es noch 1053 Bewilligungen von Anträgen.“ Im Jahr 2016 hatten 2464 Bürger im Kreis Recklinghausen einen Antrag für den Kleinen Waffenschein gestellt. Als Auslöser für diesen geradezu explosionsartigen Anstieg betrachteten Fachleute seinerzeit die massenhaften Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht 2015/16 in Köln.
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Dagegen nimmt sich die aktuelle Zahl klein aus. Für den Zeitraum von Januar bis Juni 2019 bewilligte die Behörde 339 Anträge. Ob er eine Erklärung für diese Entwicklung gegen den Trend hat? „Nein, da müsste man spekulieren“, antwortet Andreas Lesch.
Zwei Voraussetzungen für den Kleinen Waffenschein sind die Volljährigkeit und Zuverlässigkeit
Der Kleine Waffenschein erlaubt es Menschen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, Gas-, Schreckschuss- und Signalwaffen sowie Pfefferspray zur Notwehr mit sich zu führen. Lesch: „Der Antragsteller muss neben der Volljährigkeit auch seinen Aufenthaltsort seit mindestens fünf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland haben.“ Weitere Voraussetzung: Potenzielle Besitzer brauchen eine „weiße Weste“, um es locker zu sagen.
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Das heißt im Klartext: Antragsteller haben die Zuverlässigkeits-Anforderungen, die im Waffengesetz festgelegt sind, zu erfüllen, betont Polizeisprecher Lesch. Wer beispielsweise rechtskräftig wegen eines Verbrechens oder sonstiger vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, bekommt keine Bewilligung. Die erforderliche Zuverlässigkeit ist ebenfalls nicht erfüllt, wenn jemand „wegen einer fahrlässigen Straftat im Zusammenhang mit dem Umgang mit Waffen, Munition oder explosionsgefährlichen Stoffen oder wegen einer fahrlässigen gemeingefährlichen Straftat“ mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Lesch erläutert: „Bevor ein Antrag bewilligt werden kann, werden im Bundeszentralregister mögliche Haftstrafen abgefragt.“ Ebenfalls ausgeschlossen ist ein Mitglied in einer Partei, deren Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat.
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Die Waffen, darunter fällt auch Reizstoff, müssen unbedingt das Siegel der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) haben. Wer einen Kleinen Waffenschein besitzt, sollte sich stets bewusst sein: Das Papier ist kein Freifahrtschein für einen leichtfertigen Einsatz von Waffen. Sie dürfen ausschließlich in Notsituationen zum Zug kommen. Verboten ist, sie „einfach so“ abzufeuern, zum Beispiel auf Feiern.
Es ist erst wenige Tage her, dass ein Attentäter in Halle an der Saale zwei Menschen erschossen hat. Geplant hatte Stephan B., an diesem 9. Oktober durch einen Massenmord ein Blutbad anzurichten. Der Amoklauf von Erfurt am Gutenberg-Gymnasium liegt zwar Jahre zurück, hat sich aber ins kollektive Gedächtnis hierzulande eingebrannt. Der 19-jährige Robert Steinhäuser erschoss 16 Menschen und schließlich sich selbst. Ebenfalls traurige Berühmtheit bekamen die kleinen Städte Winnenden und Wendlingen in Baden-Württemberg, nahe Stuttgart: 15 Menschen tötete ein 17-Jähriger, bevor er sich selbst richtete. Drei Fälle, die den Besitz von Waffen – und das Gefühl, sich selbst verteidigen zu müssen – in den Fokus der Öffentlichkeit rück(t)en.