Bochum. 40.000 Haushalte in Bochum gelten als arm oder leben knapp oberhalb der Armutsgrenze. „Armes Bochum“ hat die WAZ eine Themenwoche genannt, die verschiedenen Aspekte der Armut und deren Einzelschicksale beleuchtet. So sieht Sozialdezernentin Britta Anger eine Ursache in der Hartz-IV-Gesetzgebung.

Josef steht im Schatten. Deshalb braucht Josef Licht. Mit seiner kleinen, abgegriffenen Taschenlampe leuchtet der 52-Jährige am frühen Abend in die Abfallbehälter auf der Huestraße. „Schau mal“, formt sich sein fast zahnloser Mund zu einem Grinsen, „’n Brötchen. Nur angebissen. Mit lecker Salami!“

Wer offenen Auges durch die Innenstadt geht, sieht sie immer häufiger: die Männer und Frauen, die mit starrem Blick, mitunter verschämt, von Müllbox zu Müllbox hasten. Fix, mit geübtem Blick, inspizieren sie den Inhalt der Tonnen. Auf der Suche nach Pfandflaschen. Gerne auch nach Essbarem.


Oft werden sie nicht fündig. Die Konkurrenz ist groß.

Armes Bochum: Die Müll-Gucker in der Innenstadt sind nur die sichtbare Spitze eines weithin unsichtbaren Eisbergs. Jeder siebte Haushalt gilt als arm oder armutsgefährdet. So weist es der aktuelle Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes aus. Als arm gilt, wer als Single mit weniger als 869 Euro im Monat auskommen muss. Für ein Paar mit zwei Kindern liegt die Marke bei monatlich 1826 Euro. Für Bochum heißt das: Gut 40 000 Haushalte leben knapp über oder schon unterhalb der Armutsgrenze. Tendenz: steigend.

Hartz IV hat Situation verschärft

Nein, Bochum sei keinesfalls eine arme Stadt; anderen Kommunen im Ruhrgebiet gehe es noch deutlich schlechter, sagt die grüne Sozialdezernentin Britta Anger im WAZ-Gespräch. Fakt jedoch sei: „Durch die Hartz-IV-Gesetzgebung hat sich die Situation deutlich verschärft. Viele Menschen haben weniger zum Leben. Der Unterstützungsbedarf der Kommunen ist rasant gestiegen.“ Dabei durchzieht die Stadt eine imaginäre Armutslinie. In den südlichen Stadtteilen verfügen die Bürger über deutlich höhere Einkommen als im Norden. Das Gefälle ist beträchtlich: In Stiepel (53.400 Euro) haben die Bochumer fast dreimal so viel Geld wie in Hamme (19.700 Euro).

Im Rahmen einer Themenwoche wird die WAZ die Armut in Bochum bis Samstag aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Kinder, Alleinerziehende, Senioren, Wohnungslose: Sie und ihr Schicksal werden in Berichten, Reportagen und Interviews ebenso vorgestellt wie das engmaschige Netz an Hilfen und Beratung, das bedürftige Menschen nutzen können.

Josef, der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist mit seiner Taschenlampe inzwischen auf dem Boulevard unterwegs. Es ist 20 Uhr. Weitere Speisereste hat er nicht aus den Müllbehältern gefischt. Aber immerhin drei Bierflaschen. Macht 24 Cent.

Etwas Licht in tiefer Dunkelheit.

Stadt ächtzt unter steigenden Sozialausgaben

Von „Armen-Ghettos“ will Britta Anger (53) nichts wissen. Die Sozialdezernentin spricht allenfalls von „Brennpunkten“ im Norden der Stadt, in denen die Zahl der Hartz-IV-Empfänger, Migranten und Bürger mit gering entlohnten Jobs über dem Durchschnitt liegt.

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Grundsätzlich gehe es Bochum trotz des Arbeitsplatzabbaus der letzten Jahre vergleichsweise gut. „Die Arbeitslosigkeit ist nicht gestiegen. Das ist entscheidend. Viele qualifizierte Arbeitnehmer fanden eine neue Beschäftigung.“

Dass immer mehr Menschen über immer weniger Einkommen verfügen, bereitet Britta Anger gleichwohl Sorge. Die Hartz-IV-Gesetzgebung, Mini-Jobs und erbärmliche Löhne („Deshalb ist die Mindestlohn-Debatte richtig“) erkennt sie als Ursachen. Die Folgen sind im Sozialetat abzulesen. Die finanziell gebeutelte Stadt ächzt unter den Ausgaben für Sozialleistungen. Einige aktuelle Zahlen (alle mit steigender Tendenz):

  • Für die 39 000 Männer, Frauen und Kinder, die mit Hartz IV unterstützt werden, überweist die Stadt jährlich 95 Millionen Euro für Miete und Heizkosten.
  • 6000 Mieter beziehen Wohngeld.
  • 2700 Senioren mit kargen Renten kommen nur dank der monatlichen Grundsicherung von 391 Euro über die Runden (ab diesem Jahr übernimmt der Bund die Kosten von rund 21 Mio. Euro).
  • Für 1400 Senioren, die in Altenheimen gepflegt werden, übernimmt die Stadt die Heimkosten.