Bottrop. . Mitglieder der Selbsthilfegruppe Angehöriger Demenzerkrankter erzählen ihre Geschichten. Ihre Erfahrung ist: Unterstützung ist unverzichtbar.

Was Gabi Bergmann (65), Inge Gierok (59) und Jürgen Menzel (59) über ihre Erfahrungen als pflegende Angehörige erzählen, unterscheidet sich in vielen Facetten. Was die drei Mitglieder der Selbsthilfegruppe Angehöriger Demenzerkrankter aber eint ist die Erkenntnis: Ohne Unterstützung ist diese Aufgabe auf Dauer nicht zu bewältigen. Hier sind ihre Geschichten.

Die Ehefrau

„Ich habe meinen Mann sechs Jahre lang zu Hause gepflegt“, berichtet Gabi Bergmann. Er litt unter Alzheimer, der chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung COPD, Parkinson. „Im Juni 2017 ist er im Alter von 74 Jahren verstorben.“ Im ersten Jahr nach der Diagnose Alzheimer kämpfte sie alleine, wollte die Erkrankung noch nicht wahrhaben – „bis mein Mann mich in der Innenstadt nicht mehr erkannte, Tage und Nächte getobt hat“, erzählt die 65-Jährige.

Gabi Bergmann.
Gabi Bergmann.

Da wählte sie die Nummer der Selbsthilfegruppe, deren Leiterin Heike Taut-Franci stand ihr innerhalb von 24 Stunden mit Rat und Tat zur Seite. Fortan blieb das Paar nicht mehr auf sich allein gestellt.

So besuchte ihr Mann, der im Laufe der Zeit immer mehr Fähigkeiten verlor und dessen Charakter sich änderte, zunächst regelmäßig den Demenz-Tagestreff der Malteser (Malta), wechselte nach rund einem Jahr in die Tagesstätte der Diakonie, blieb bei Bedarf dort auch in der Kurzzeitpflege. „Viermal in der Woche war er in der Tagesstätte; dort ist er auch gestorben“, sagt Gabi Bergmann. „Er hat sich entschieden, dort zu gehen. Es war seine zweite Heimat.“

Zeit zum Durchatmen

In den Stunden, in denen er offenbar zufrieden in der Gesellschaft anderer die Tagespflege besuchte, atmete sie durch und schöpfte Kraft für die Pflege. „Es ist ja ein 24-Stunden-Service“, so Bergmann. „Ohne Netzwerk, ohne Familie, Freunde, Nachbarn, Selbsthilfegruppe, Pflegedienst und Ärzte geht das nicht“, unterstreicht sie. Soziale Geselligkeit blieb ihr wichtig, „wir sind auch Essen gegangen. Dann haben die Leute geschaut, weil mein Mann mit den Fingern gegessen hat“.

Visitenkarten wie diese können helfen, um Verständnis zu erzeugen.
Visitenkarten wie diese können helfen, um Verständnis zu erzeugen.

In solchen und ähnlichen Fällen zeigte sie einfach ein Visitenkärtchen mit der Aufschrift: „Alzheimer-Demenz. Etwas anderes Verhalten.“ Sobald die Leute wussten, was Sache ist, waren sie sofort rücksichtsvoll und hilfsbereit.

Heike Taut-Franci: „Wenn man in einem guten Netzwerk ist, dann lernt man wie man loslässt und so delegiert, dass man mit großer Liebe noch pflegen kann.“ Und sich nicht etwa – aus Überforderung – Wut, Aggressionen, womöglich Gewalt gegenüber dem Kranken entlädt.

Die Tochter

Inge Gierok kümmerte sich um ihre Mutter, die an vaskulärer Demenz litt, also an einer Demenz in Folge von Durchblutungsstörungen. „Dabei fallen Bereiche weg wie die für Zeit, Orientierung, Namen“, erzählt die 59-Jährige. „Das Schlimme war: Meine Mutter hat bewusst mitbekommen, was sie vergessen hat.“ So sagte sie zum Beispiel eines Tages: „Ich weiß, das ist ein Telefon. Ich weiß, ich kann dich damit anrufen. Aber ich weiß nicht mehr, wie es geht.“

Starke Stimmungsschwankungen

Einher ging dies mit starken Stimmungsschwankungen. Daneben zu stehen, während ihre Mutter ihre gesamten Fähigkeiten verliert und das bewusst mitbekommt, das war für die Tochter unheimlich schlimm zu erleben.

Inge Gierok.
Inge Gierok.

