Bottrop. . Die 85-jährige hat selber Awo-Geschichte geschrieben. Schon als 14-Jährige half sie ihrer Tante, die war eine der Mitgründerinnen in Bottrop.
Gerda Sittek hat das alte Schwarz-Weiß-Foto in Ehren gehalten. Es zeigt ihre Tante Berta und ihren Onkel Ludwig bei deren Silberhochzeit. Die heute 85-jährige Bottroperin erinnert sich gut an ihre Tante. Ihr hat sie nicht nur zu verdanken, dass sie nach dem Krieg mit ihrer Familie ein neues Zuhause in Bottrop fand, sondern auch, dass sie zur Arbeiterwohlfahrt kam, über 70 Jahre dabei blieb und mit der Awo in diesem Jahr das 100-Jährige feiern kann.
Zu der Zeit war Berta Krajewski bereits dabei. Sie gehörte der Awo schon in den Gründungsjahren nach 1919 an. 1933 wurde der Wohlfahrtsverband von den Nazis verboten. Neugründungen gab es erst wieder ab 1946 – auch in Bottrop. Dort gründete Berta Krajewski den Ortsverein Welheim, zu dem damals auch die Boy gehörte.
Flucht aus Ostpreußen
Berta Krajewski war die älteste Schwester von Gerda Sitteks Vater. Zu ihr hielt er immer Kontakt, auch wenn er selbst mit seiner Familie in Riesenburg in Ostpreußen (heute Polen) lebte. So kam es auch, dass Berta Krajewski dem fernen Bruder das Foto von ihrer Silberhochzeit schickte.
Das gehörte Jahre später zu den Schätzen, die die Familie mit in den Westen nahm, als sie 1945 mit dem letzten Transport noch raus kam und in den Westen flüchtete: Gerda Sittek mit der Mutter und zwei Geschwistern, der Vater war da schon gefallen. Ihr fernes Ziel waren Bottrop und die Tante.
Als Flüchtling in der Baracke gelebt
Dort kam Gerda Sittek, damals noch Herut, erst 1948 mit ihrer Mutter an. Ihre Schwester war auf der Flucht an TBC gestorben, der Bruder lebte schon ein Jahr in Bottrop. Die Tante hatte dem 16-Jährigen 1947 Arbeit auf der Zeche besorgt. Als Alleinverdiener durfte er seine Familie später nachholen. Die Flüchtlinge wurden in einer Baracke untergebracht.
„Das waren alte SPD-Leute“, erinnert sich Gerda Sittek an die Tante und deren Familie. Nach ihrem Vorbild wurde auch sie zu einem politischen Menschen und SPD-Mitglied. Das ist sie bis heute geblieben. Seit wann sie bei der Awo ist? „Seitdem ich in Bottrop bin“, lacht Gerda Sittek.
Früher wurde an der Haustür kassiert
Denn schon als junges Mädchen hat sie ihrer Tante geholfen und ihr das Kassieren abgenommen. Dafür musste man früher noch von Haustür zu Haustür gehen und sich das Geld abholen. Im Gegenzug gab es Marken, die das Mitglied in sein Buch kleben musste.
„Ich habe das Kassieren geliebt“, erinnert sich die 85-Jährige. Das Tolle waren für sie die Gespräche mit den Menschen. „Da hat man so viel über die Zeit vor 33 erfahren.“ Die Gespräche waren wichtiger als das Geld: „Manchmal habe ich an einem Tag nur zwei Leute geschafft“, lacht sie.
Seit 1979 Vorsitzende
Heute hat sie selber drei Mitgliedsbücher, voll geklebt mit bunten Marken. Ihr erstes datiert von 1960. Das Kassieren an der Haustür ist längst Geschichte, heute läuft alles über die Bank.
1979 hat Gerda Sittek „ihren“ Ortsverein Boverheide-Batenbrock übernommen und ist bis heute Vorsitzende geblieben. Viele Jahre hat sie Urlaubsfahrten und Tagesausflüge in ihrem Ortsverein organisiert und sie auch selber begleitet. Im nächsten Jahr will sie ihr Amt abgeben und nur noch als Gast ins Bürgerhaus Batenbrock gehen, vor allem zum Tanztee.
Marie Jucharcz war 1919 die Gründerin der Awo
Marie Juchacz (1879-1956), die zu den ersten Frauen in der Nationalversammlung gehörte, war im Dezember 1919 die Gründerin der Arbeiterwohlfahrt in Deutschland. Ihr Ziel war es damals, die Lebenssituation der nach dem Ersten Weltkrieg notleidende Arbeiterschaft zu verbessern.
Es wurden Nähstuben, Mittagstische und Werkstätten eingerichtet, um den Familien zu helfen. 1933 wurde die Arbeiterwohlfahrt von den Nazis verboten und aufgelöst. Die Neugründung fand nach dem zweiten Weltkrieg statt. Und auch damals wurde Hilfe in der Not gebraucht.
Auch heute noch ist die Awo eine Hilfsorganisation, wobei die Betätigungsfelder breit gefächert sind. Die Awo betreibt Seniorenheime, aber auch Kindertagesstätten, ist in Bottrop einer der größten Träger des Offenen Ganztags, kümmert sich um Familienbildung und Integration, berät unterschiedliche Zielgruppen.
520 hauptamtliche Mitarbeiter
Im Unterbezirk Gelsenkirchen/Bottrop arbeiten inzwischen um die 520 Mitarbeiter hauptamtlich, aber eben auch noch viele ehrenamtlich wie Gerda Sittek. Bundesweit wird die Awo getragen von 341.000 Mitgliedern, 66.000 ehrenamtlich Engagierten und 212.000 hauptamtlichen Kräften.
In Bottrop gibt es insgesamt sieben Ortsvereine von Boverheide-Batenbrock über Boy, Eigen, Fuhlenbrock, Grafenwald, Stadtmitte-Altstadt bis Welheim mit eigenen Treffpunkten und eigenen Programmen.