Bochum/Berlin. Die Ruhr-Universität Bochum nimmt die vor knapp 40 Jahren verfasste Doktorarbeit von Bundestagspräsident Lammert unter die Lupe. Ein Internet-Plagiatsjäger wirft Lammert vor, auf 42 Seiten seiner Arbeit seien Unregelmäßigkeiten zu finden. Der Bundestagspräsident äußerte sich am Dienstag zunächst nicht.

Bei den Plagiatsvorwürfen gegen Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ist nun die Wissenschaft am Zug: Die Ruhr-Universität Bochum habe bereits ein Prüfungsverfahren in Gang gesetzt, sagte eine Sprecherin der Universität am Dienstag. Ein anonymer Blogger wirft Lammert vor, auf 42 Seiten seiner Arbeit seien Unregelmäßigkeiten zu finden. Politiker aller Parteien mahnten, keine Vorverurteilungen zu treffen.

Nach Angaben der Universität Bochum hatte der Rektor am Montag einen Anruf von Lammert erhalten, der von den Vorwürfen im Zusammenhang mit seiner Dissertation berichtet und um die Prüfung gebeten habe. "Bis zu diesem Anruf hat die Uni nichts von den Vorwürfen gewusst", sagte die Sprecherin.

Unter dem Pseudonym des Plagiatsjägers der zurückgetretenen Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) wirft der anonyme Blogger "Robert Schmidt" Lammert vor, auf 42 Seiten seiner Arbeit seien Unregelmäßigkeiten zu finden. "Einen erheblichen Teil der als verwendet angegebenen Literatur hat er ganz offenbar nicht gelesen; dies wird insbesondere anhand der Übernahme zahlreicher charakteristischer Fehler aus der Sekundärliteratur deutlich", schreibt der Blogger auf der Internetseite lammertplag.wordpress.com.

Lammert will Termin am 6. August in Bochum wahrnehmen

Der Tageszeitung "Welt" schrieb der Netz-Aktivist in einer E-Mail: "An vielen Stellen der Arbeit wird eine gedankliche Eigenarbeit nur suggeriert." Lammert hatte die Dissertation mit dem Titel "Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung - Fallstudie am Beispiel eines CDU-Kreisverbandes im Ruhrgebiet" 1974 an der Ruhr-Universität Bochum eingereicht.

Der Bundestagspräsident äußerte sich am Dienstag zunächst nicht. Er werde seinen nächsten öffentlichen Termin am 6. August in Bochum bei einer Wahlkampfveranstaltung wahrnehmen, gemeinsam mit Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU), hieß es aus seinem Berliner Büro. Lammert, der auch Spitzenkandidat der nordrhein-westfälischen CDU ist, hatte am Montagabend auf Anfrage ausrichten lassen, er habe "seine Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen verfasst und sei von ihrer wissenschaftlichen Qualität überzeugt". Unmittelbar nachdem ihm die Vorwürfe bekanntwurden, habe er die Ruhr-Universität Bochum um Prüfung gebeten.

Steinbrück: "Es gilt die Unschuldsvermutung"

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, Lammert genieße seinen vollen Respekt. "Es gilt die Unschuldsvermutung. Ich warne davor, wieder in eine Kommentarlage zu verfallen, die die Reputation und Integrität des Bundestagspräsidenten beschädigen kann", sagte der SPD-Politiker. Er werde sich dafür einsetzen, dass dies unterbleibe.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, rief in der "Saarbrücker Zeitung" ebenfalls zur Zurückhaltung auf. Erst müsse der Sachverhalt geklärt werden. "Auch für Politiker gilt zunächst einmal die Unschuldsvermutung." Die Bildungsexpertin der Linksfraktion, Petra Sitte, erklärte in der "Berliner Zeitung": "Die Arbeit ist von 1974. Und es hat sich einiges geändert in der Wissenschaft. Es ist fraglich, ob die Maßstäbe von damals auch heute gelten."

Der Deutsche Hochschulverband hält ebenfalls nichts von einer Vorverurteilung. Der Vorwurf des wissenschaftlichen Fehlverhaltens solle von der Uni Bochum gemäß der hohen Standards der wissenschaftlichen Sorgfalt in einem rechtmäßigen und ordnungsgemäßen Verfahren geprüft werden, sagte ein Sprecher der "Rheinischen Post".

Plagiatsvorwürfe gegen zahlreiche Politiker

Plagiatsvorwürfe haben bereits eine ganze Reihe von Politikern zu Fall gebracht - etwa den damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Silvana Koch-Mehrin (FDP), und Schavan. Schavan klagt gegen den Entzug ihres Doktortitels.

In Nordrhein-Westfalen sieht sich derzeit außerdem Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann (SPD) mit Täuschungsvorwürfen konfrontiert. An der Technischen Universität Dortmund soll ein Verfahren zur Aberkennung seines Doktortitels eingeleitet werden.