Bottrop-Kirchhellen/Hünxe. . Große Hits aus der alten Schule, kurzfristige Absagen, entspannte Stimmung: Das war das zweitägige „Out4Fame“-Festival auf der Schwarzen Heide.

Altes Eisen rostet nicht. Deutschrap-Oldtimer Curse mag inzwischen einen grau melierten Bart tragen, die New Yorker Graniten Busta Rhymes und Mos Def einen stattlichen Bierbauch vor sich herumschleppen. Aber „die alten Hasen wissen eben noch genau wie es geht“, sagt Markus (23), einer der rund 11 000 Besucher des diesjährigen „Out4Fame“-Festivals, und bringt damit auf den Punkt, was am Freitag und Samstag auf der Schwarzen Heide zu sehen war. Energische Zeremonien der Altmeister am Mikrofon.

Allerdings lief mitnichten alles reibungslos: Foxy Browns erster Auftritt in Deutschland seit zig Jahren wurde kurzfristig abgesagt. Die Big-Apple-Diva, auf die viele Besucher enorm gespannt waren, verpasste ihren Flug und damit das gesamte Festival. Der Wu-Tang-Clan, Headliner vom Samstag, spielte nicht nur eine Stunde früher als geplant und überließ Mobb Deep den Abschluss-Slot, sondern trat auch noch ohne RZA, Raekwon und Method Man auf, drei der prominentesten Köpfe der Gruppe.

Versteckte Kosten

Zusätzlich gab es etwas Chaos fernab der Bühne: „Am ersten Tag durfte man seinen eigenen Alkohol noch mit auf das Gelände nehmen, am zweiten plötzlich nicht mehr“, kritisierte Besucherin Malwina (29). Die Berliner Oliver (48) und Jana (42) ärgerten sich darüber, dass man seine Chips für den Getränkekauf nicht wieder in Geld umtauschen konnte. „Außerdem wäre eine Dusche auf dem Caravanplatz gut gewesen. Dann hätte man nicht über das gesamte Gelände laufen müssen“, so Oliver.

Manche Besucher standen zwei Stunden in der prallen Sonne, um ihr Festivalbändchen am unterbesetzten Ticketstand abzuholen. Andere wunderten sich über versteckte Kosten, etwa für den Shuttle-Bus (3 Euro), nicht angekündigten Mindestverzehr bei VIP- oder Partner-Tickets (25 Euro) oder für Müllpfand (10 Euro). „Eigentlich ist es ja eine gute Idee, Geld für abgegebenen Müll zurückzubekommen“, so Besucherin Lisa (25), „aber man hat das Geld erst bekommen, wenn die Müllsäcke mindestens halb voll waren.“ Wer nicht mehr Müll produziert hat als einige Dosen Ravioli und Apfelgriebse, blieb auf den Kosten sitzen.

Betreutes Feiern

Der sehr friedlichen und entspannten Stimmung taten die organisatorischen Schwierigkeiten dennoch keinen Abbruch. „Es ist ein sehr betreutes Feiern hier“ sagt Bochumerin Malwina, die eigentlich eher auf Psychedelic- und Trance Festivals unterwegs ist und sich das Hip-Hop-Publikum reservierter und weniger aufgeschlossen vorgestellt hatte. „Dabei sind hier wirklich nur nette Menschen.“

Schließlich wagte das angekündigte Unwetter am Freitag ja auch nicht, irgendjemandem das Grinsen zu entreißen. Der Sturm zog glücklicherweise über die Schwarze Heide hinweg und auch am Samstag blieb es fast ganz trocken, bis auf einen kleinen Schauer, der mehr erfrischte als Sorgen bereitete.

HipHop auf dem Flugplatz

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Der Freitag: Hip-Hop Shows aus dem Lehrbuch 

Die jedoch ohne Zweifel größte Entschädigung für den ein oder anderen organisatorische Makel waren natürlich die musikalischen Highlights. „Es ist einfach toll, dass es eine Veranstaltung in Deutschland gibt, auf der man Acts der ersten Stunde live erleben kann“, sagt Berliner Oliver. „Ein Wochenende, das sich für jeden Hip-Hop-Fan lohnt“, fasst es Besucher Markus zusammen.

