Bottrop. . Bottrops Stadtoberhaupt schnürt seit 15 Jahren die Laufschuhe. Die morgendliche Runde wappnet den Marathon-Mann für einen anstrengenden Tag.
Über dem Stadtwald steht ein Dreiviertel-Mond. Es ist Dienstag kurz vor sechs, das Herz schlägt unaufgeregt. 120 Mal in jeder Minute. Bernd Tischler läuft. Im Wald unweit des Marienhospitals beginnt der idyllische Teil seiner morgendlichen Strecke.
Hier verbringt der 56-Jährige mehrmals in der Woche die wenigen Minuten, in denen er nicht Oberbürgermeister der Stadt Bottrop ist. Kein Handy, keine Uhr, kein Filofax. Einfach nur Laufen, Ruhe, Mensch sein. „Ich genieße die Einsamkeit, diese seltenen Momente, in denen ich mit mir allein bin. Es gibt keine Ablenkung. Laufen ist Zeit, die man nicht teilen muss. Zeit zum Denken. Luxus, wenn man so will.“
Im Lauf zieht der Stadtteich vorbei. Die Temperatur liegt an diesem Morgen knapp über dem Nullpunkt. „Meinetwegen könnte es auch regnen. Das Wetter macht mir nichts aus. Im Gegenteil. Es gehört dazu und übt einen Reiz aus“, sagt Tischler, der sich an diesem Tag eine Dreiviertel-Hose, eine knallrote Laufjacke und eine orangefarbene Mütze aus dem Kleiderschrank gegriffen hat.
„Ich strukturiere meinen Tag“
Von der kleinen Insel im Stadtteich wabern Nebelschwaden Richtung Ufer. Durch die Baumkronen zwängen sich die ersten Sonnenstrahlen. Die Magie des kalten Frühlingsmorgens ist gratis. Aus ihr schöpft Tischler Energie für einen ereignisreichen Tag. Die Momente in kurzen Hosen und Laufschuhen sind ein Meeting mit sich selbst. „Ich strukturiere meinen Tag, bereite mich vor auf Treffen und Termine. Hier hat alles seinen Anfang.“
Tischler genießt Bottrops Ursprünglichkeit. Hier könnte ihr Wohnzimmer sein. Erhabene Buchen tragen ein dichtes Blätterdach. Zu ihren Füßen legt sich ein moosiger Teppich aus blühenden Buschwindröschen. Mittendrin nutzen viele Läufer den gepflegten Waldweg. „Man trifft wirklich immer wieder die selben“, sagt Tischler. Ein kurzes Hallo, ein Lächeln, es geht weiter.
Irgendwo in Dortmund geht gerade die Sonne auf
Das Rauschen der A 2 setzt sich nach wenigen Kilometern immer mehr gegen das Gezwitscher der Vögel durch und ist ein erster Hinweis darauf, dass Tischler schon bald die Pflichten des Tages erwarten. Auf einer Strecke von 200 Metern geht es jetzt leicht bergan. Oben wartet die Fußgängerbrücke über die Autobahn. Und mit ihr ein Blick auf den Berufsverkehr, der sich vierspurig und lärmend durchs Ruhrgebiet zwängt. Am Horizont, irgendwo bei Dortmund, geht gerade die Sonne auf.
Das Titelblatt für einen Ruhrpottkalender. Im orangefarbenen Licht fällt es Tischler leicht, zu erklären, was er am Laufen, aber auch an seinem Beruf so schätzt und welche Parallelen sich dabei auftun: „Es ist wichtig, sich Ziele zu setzen. Das gilt für ein Hobby genauso wie für den Beruf. Der Weg mag oft anstrengend sein, aber Durchhaltevermögen zahlt sich aus. Daran glaube ich.“
Vorbereitung auch auf den Vivawest-Marathon
Mit erreichten Zielen steigt das Vertrauen in die eigene Stärke. Die Scheu vor Herausforderungen sinkt. Eine Erfahrung, die auch Tischler beim Laufen gemacht hat. Für den ehemaligen Fußballer hat das Laufen längst nicht nur meditativen Charakter. Der sportliche Ehrgeiz ist aktuell Motor für rund 80 Laufkilometer pro Woche. Bottrops Bürgermeister bereitet sich intensiv auf den Vivawest-Marathon vor, der am 22. Mai durch Gelsenkirchen, Essen, Bottrop und Gladbeck führt. Für ihn wird es der 25. und vielleicht auch der letzte Marathon sein. „Diese 42 Kilometer sind nicht unbedingt gesund. Da geht es nicht nur um den Spaß, sondern vor allem um das Durchhaltevermögen.“
Warum Bottrop doch am schönsten ist
„Früher habe ich Fußball gespielt. In der Bezirksliga“, sagt Bernd Tischler. Ein Sport mit frühem Verfallsdatum. Die meisten Fußballer hängen spätestens Ende 30 die Schuhe an den Nagel, weil der Körper nicht mehr mitspielt. Der Spaß am Sport aber bleibt. Und der führte Bottrops Oberbürgermeister dann auch direkt zum Laufen. Tischler dreht seit 15 Jahren regelmäßig seine Runden.
