Bottrop. . Fast 20 Jahre lang kaufte der Großindustrielle August Thyssen Besitzanteile. Als er sie endlich hatte, verkaufte er sie nur vier Jahre später.

Ohne die Finanzkraft und die unternehmerische Weitsicht des Großindustriellen August Thyssen (1842 - 1928) hätte sich Rheinbaben wohl nie zur Großzeche mit mehr als 3000 Mann Belegschaft (1957) und mehr als einer Million Tonnen Jahresförderung (1943) entwickelt. Als Unternehmer war Thyssen ein Vordenker, der möglichst alle Glieder der Wertschöpfungskette in die Hand nahm. Als Familienvater versagte er, sagt der Leiter des Konzernarchivs von Thyssen-Krupp, Prof. Manfred Rasch.

Selfmademan Friedrich Thyssen

Augusts Vater Friedrich (1804 -1877) war ein Selfmademan, wie ihn nur die Montan-Gründerzeit hervorbringen konnte. Vom Waisen aus Eschweiler brachte er es zum Bankgründer und zum Mitgründer des ersten Drahtwalzwerk des Rheinlands. August ging beim Vater in die Banklehre, studierte vorher aber in Karlsruhe Maschinenbau.

Das Vater-Sohn-Verhältnis dürfte schwierig gewesen sein. August brauchte (und bekam) Vaters Geld, suchte aber die mindestens räumliche Entferung. So gründete er seine erste Firma nicht in Aachen, sondern in Duisburg.. In Mülheim-Styrum gründete er 1871 das Eisenwalzwerk, um das er sein Imperium aufbaute.

Vom Rohstoff bis zum Endprodukt: Alles in einer Hand

Sein Unternehmensprinzip ist die Vision vom Vertikalkonzern: Vom Rohstoff bis zum Endprodukt sollte alles in einer, nämlich seiner, Hand bleiben. Wie das aussieht im Westen des Ruhrgebietes, beschreibt eine Huldigung anlässlich seines 75. Geburtstages im Jahr 1917: „In Verbindung mit den Schachtanlagen stehen zwei Kokereien, mit allen Einrichtungen für die Gewinnung der Nebenprodukte ausgestattet, und die Kokerei in Meiderich ist die erste Anlage, die gebrauchsfertiges Leuchtgas an Städte und Private abzugeben vermag. Bis Wesel und bis Barmen reichen die Leitungsnetze. Die überschüssigen Koksgase dienen zum Antrieb der Großgasmaschinen aus den Mülheimer Werkstätten. Und fragt man nach den Verbrauchern der Energiemengen, die den Rekordziffern an Kohlen, Koks und elektrischem Strom entstammen, – es sind die Thyssenschen Werke.“

Einheiraten in die Oberschicht

1872 heiratet August Thyssen in die Mülheimer Oberschicht ein. Ein Schlag ins Gesicht der katholischen Thyssens: Die Familie von Hedwig (damals 18) ist protestantisch, die Mitgift aber groß genug, um die Gründerkrise in Deutschland um 1885 zu überstehen. Drei Söhne und eine Tochter werden geboren. Dann der nächste Schock für die Familie: 1885 wird die Ehe geschieden nach einer Fehlgeburt, dessen Vaterschaft August anzweifelt. Die vier Kinder wachsen beim Vater auf.

Langer Atem, rascher Verkauf

Zwischen 1881 und 1898 hat August Thyssen die Anteilscheine an der „Vereinigten Gladbeck“ und damit Rheinbaben aufgekauft und dabei langen Atem bewiesen. Kurz darauf, 1902, verkauft er sie wieder. Warum? Weil er ein Wettbieten gegen Friedrich Grillo um eine andere Zeche verloren und deshalb die Lust am Zechegeschäft verloren hat, ist eine Erklärung.

Eine zweite: Der preußische Staat drängt mit einem neuen Gesetz selbst in die Kohleförderung und kauft als erstes „Vereinigte Gladbeck“. Was mit einer dritten Erklärung zusammen hängen könnte: Die Thyssen-Kinder wollten Geld sehen. Nach der Scheidung war ihnen das Familienvermögen übertragen worden, aber am Geldhahn saß weiter der Vater. Rasch: „Sie wünsch­ten sich ein auf­wän­di­ges Le­ben mit Land­gut und Jagd so­wie re­prä­sen­ta­ti­ver Stel­lung im Un­ter­neh­men, oh­ne je­doch un­ter­neh­me­ri­sche Ver­ant­wor­tung über­neh­men zu wol­len.“ Der Streit um Vermögen und Erbfolge endete fast ein Vierteljahrhundert später - in der Fusion mit Stinnes zur Vereinigten Stahlwerke AG.