Bottrop. . August Thyssen lässt auf dem Eigen in Bottrop Schächte abteufen. Später übernimmt der Staat, macht die Schachtanlagen zum Verbundbergwerk.
Die Geschichte der Zeche Rheinbaben beginnt nicht mit August Thyssen, sondern mit zwei Kaufleuten aus Essen. Trotzdem steht der Industriebaron wie die Zeche selbst für ein Prinzip, welches das Ruhrgebiet fast 150 Jahre lang geprägt hat: Erst kommt die Kohle. Dann kommt der Koks. Dann kommt der Stahl.
Und diesem Dreiklang hat sich bitteschön alles unterzuordnen. Am 31. März 1967 erlebte dieses Prinzip seinen damals so überraschenden Zusammenbruch: Die Zeche, obwohl eine der modernsten des Landes, wurde dicht gemacht wie so viele andere auch in jenen Jahren.
Die Rheinbaben-Geschichte beginnt 1856
Der Reihe nach. Die Rheinbaben-Geschichte beginnt ab 1856 auf dem Eigen, wo die Essener Wilhelm Hagedorn und Hugo Honigmann nach Probebohrungen ihre Ansprüche („Mutungen“) auf die Grubenfelder Hagedorn und Professor I bis III geltend machten.
Auftritt August Thyssen: Ihm gehörte die „Gesellschaft für Mutungsbohrungen Gladbeck“, aus der sich die Gewerkschaft „Vereinigte Gladbeck“ gebildet hatte. Der Begriff Gewerkschaft stand nicht für einen Zusammenschluss von Arbeitern, sondern von Geldgebern. 1895 beginnt auf Gladbecker Gebiet das Abteufen der Thyssen-Schächte, 1897 kommt „Professor“ zur Gewerkschaft hinzu. Thyssen kauft in der Boy und auf dem Eigen Bauernhöfe und beginnt 1898 mit dem Abteufen der späteren Rheinbaben-Schächte.
Der preußische Staat kauft „Vereinigte Gladbeck“
Die bekommen ihren Namen wenige Jahre danach: Der preußische Staat kauft „Vereinigte Gladbeck“. Die Schächte auf Gladbecker Gebiet bekommen den Namen des Handelsministers Adolf Theodor Möller, die Bottroper den von Finanzminister Georg Freiherr von Rheinbaben. Und dann geht alles ganz schnell.
Von 42 Mann im Jahr 1903 explodiert die Zahl der Beschäftigten auf 3677 zehn Jahre später. Aus dem Jahr 1913 stammt auch der Förder-Rekord: 1,15 Millionen Tonnen Kohle. 1925 kommt Rheinbaben zur neuen Gesellschaft „Recklinghausen“, 1935 zu Hibernia. Die staatliche Gesellschaft war, daher der Name, 1855 in Gelsenkirchen vom Iren William Thomas Mulvany gegründet worden.
„Der Bergbau im Ruhrgebiet hat Deutschland den Arsch gerettet“
Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem auch auf Rheinbaben Zwangsarbeiter eingesetzt werden, beginnt der Wiederaufbau.
Wenn überhaupt möglich, sind Kohle und Stahl jetzt noch wichtiger für die deutsche Wirtschaft. Der Bergbau im Ruhrgebiet, sagen die Kumpel bis heute, „hat Deutschland den Arsch gerettet“: Das Wirtschaftswunderland brauchte Kohle, Stahl und Energie, und davon reichlich.
Früher als nebenan bei Möller, von Luftangriffen schwer getroffen, kann Rheinbaben wieder Kohle liefern. Der Wiederaufbau geht voran: Die Berufsschule für Berglehrlinge entsteht, auf 790 Meter Teufe kommt die fünfte Sohle dazu. 1957 fördern mehr als 3000 Kumpel im Grubenbetrieb bereits wieder 794 252 Tonnen Kohle im Jahr.
Die Stahlindustrie orderte nicht mehr soviel Koks
Zu dieser Zeit hatte die Kohlekrise bereits begonnen, aber noch hatte es kaum einer gemerkt. Erdöl und Billigkohle aus den USA, Kanada und China begannen in der Industrie ebenso wie in den Privathaushalten die Ruhrkohle zu verdrängen; die Stahlindustrie orderte nicht mehr soviel Koks.
Klaus Wisotzky, der Leiter des Essener Stadtarchivs, datiert den offenen Ausbruch der Kohlekrise auf den 22. Februar 1958 mit den so genannten Feierschichten: „An jenem Tag mussten 16 000 Ruhrbergleute ihre Arbeit ruhen lassen.“ Die Zeche bezahlte der Staat. Er hielt ebenso wie die Zechenbetreiber an der Monostruktur von Kohle und Stahl im Ruhrgebiet fest.
