Bochum. Etwas mehr als sechs Kilometer ist die Kemnader Straße lang. Damit ist sie eine der längsten Straßen Bochums. Darüber hinaus findet sich auf ihr der höchste Punkt der Stadt.

Am höchsten Punkt der Stadt ist gerade keiner zuhause. Keine Menschenseele. Nur ein Hund hält Wache an der Kemnader Straße 302a. Er läuft durch den Garten, bellt, kommt zum Tor, bellt, guckt nach wer da ist, obwohl er den Besucher sicher schon lange vorher gerochen hat, der Hund, der den „Höhepunkt“ der Stadt bewacht. Der alte Hof Höltermann in Stiepel liegt auf 196 Metern über Normalnull. Damit markiert er die allerhöchste Lage der Stadt (Punkt 3).

Mit Weitblick aber ist inzwischen nicht mehr viel. Das war vor fast 200 Jahren noch anders. Mindestens 187 Jahre, wahrscheinlich noch um einiges älter, ist das Haus dort am höchsten Punkt der Stadt. Da war das Land drumherum noch Bauern-land. Längst ist es Bauland geworden und der Blick, der einst bis zum Haus Kemnade und bis nach Blankenstein schweifen konnte, endet nun deutlich eher an Hauswänden.

Eigenheim neben Eigenheim

Zugebaut sind viele Blickwinkel. Eigenheim betuchter Stiepeler Neubürger steht neben Eigenheim. In Blickweite zum alten Hof Höltermann gibt es ein Neubaugebiet, für das die Baufirma mit dem Spruch „Ihr Traum ist unser Ziel“ wirbt. Auf der Kemnader Straße in Stiepel lässt sich gut leben. Auf der Kemnader Straße in Weitmar Mark auch. Die Straße durchläuft zwei Stadtteile.

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Das mit dem „gut leben können“ bestätigen Doris Exner und Doris Neumann, zwei Frauen jenseits der 60, die unten im Haus am schon damals vor 200 Jahren und immer noch ungepflasterten Weg rauf zum höchsten Punkt der Stadt leben, also auf dem Stiepeler Teil der Straße.

Es ist hügelig, aber nicht bergig

„Ich wohne sehr gerne hier“, sagt Exner. „Der Blick ins Ruhrtal ist wirklich schön. Das einzige was vielleicht fehlt, das ist ein Altenpflegeheim. Da finde ich den Vorschlag der CDU gut. Das würde hier gut hinpassen. Die Aussicht wäre eben auch toll.“ Himmel, die Berge. „Nein“, sagt Exner. „Bergig ist es hier ja nicht. Wirklich nicht. Das ist für Sie bergig? Nein. Hügelig ist es vielleicht hier. Aber doch nicht bergig, nein.“

Die Radfahrer, die durchaus zahlreich die Strecke zu Trainingszwecken nutzen, mögen das anders sehen. Sie kurbeln gemächlich den Anstieg hinauf. Mit einem Rad ohne Gangschaltung würde es schwerfallen, die etlichen Höhenmeter zu überwinden. Zumal es sich zieht. Der Anstieg und die Straße. Von wegen nur hügelig.

Mit dem Rad unterwegs

Etwas mehr als sechs Kilometer ist die Straße lang. Im Schritttempo, also wenn man sich mit 3,6 km/h bewegt und nicht schlendert, benötigt man dann schon deutlich mehr als eine Stunde von einem Ende der bis zum anderen Ende und der Brücke über die Kemnade (4). Am Ende ist man dann auf Hattinger Gebiet. Mit dem Fahrrad geht es entsprechend schneller, weil dem Anstieg auch eine längere Abfahrt folgt.

Immerhin hätte man auf dem Weg hinüber nach Hattingen keinerlei Probleme mit der Nah- und Fußversorgung. Zu Beginn der Straße in Weitmar gibt es die Kemnader Apotheke (1), wenig später folgt Hökes Sanitätshaus, die Straße rauf weitere zwei Apotheken. Blumen kann man kaufen im Blumenladen Klein, Hausnummer 59, bei Inhaber Michael Wabbels. Ein Zwischenstopp lohnt auch immer bei Hausnummer 197 (2). Dort ist der Hof Schulte-Schüren beheimatet, ein Familienbetrieb in vierter Generation. 23 Mutter-Kühe mit ihrem Nachwuchs hegen und pflegen Guido Schulte-Schüren mit seinem Sohn Kai und seinem Bruder Mike. „Wir haben Limousin-Kühe“, sagt er.

Weidefläche für Limousin-Kühe

Das ist eine Rinderrasse, die aus der gleichnamigen Region Limousin in Frankreich stammt und durch ihre Langlebigkeit und Anpassungsfähigkeit bekannt ist. „Sie haben hier ausreichend Weidefläche“, sagt er und zeigt am alten Bauerhaus vorbei, in dem der Hofverkauf an der Haustür stattfindet. Eier der freilaufenden Hühner gibt es rund um die Uhr – im Eier-Automaten. Bio auf Knopfdruck.

Oben auf dem Hügel gibt es dann Nahversorger in Reihe und Glied. Der Stadtteilbewohner, der die täglichen Dinge des Lebens benötigt, muss nicht nach Bochum oder wahlweise Hattingen in die Innenstadt. Wobei beide nicht so weit weg wären. Keine zehn Minuten. Mit dem Auto. Das braucht man hier nicht zwingend. Alles ist fußläufig zu erreichen. Wenn man will, beziehungsweise kann, eben auch das Erholungsgebiet Kemnade mit dem Kemnader See.

Gerade er hat eine große Anziehungskraft. Im Frühjahr tummeln sich Radfahrer, Jogger, Skater und Angler rund um den See und auf dem Wasser sind Ruderer, Surfer, Kanuten sowie Segler unterwegs. Mit den Ausflugsschiffen MS Kemnade und MS Schwalbe kann man die Ruhr und das Ruhrtal anders erleben. Nur den alten Hof Holtermann, den sieht man von Deck aus nicht.

Einst rollte die Linie 5 über die „Kemnader“

Die Kemnader Straße hat ihren Namen nach dem Haus Kemnade, einer ab 1602 erbauten Wasserburg, die auf den Grundmauern einer befestigten Anlage aus dem 12. Jahrhundert entstand. Sie befindet sich in Bochumer Besitz, liegt allerdings auf Hattinger Stadtgebiet. Die Burg Kemnade war in alter Zeit so etwas wie der „Verwaltungssitz“ für den Bochumer Süden und die Kemnader Straße seit je her DIE Verbindung über die Ruhr nach Hattingen, Witten und Sprockhövel, also zu den Ortschaften südlich des Flusses.

Vor dem Ausbau der Königsallee über die Markstraße hinaus lief der gesamte Verkehr über die „Kemnader“ in Richtung Ruhr – auch die Straßenbahnlinie 5 klingelte hier entlang, aus Bochum kommend, vorbei am Saalbau Spitz, vorbei an der St.-Marien-Kirche (damals noch ohne Kloster) bis nach Stipel-Frische oben auf dem „Berg“, wo Endstelle war. Sie hatte ihren Namen nach dem alten „Haus Frische“, einer Ausflugsgaststätte, die über Bochum hinaus bekannt war und 1977 abgerissen wurde.