Bottrop. . „Wie war das, als ihr als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen seid?“ Junge Türken interessieren sich für Geschichte der ersten Generation.
Was wissen die Enkel eigentlich über die Geschichte ihrer Großeltern? Wenig, sagt Semi Böge mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen, die El Ele besuchen, die Integrationsagentur der evangelischen Kirche in Batenbrock. Für einige hat sich das geändert. Sie haben nämlich bei ihren Großeltern nachgefragt: „Wie war das damals, als ihr als Gastarbeiter kamt?“
Die Gespräche zwischen der ersten und der dritten Generation Türken waren schwierig: vielen fehlt die gemeinsame Sprache. Die Alten sprechen kein oder wenig Deutsch, die Jungen kein Türkisch. Das ist auch bei Arslan Arslan so, einem der interviewten Großväter. Mit einigen seiner Enkel kann er sich nicht mehr verständigen. Als er den Jugendlichen in diesem Jahr auch für einen Film Rede und Antwort gestanden hat, musste übersetzt werden. Der Film, unlängst im Martinszentrum gezeigt, dokumentiert auch die Lebensleistung der Gastarbeiter damals beim Wiederaufbau Deutschlands.
Arbeitskräfte für die Zeche
Der Bergbau stand noch in voller Blüte, als Arslan Arslan 1971 als Gastarbeiter nach Deutschland kam. Der Bergmann war 24, Frau und Kinder blieben in der Türkei. Am Flughafen wurden die Neuankömmlinge in Busse gesetzt und auf die Städte verteilt, er kam nach Bottrop. Es sei ihm anfangs schwer gefallen, sich zurecht zu finden, erzählt er und Semi Böge übersetzt. Schon nach zwei Tagen mussten sich die Männer selber versorgen. Sie teilten sich in einem Heim an der Morianstraße mit mehreren ein Zimmer. Nur sechs Wochen dauerte sein Deutschkurs, gelehrt wurde, was man für die Arbeit brauchte.
Kontakte zur Heimat waren schwierig, Informationen aus der Türkei spärlich. Es gab kein türkisches Fernsehen, keine türkischen Zeitungen und nur einmal in der Woche eine Radiosendung für Gastarbeiter. In seinem Heimatdorf gab es erst 1978 eine Telefonzentrale, bis ein Gespräch zustande kam, vergingen sechs Stunden. Die Eheleute hatten keinen direkten Kontakt, Arslan Arslans Frau war Analphabetin. Vom Tod eines seiner Kinder hat er erst bei seinem jährlichen Besuch erfahren, man hat sich mit schlechten Nachrichten verschont.
Die Familie kam nach drei Jahren nach
Drei, höchsten fünf Jahre wollte er bleiben und Geld verdienen, erinnert sich der heute 70-Jährige. Doch nach drei Jahren hat er Frau und Kinder nachgeholt und ist bis zur Rente 1995 Bergmann in Bottrop gewesen. Ein halbes Jahr lebt er heute immer in der Türkei und würde auch länger bleiben, doch seine Frau ist lieber in Deutschland bei Kindern und Enkeln.
Wie Esra, der 21jährigen Enkeltochter, die studiert. Sie hat das Projekt zwischen den Generationen mit Semi Böge begleitet. „Viele Jugendliche wussten nur wenig über ihre Großeltern“, sagt sie. „Und das Wissen geht allmählich verloren.“ Esra kommt zu El Ele seit sie acht war. Erst hat sie hier Kurse besucht und Bildungsreisen mitgemacht, heute arbeitet sie ehrenamtlich mit.
„Ich kannte fast gar nichts über die Geschichte meiner Großeltern“, bestätigt Doygu. Fragen konnte sie nur noch ihre Oma und ihren Vater, der Opa ist schon tot. Er kam 1970 nach Deutschland, holte seine Frau und die zwei Kinder 1973 nach. Sein Traum für Deutschland: genügend Geld zu verdienen, um sein Haus in der Türkei zu renovieren. Doch die meisten Großeltern sind schließlich geblieben, so wie auch die von Ferdevs. Die 13-Jährige erzählt: „Meine Eltern wurden auch in Deutschland geboren.“
Großeltern freuen sich
Schon die zweite Generation spricht oft kaum Türkisch. Trotz aller Sprachprobleme haben die Großeltern das Interesse der Enkel genossen. Zeliha (13): „Meine wollten den Film unbedingt sehen. Sie haben sich sehr gefreut.“ Und Fatma (13) sagt: „Sie haben gemerkt, dass wir uns für sie interessieren und haben immer gefragt, was wir gerade machen.“ Alper freut sich, dass auch Schulen aufmerksam wurden: „Ich finde es gut, dass sie anfangen, sich mit dem Thema zu befassen. Sonst gehen Wissen und Sprache ganz verloren.“ In den 8. Klassen ist Migration jetzt Thema.
„Wir haben beobachtet, dass die Kinder für materielle Dinge wenig Wertschätzung haben“, erklärt Semi Böge ihre Beweggründe für das diesjährige Projekt. „Die wussten nicht, was ihre Großeltern alles auf sich genommen haben, damit sie es einmal besser haben.“
Adresse des Opas im Archiv gefunden
Also haben sie ihre Großeltern ausgefragt und selber recherchiert, zum Bespiel im Stadtarchiv. „Ich habe dort die Adresse meines Opas gefunden“, erzählt Fatma. „Ich wusste gar nicht, dass der früher in dem Arbeiterheim gelebt hat.“ Sie haben Zollverein in Essen besucht und eine Stadtführung mit Thomas Schwarzer in Bottrop gemacht. Der stellvertretende Leiter des Referates für Migration und Kenner der Stadtgeschichte ist mit ihnen auf den Spuren ihrer Großeltern gewandelt.
Bald werden die Jugendlichen auch noch ein Stück deutsche Geschichte kennenlernen. In den Osterferien fahren sie nämlich alle zusammen nach Berlin.
>>> LAND FÖRDERT INTEGRATIONSAGENTUR
- El Ele, Integrationsagentur der ev. Kirche (Arenbergstr. 27), ist inzwischen über 30 Jahre alt und wird vom Land NRW gefördert. Die Sozialpädagogin Semi Böge leitet El Ele – das heißt übersetzt „Hand in Hand“ – seit 25 Jahren.
- Integration und Bildung sind das vorrangige Ziel. Es gibt Projekte für Jugendliche und immer wieder Bildungsreisen.