Die erste große Explosion auf der Bühne gab es am Freitag, als das für politische und sozialkritische Texte bekannte Duo dead prez mit seinem Evergreen „Hip-Hop“ den Platz (nach einer zunächst etwas fragwürdigen Song-Auswahl und soundtechnischen Schwierigkeiten) beben ließ. Curse, der wegen seiner weichen Texte bei Hip-Hop-Fans polarisiert, war der einzige, der gleichzeitig Trinkbecher auf die Bühne geschmissen bekam und sich in Zugabe-Rufen sonnen durfte, wohlverdiente wohlgemerkt. Keinem Künstler beim diesjährigen Festival hat man mehr den Spaß an der Sache angesehen als dem 36-jährigen Mindener, egal ob es um Tracks aus seinem zeitlosen Erstlingswerk „Feuerwasser“ oder die pathetischen Balladen aus seiner aktuellen LP „Uns“ ging.

Durchgedrehte Turntable-Stunts

Eko Fresh reiste anschließend ebenfalls quer durch sein Œuvre, von seinen Chartsprengern mit Bushido bis zu „Komm Her“ aus seinem allerersten Tonträger „Jetzt kommen Wir auf die Sachen“. Letzteren performte der Wahlkölner seit langer Zeit zum ersten Mal und bescherte damit einen besonderen Moment für alle, die ihn seit Tag eins verfolgen. Das launige Finale mit seinem folkloristischen wie schlagerpoppigen Spaß-Song „Quotentürke“ verwandelte die Schwarze Heide dann kurzzeitig in einen türkischen Festsaal.

EPMD und Talib Kweli boten folgend zwei klassische Hip-Hop-Shows aus dem Lehrbuch. Glanzmoment beim Auftritt der fast 50 Jahre alten Rap-Senioren von EPMD: Die durchgedrehten Turntable-Stunts von DJ Scratch. New Yorker Talib Kweli hatte auf der Bühne eine viel gewaltigere Präsenz als auf Platte und schüttelte mit seinem Magnum Opus „Get By“ anschließend die positive Energie aus den Leuten heraus wie der Leiter eines Gospelchors.

Ungewöhnliches Bühnenerlebnis

Nach zahlreichen energiegeladenen Shows kam dann Mos Def, inzwischen unter dem Namen Yasiin Bey unterwegs, mit einer knalligen orangen Weste und einem hautengen Langarm-Shirt in Kleidlänge auf die Bühne getänzelt. Er machte Pirouetten, scattete, sang mehr als er rappte, führte seine Songs mit den gesampleten Originalen ein. Kurzum: Alles andere als eine orthodoxe Hip-Hop-Show, für den einen irritierend und enttäuschend, für den anderen ein Kunststück voller Groove. „Es haben nur noch das Kaminfeuer und die Couch gefehlt“ beschreibt es Bochumer Festival-Besucherin Malwina passend. Natürlich ließen sich Mos Def und Talib Kweli anschließend nicht nehmen, sich als „Black Star“ on stage zu vereinen und Klassiker aus ihrem Kollabo-Album abzuliefern.

Hitmaschine Busta Rhymes motivierte das Publikum anschließend nicht auszurasten, nein: er befahl es ihnen. Gezwängt in eine strahlend weiße Jacke mit Teddybär auf dem Rücken lieferte der Headliner Partysongs wie auf dem Fließband, brach dabei aber den einen oder anderen Song zu früh ab. Auch wenn es vor allem darum ging, gemeinsam mit Busta seine bekanntesten Choruse mitzugrölen, zeigte das New Yorker Schwergewicht, dass es weiterhin ohne Frage reichlich Lungenvolumen hat: Seine berühmt berüchtigten Turbo-Parts aus „Break Ya Neck“ oder „Look At Me Now“ spuckte Busta fehlerlos aus, und sogar jeweils zweimal hintereinander.