Die Kernenergie macht der Kohle Konkurrenz
Nur funktionierte das leider nicht. Zwischen 1957 und 1969, rechnet Wisotzky vor, „ging der Anteil der Steinkohle am Primärenergieverbrauch in der Bundesrepublik von 69,8 auf 32,3 Prozent zurück“. Und der Staat machte sogar noch mit und subventionierte die Kernenergie, die der Kohle zusätzlich Konkurrenz machte.
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Klar angesichts solcher Zahlen, dass der große Knall nicht lange auf sich warten ließ. Mitte der 1960er Jahre begann das Zechensterben an der Ruhr. Aber wieso ausgerechnet in Bottrop? Erst 1961 war der Betrieb voll mechanisiert worden. Hibernia hatte viel investiert in die Verbund-Schachtanlage mit ihren 2200 Bergleuten und mehr als 900 000 Tonnen Jahresförderung. Das Entsetzen war groß: Protestkundgebungen, Fackelzüge, Petitionen. Vergebens. Am 18. November 1966 verkündete Hibernia: Am 31. März 1967 ist Schicht im Schacht.
1900 Bergleute fanden 1967 Arbeit auf anderen Schachtanlagen
Nein, das ist nicht das Ende der Geschichte. 1900 Bergleute fanden ab 1967 Arbeit auf anderen Schachtanlagen und wurden mit Bussen jeden Tag etwa nach Marl-Polsum gefahren. Die beiden Rheinbabenschächte blieben noch vier Jahre in Betrieb: Die Zeche Mathias Stinnes in Karnap nutzte sie als Wetterschächte. Dann war auch dort Schicht im Schacht: 1972, hundert Jahre nach Betriebsbeginn, wurde auch Mathias Stinnes stillgelegt.
Das ist immer noch nicht das Ende der Geschichte. Der Schacht Rheinbaben 5 wurde bis 1980 genutzt. Erst als Wetterschacht für das Verbundbergwerk Jacobi/Franz Haniel in Oberhausen, nach der Stilllegung von Jacobi vom Bergwerk Prosper-Haniel.
Und wenn dort zum Jahresende der Deckel auf den letzten deutschen Steinkohlenpütt kommt, ist das trotzdem noch nicht das Ende der Geschichte. Die Rheinbaben-Schächte werden Teil des Grubenwasser-Kanalsystems. Das wird die Pütts entwässern bis in alle Ewigkeit.
Von der Kohlenkrise zum kontrollierten Sinkflug
„Die Kohlekrise beweist es: Auch durch noch so hohe Subventionen wird der Strukturwandel nicht aufgehalten“, schrieb im März 1966 Kurt Simon in der „Zeit“, als die Bundesregierung per Gesetz Kohle zum Pflichtbestandteil der Stromerzeugung machte. Dass im Strukturwandel auch eine Chance stecken könnte, war ein Jahr später der Grundgedanke der „Konzertierten Aktion“, das die erste „Groko“ unter „Superminister“ Karl Schiller 1967 ins Leben rief. Das Land NRW legte ein Jahr später das „Entwicklungsprogramm Ruhr 1968 - 1973“ nach .
Auch die Bergbauunternehmen wurden mit vorgehaltener Pistole zur Konzertierten Aktion gezwungen: Entweder wir streichen alle staatlichen Subventionen - oder ihr schließt euch zusammen, baut Überkapazitäten ab und verbessert die Auslastung. Ergebnis: Ende 1968 wurde die Ruhrkohle AG (RAG) gegründet, in der 80 Prozent der westdeutschen Steinkohlebergwerke aufgingen.
1975 folgte der „Kohlepfennig“
Die politische Belohnung dafür: der „Hüttenvertrag“, in dem der Staat sich verpflichtete, bis zum Jahr 2000 die Differenz zwischen Produktionspreis der RAG und Weltmarktpreis weitgehend zu übernehmen. Die Stahlindustrie musste Steinkohle aus heimischen Bergwerken kaufen, denen feste Abnahmemengen von Koskohle zugesichert wurden. 1975 folgte der „Kohlepfennig“, ein Aufschlag auf den Strompreis, der 1994 für verfassungswidrig erklärt wurde.
Im Januar 2007 war es übrigens wieder eine Große Koalition, die sich auf das Auslaufen des Bergbaus im Jahr 2018 einigte. Lange hatte sich die SPD dagegen gewehrt; ihre Zustimmung gab sie nach Einführung einer Revisionsklausel: 2012 hätte der Beschluss noch einmal überprüft werden sollen. In Verhandlungen mit der EU wurde diese Klausel 2011 gestrichen, damit die EU die Steinkohleförderung nicht schon 2014 enden ließ. Damals waren noch rund 27 000 Bergleute bei der RAG beschäftigt.
Dem „Entwicklungsprogramm Ruhr“ verdankt das Ruhrgebiet unter anderem die Revierparks, diverse Universitäten, die Internationale Bauausstellung Emscher Park (1989-99) sowie den Ausbau der B1 zur A 430 und später der A 40.