„Man ist flexibel, benötigt neben den Schuhen nur ein paar Klamotten, und laufen kann man fast überall auf der Welt“, sagt Tischer. Und das hat der 56-Jährige auch schon getan. Kein Urlaub, keine Dienstreise, auf der die Schuhe keinen Platz im Reisekoffer finden. Seine schönsten Lauferlebnisse verbindet Tischler allerdings nicht mit der weiten Welt, sondern durchweg mit lokalen Ereignissen. Den schnellsten seiner bislang 24 Marathonläufe absolvierte er beispielsweise in Essen. Die 42,195 Kilometer „Rund um den Baldeneysee“ schaffte er in 3:19 Stunden. Zu seinen persönlichen Lauf-Highlights zählt er immer wieder auch den Vivawest-Marathon. „Es ist schon etwas Besonderes, durch die eigene Stadt zu laufen. An der Strecke stehen ganz viele Menschen, die ich kenne. Eine einmalige Atmosphäre, sehr viel persönlicher als anderswo.“
Bottrop war aber auch der Ort, an dem Tischler durch sein schlimmstes läuferisches Tief musste. Im vergangenen Jahr ließ er sich beim Vivawest-Marathon zu sehr von der Atmosphäre am Fan-Point auf dem Ostermann-Gelände anstecken. 28 Kilometer hatte er da hinter sich. Tischler: „Hunderte Leute haben uns gefeiert. Ich bin jubelnd durch die Straßen gelaufen und habe erst danach realisiert, dass wir noch nicht im Ziel sind. Die folgenden 13 Kilometer waren die schlimmsten, die ich je gelaufen bin.“
Neuro-Wissenschaft: frische Zellen fürs Gehirn
Bernd Tischler ist ein passionierter Läufer. 50 Kilometer pro Woche, das macht 2600 Kilometer im Jahr, oder anders: 260 Stunden Sport. Was macht das aus einem Menschen? Dass Laufen gut für die Gesundheit ist, weiß jeder, der es schon einmal ausprobiert hat. Laufen steigert die Fitness und das körperliche Wohlbefinden.
Laufen als Auslöser
In den vergangenen Jahren gelangen Neuro-Wissenschaftlern aber noch viel weitreichendere Erkenntnisse. Sie widerlegten die Annahme, dass das Gehirn eines erwachsenen Menschen keine neuen Neuronen (Nervenzellen) produzieren kann. Sie wiesen nach, dass das Gehirn während des gesamten Lebens dazu in der Lage ist. Aber: Als Auslöser dafür ist bisher nur eine einzige Aktivität nachweisbar: „Aerobes Training. Das ist es, das ist der einzige Auslöser für die Produktion neuer Neuronen, den wir bisher kennen“, erklärte Karen Postal von der Harvard Medical School in einem Interview mit der New York Times. Das Faszinierende daran sei, so die Präsidentin der American Academy of Clinical Neuropsychology, in welchen Hirnregionen die neuen Nervenzellen gebildet werden: ausschließlich im Hippocampus, einer Region des Gehirns, die mit Lern- und Gedächtnisvermögen in Verbindung gebracht wird.
Was bedeutet das übersetzt? Kurz: Aerobes Training verbessert spürbar die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen, also die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit, das Erinnerungsvermögen, das Lernen, das Problemlösen, die Kreativität und vieles mehr. Karen Postal erklärt: „Während eines Lauftrainings werden schon nach etwa 30 bis 40 Minuten neue Gehirnzellen geboren.“
Was bedeutet das übersetzt? Kurz: Aerobes Training verbessert spürbar die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen, also die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit, das Erinnerungsvermögen, das Lernen, das Problemlösen, die Kreativität und vieles mehr. Karen Postal erklärt: „Während eines Lauftrainings werden schon nach etwa 30 bis 40 Minuten neue Gehirnzellen geboren.“