Der Samstag: Eine maskierte Horde und Rap im Tripletakt 

Am Samstag schloss R.A. the Rugged Man an Busta Rhymes‘ Durchgeknalltheit an, gar überbot er sie. Nach zahlreichen unvergleichlichen Acapella-Einlagen holte er das halbe Publikum auf die Bühne – und wollte es auf der anderen Hälfte des Publikums surfen sehen. Doch den Mut schien sich am Nachmittag noch kaum einer angetrunken zu haben. Bei Afrob, dem nächsten Highlight des zweiten Festivaltages, waren die Besucher zwar schon mehr aufgewärmt, aber schließlich verlangte der Stuttgarter MC auch keine lebensmüden Aktionen von seinen Zuhörern. Purer Rap, mal auf neumodernen Beats, mal auf klassischem Bumm Tschak. Ohne Überraschungen, aber einfach souverän.

Der Frankfurter Azad stampfte folgend mit einer maskierten Horde auf die Bühne, hüllte die Schwarze Heide musikalisch in Nebel und bot genau die kompromisslos brachiale Show, die man sich von ihm gewünscht hatte. Nachfolger Samy Deluxe zeigte sich dann in der Verfassung, in der ihn das nostalgische Publikum sehen wollte: Hungrig auf Rap, musikalische Experimente beiseite. Er setzte sich die „Grüne Brille“ auf, rappte zu Trommel- und Schlagzeug-Gedresche im Tripletakt und holte zum Finale seinen alten Weggefährten Afrob aus dem Backstage, um als ASD der Bühne den Gnadenstoß zu verpassen. Das zweite gemeinsame Album der beiden, „Blockbasta“, soll übrigens am 3. Juli erscheinen.

Der Clan in Unterbesetzung

Und dann war es schon Zeit für den Wu-Tang Clan, für den so ziemlich jeder auf dem Gelände gekommen war. Ein Wu-Tang-Shirt schien so etwas wie die Festival-Uniform zu sein, das zu zwei Händen geformte „W“ ein häufiger geformtes Zeichen als eine gehobene Hand zum Gruß. Die Erwartungen waren enorm, die Ängste aber auch: Schließlich ist der Wu-Tang-Clan für seine Querelen genauso bekannt wie für sein legendäres Debütalbum „Enter the Wu-Tang (36 Chambers)“. Dass alle Mitglieder kommen würden, daran glaube kaum einer. Dass dann aber weder Method Man noch Raekwon und RZA in den Flieger nach Deutschland gestiegen waren, schien das Publikum selbst bei den Darbietungen der bekanntesten Songs etwas gehemmt zu haben. Wer es schaffte, sich etwas von der Enttäuschung über die missenden Prominenz frei zu machen, konnte bei „Gravel Pit“, „Shimmy Shimmy Ya“ oder „Bring Da Ruckus“ dennoch einige der spaßigsten Mitmach-Momente des Wochenendes für sich mitnehmen.

Mobb Deep machten dann genau da weiter, wo sie beim ersten „Out4Fame“-Festival aufgehört hatten: Keine Bühnenshow, keine Gimmicks. Vor einem riesigen Publikum scheinen Havoc und Prodigy genauso zu rappen wie sie es früher beim Freestyle vor der brennenden Mülltonne im Queensbridger Block getan haben. Pur und echt, aber auch unspektakulär – besonders im Vergleich zu den US-Headlinern des letzten Jahres, DMX, Method Man und Redman

Kool Savas kommt 2016

Apropos letztes Jahr: Wegen des in diesem Jahr noch mehr auf Helden der Neunziger ausgerichteten Line-Ups war das Publikum etwas homogener als bei der ersten Ausgabe des Festivals. Statt Teenager, die Songs von Deutschrap-Trendsettern wie KC Rebell und Kollegah auf Streaming-Diensten dauerklicken, ließen sich mehr Ü-30-Jährige auf den Zeltplätzen nieder, die EPMDs Debütalbum „Strictly Business“ das erste Mal auf ihrem Kassettenrekorder gehört hatten.

Ob die Veranstalter sich wohl noch tiefer in ihre Nische einnisten und 2016 noch mehr Rapper der alten Schule nach Hünxe bitten? Für die nächste Festival-Ausgabe jedenfalls wurde bereits Kool Savas als erster Künstler bestätigt – und der lässt ja bekanntlich sowohl die Köpfe von Schülern als auch von Mittvierzigern nicken.