Bochum. Fünf Interviews zur Kommunalwahl präsentiert der WAZ-Leserbeirat in dieser Woche. Diesmal sprachen Ellen Teuber und Winfried Lanfers mit Günter Gleising (Soziale Liste) und Felix Haltt (FDP) über Stadtentwicklung und Infrastruktur. Große Unterschiede gab es beim Thema Einkaufszentrum.
Wie stehen Sie zu Plänen, aus Bochum eine Einkaufsstadt zu machen?
Günter Gleising: Die Möglichkeit, hier in Bochum einzukaufen, sind relativ gut entwickelt. Was in Bochum fehlt, was immer wieder von Bürgern gewünscht wird, ist ein klassisches Kaufhaus. Wir wollen keine reine Einkaufsstadt, wir wollen vor allem nicht den ständigen Wettbewerb mit Essen und Dortmund, um sich gegenseitig die Kunden abzuluchsen. Bochum muss eine eigene Struktur weiterentwickeln, und die Struktur ist immer gewesen, eine Stadt zu sein, in der man viele Einzelhandelsgeschäfte hat. Das ist ein bisschen schwieriger geworden, auch durch Fragen der Kaufkraft.
Felix Haltt: Ich glaube, mir müssen uns diesem Wettbewerb genau stellen. Wir haben auf dem Gelände des Gerichtsgebäude den Plan, vielleicht ein neues Einkaufszentrum zu bauen. Wir müssen gucken als Stadt, dass wir uns nicht abhängen lassen im Wettbewerb. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir offensiv zu den Möglichkeiten eines verkaufsoffenen Sonntags stehen sollten. Das neue Zentrum ist sehr wichtig, weil wir in der Innenstadt sehr kleinteilig mit den Geschäften sind. Gerade wenn man heute die Markenauftritte der Großen anguckt: Die brauchen große Quadratmeterzahlen.
Herr Gleising, was sollte anstelle des Centers entstehen?
Gleising: Die Planungen für dieses Einzelhandels-Kommerz-Center, das da an der Viktoriastraße geplant ist, würde eindeutig zu Lasten der bisherigen Struktur gehen. Es würde ein Verdrängungswettbewerb stattfinden, die Kortumstraße würde veröden. Der Markt dafür ist in Bochum nicht gegeben. Wenn man sich mal die Planungen anguckt: Was da an Geschäftsfläche existiert, ist mehr als die gesamte Kortumstraße. Das ist für Bochum völlig überdimensioniert. Als Alternative habe wir entwickelt, dass da zum Beispiel im Viktoriaquartier alles nur als Freifläche genutzt wird. Wir wollen, dass die Innenstadt nicht nur Kommerz ist, sie muss auch für Familien, für Kinder da sein. Wir brauchen Lebensraum. Die Bürger müssen sich ein Stück ihre Stadt zurückerobern.
Haltt: Wir halten das Projekt des Einkaufszentrums für wichtig, wegen der Kleinteiligkeit der bisherigen Geschäftsflächen. Wir sollten nach den Bedürfnissen der Anbieter gehen. Wir sollten gucken, dass wir Großläden vernünftige Flächen anbieten, um dann auch neue Anbieter, die jetzt aktuell nicht nach Bochum kommen würden, anzulocken und dadurch Belebung zu schaffen. Ich sehe den Bedarf, dass in die Drehscheibe und den Citypoint ein neues Konzept rein muss, wenn wir wirklich das neue Center bekommen, weil wir auch dort Leerstand haben. Da muss der Betreiber gegebenenfalls handeln. Und was die Freifläche angeht: Wir haben den Stadtpark. Der ist nicht weit entfernt. Wir haben jetzt schon Probleme, dass wir den Park nicht so gestalten können, wie wir uns das eigentlich wünschen. Wenn wir uns dann noch einen neuen Park ans Bein binden, haben wir nichts gewonnen.
Was halten sie von einer autogerechten Innenstadt?
Haltt: Ich halte viel davon, dass wir ein Miteinander der Verkehrsträger haben. Die Innenstadt muss gut mit dem ÖPNV erreichbar sein, aber auch gut mit dem Auto. Wenn manche Anschaffungen gemacht werden, etwa Elektronikartikel, und man in eine Tiefgarage fahren kann, schafft man das ganz gut. Das wird man zu Fuß und mit dem Rad nicht schaffen. Wir dürfen nicht den Fehler machen, dass wir den Autoverkehr aus der Innenstadt verbannen.