Lange noch, bis drei Monate vor ihrem Tod, habe ihre Mutter in ihrer Wohnung leben können. Eine Pflegedienst half; alle Haushaltsdinge inklusive Kochen und Waschen übernahm Inge Gierok. „Ich war jeden Tag bei ihr. Nur sonntags hat mein Mann mir das abgenommen, weil er meinte: Einen Tag brauchst du Ruhe.“

Positive Heim-Erfahrung

Als die ältere Dame anfing, nachts spazieren zu gehen, stand zunächst die Kurzzeitpflege und dann der Umzug in ein Pflegeheim an. „Ich konnte sie aufgrund der wohnlichen Situation und aus gesundheitlichen Gründen nicht zu mir nehmen“, sagt Inge Gierok, der das alles andere als leicht fiel. Aber: „Wir haben Glück mit dem Personal gehabt.“

Das habe sich Zeit genommen und vor allem auch die letzten Stunden im Leben ihrer Mutter mit viel Würde gestaltet. Ein Lichtspiel an der Decke, angenehme Musik, ein Luftbefeuchter hätten zum Beispiel für eine angenehme, ruhige Atmosphäre gesorgt. „So gerecht werden hätte ich meiner Mutter zu Hause gar nicht können“, ist die 59-Jährige überzeugt. „Ich habe keine lange Erfahrung mit einem Heim – aber die war positiv.“

„Es gibt nicht das perfekte Heim, aber das perfekte Zuhause gibt es auch nicht“, meint Heike Taut-Franci (63). Sicher gebe es nicht nur glückliche Zustände. Aber: „Es kommt viel auf die Kommunikation mit dem Pflegepersonal an. Und wir haben erlebt, dass Leute im Heim wegen der sozialen Kontakte erst wieder aufleben.“

Der Sohn

„Bei mir war alles ganz anders“, beginnt Jürgen Menzel seinen Bericht. „2012 fiel mir auf, dass meine Mutter vergesslich wurde.“ Als sie 80 war, stellte ein Neurologe eine beginnende Alzheimer-Demenz fest. „So schlimm wird es nicht werden“, dachte der Sohn zunächst, denn in ihrer kleinen Altenwohnung konnte seine Mutter zunächst noch eigenständig leben. „Aber ich habe gemerkt, dass sie ihre Kontakte abgebrochen und sich zurückgezogen hat.“

Umzug in Demenz-WG

Beim alljährlichen gemeinsamen Urlaub wurden die Defizite dann deutlicher. Fünf bis sieben Tage in der Woche besuchte er die ältere Dame; half ihr; machte ihr Umfeld sicherer bis hin zum Ausbau des Herdes. Zuletzt wurde ein Pflegedienst engagiert, um ihr beim Waschen und Anziehen zu helfen.

Jürgen Menzel.
Jürgen Menzel.

Was dem Sohn aber vor allem zu schaffen machte: Bei all seinem Einsatz wurde er von seiner Mutter beschimpft. Immer schon eine bestimmende Persönlichkeit, veränderte sich ihr Charakter mit der Demenz, so dass sie ihn permanent beleidigte. „So wäre es nicht weiter gegangen. Wenn sie jetzt noch daheim wohnen würde, es wäre die Hölle“, sagt Jürgen Menzel. In der SHG erfuhr er von der Einrichtung der neuen Demenz-WG der Diakonie an der Sandbahn. Dort lebt seine Mutter nun seit Oktober, wird von ihm regelmäßig besucht. „Das Personal ist fantastisch. Sie fühlt sich dort jetzt zu Hause.“

>>>> DIE SELBSTHILFEGRUPPE

Diesen pflegenden Angehörigen hat die Selbsthilfegruppe Angehöriger Demenzerkrankter den Rücken gestärkt. Dort können sich die Pflegenden eine Auszeit nehmen, Tipps für den Alltag mitnehmen, ganz frei über Sorgen, Ängste, Gefühle reden. Gesprochen wird dort zum Beispiel über Krankheitsbilder und Behandlungsmöglichkeiten der Demenz, Hilfe bei Überlastung oder Trauer, Betreuungsangebote, aber auch über rechtliche Fragen bei der Betreuung.

Treffen: jeden ersten Dienstag im Monat plus jeden vierten Dienstag in ungeraden Monaten, jeweils von 16 bis 18 Uhr, Gerichtsstraße 3 (2. Etage). Informationen gibt es über das Selbsthilfebüro unter 02041 23019.