Gleising: Eine autogerechte Innenstadt wollen wir nicht. Dass ich zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort in der Innenstadt mit dem Auto hin muss, ist nicht mehr leistbar. Wenn man sich jetzt die Stadt anguckt, selbst die Hans-Böckler-Straße, das ist für viele Verkehrsteilnehmer ausgesprochen gefährlich, anstrengend. Wir wollen,dass Fußgänger nicht ständig an den Rand gedrängt werden. Wir wollen viele gute fußläufige Verkehrswege für Fußgänger und Radfahrer. Der Radverkehr wird sich in den nächsten Jahren revolutionieren. Die Elektromobilität wird Einzug halten. Dafür muss ich entsprechende Voraussetzungen schaffen.
Wie gehen Sie mit den Leerständen in der Innenstadt und den Stadtteilzentren um.
Gleising: Wenn die Innenstadt einkaufsmäßig noch mehr gestärkt wird, geht das auch zu Lasten der Stadtteile. Diese Politik: immer auszuweiten, funktioniert nicht. Beim Wohnungsbau ist es genau so. Ich kann nicht Bochum ständig mit neuen Wohnungen und Hochhäusern zubauen. Wir haben eine Wohnungsstruktur auch an Häusern, die zum Teil leer stehen. Da muss die Stadt ein Projekt entwickeln, dass solche Häuser aufgekauft werden, dass die saniert werden und junge Leute und Studenten da einziehen können. Es muss nicht alles neu gebaut werden. Es gibt Straßenschluchten, etwa die Wattenscheider Straße, es ist fürchterlich, da zu wohnen. Da muss ich sehen, dass ich Freifläche da reinbekomme. Da müssen Spielplätze hin, ein bisschen Grün. Dass die Lebensqualität auch in diesem Bereich stärker wird.
Haltt: Ich glaube, wir können als Politik die Leerstände nicht direkt bekämpfen. Ich glaube, wir werden auch mit Zwangsmaßnahmen die Stadtteilzentren nicht künstlich aufrechterhalten können. Wir müssen gucken, dass wir uns kreativen Ideen öffnen. Gucken Sie ins Ehrenfeld, wo sich etwas entwickelt hat, Da hat keiner gelenkt. Da ist eine kreative Sache entstanden, bei der sich kleine Läden angesiedelt haben, das ist aus sich heraus entstanden. Da sollten wir gucken, dass wir mit Bürokratie oder Ähnlichem Hemmnisse in den Weg legen. Wir sollten eher den Unternehmergeist fördern. Politik kann nicht alles. Sie hatten das vorhin erwähnt mit dem Kaufhaus: Alle bemängeln, dass es kein Kaufhaus mehr gibt. Aber keiner ist mehr in das Kaufhaus reingegangen, um dort zu kaufen. Da ist dann auch die Politik an einem Punkt, an dem sie an ihre Grenzen tritt.
Baustellen müssen besser koordiniert werden. Die FDP fordert eine zentrale einsehbare Planung auf der Homepage der Stadt.
Haltt: Für uns ist die Straßensanierung ein großes wichtiges Thema, weil wir viele Buckelpisten haben. Flickschusterei löst das Problem auf Dauer nicht. Es ist wahrscheinlich billiger, das mal vernünftig anzugehen und grundzusanieren.
Gleising: Es müssen Informationsbüros an den Baustellen eingerichtet werden, es müssen Bürgerversammlungen stattfinden, nicht nur am Anfang, auch zwischendurch.
Wie kann man das Image Bochums nach außen verbessern?
Gleising: Es darf nicht sein, dass krampfhaft versucht wird, die Vergangenheit auszublenden: Kohle und Stahl, das war schrecklich und so und jetzt ist alles anders... Man muss dazu stehen: Wir sind eine Malocherstadt gewesen und wollen eine bleiben. Wir setzen alle Kraft daran, dass an den Opel-Flächen vernünftige Betriebe angesiedelt sind, in denen Leute arbeiten, die auch entsprechend entlohnt werden. Nicht irgendein Logistiker, der 10,50 Euro oder was weiß ich Lohn bezahlt.
Haltt: Das A & O wird sein, dass wir es hinkriegen, dass neue Arbeitsplätze entstehen.
Wie wollen sie einer unnötigen Hemmung des Verkehrsflusses entgegenwirken?
Haltt: Ich bin ein Fan von Kreisverkehren. Wir könnten auch ein bisschen mutiger sein, was die grüne Welle angeht.
Gleising: Die Alternative ist nicht noch mehr Autoverkehr in die Stadt, sondern weniger. Ich möchte auch eine grüne Welle für Fußgänger.