Bochum. Herne. Wattenscheid. Der Blitzmarathon hat auch im Raum Bochum den Verkehr über weite Strecken entschleunigt. Absolute Flaute vermeldeten die Polizisten vielerorts. Doch neben den üblichen, im Rahmen liegenden Geschwindigkeitsüberschreitungen gab es auch Kuriositäten zu vermelden. Einen sehr schnellen Fußgänger etwa.

Auch in Bochum, Herne und Wattenscheid schien sich der 24-Stunden-Blitzmarathon in NRW herumgesprochen zu haben. Ob innerorts oder auf den Autobahnen, die üblichen Schnellfahrer und Drängler hatten entweder einen Tag Urlaub genommen oder unter Beweis gestellt, dass sie auch zivilisiert fahren können.

Zahlreiche Bürger hatten im Vorfeld ihre persönlichen "Wutpunkte" bei der Polizei zur Kontrolle vorschlagen können. Hier setzten die Beamten ihre Laserpistolen genauso ein wie an denjenigen Stellen, die seit jeher als Gefahrenpunkte bekannt sind. "Uns geht es nicht darum, hier viele Knöllchen zu verteilen, sondern darum, auf lange Sicht den Verkehr sicherer zu machen", erklärt Oberkommissar Thomas Hettinger von der Polizei Bochum.

Um dies zu untermauern, hieß die Devise: Geblitzt wird erst ab 11 vorwerfbaren Stundenkilometern Überschreitung. Sprich: Bei erlaubten Tempo 30 wurde erst ab 44 km/h (3 km/h Toleranz) herausgewunken.

Herne, Unser-Fritz-Straße 

Die Adresse Unser-Fritz-Straße 107 in Herne beherbergt eine Kindertagesstätte. Leiterin Gabriele Kosieskowski (46) und Elternvertreterin Tanja Marquardt (37) hatten die Stelle als "Wutpunkt" bei der Polizei gemeldet. "Hier wird gern zu schnell gefahren", sagt Kosierowski, "dabei fahren viele Kinder schon allein mit dem Rad zur Kita und müssen die Straße überqueren." Bodo Gutt (49), Polizeioberkommissar der Polizei Bochum, erklärt: "Die Straße ist abschüssig, von Tempo 50 auf 30 bremsen die Wenigsten zeitig genug ab."

Um kurz nach halb neun am Morgen, das Messgerät ist seit fünf Minuten aufgebaut, winkt die rote Kelle zum ersten Mal einen Sünder aus dem Verkehr. Ein weißer Lieferwagen, 17 km/h zu schnell, 25 Euro Verwarngeld. Der Fahrer und die so genannten "Wutpatinnen" kennen sich, grüßen sich. Dann geht es Schlag auf Schlag.

Reaktionen von Reue bis Frust

Ein silberfarbener VW Golf mit 46 km/h. Die Fahrerin zeigt sich schwer uneinsichtig, macht ihrem Unmut Luft. Zwei Minuten später argumentiert ein Kleinwagenfahrer, ebenfalls mit 46 Sachen auf dem Tachometer erwischt: "Ich bin nicht zu schnell gefahren, ich bremse hier immer erst auf 30 runter." Zahlen muss er trotzdem. Auch ein älteres Ehepaar wird angehalten - Tempo 44, 11 km/h zu schnell. Beide nehmen sich den Tempoverstoß sehr zu Herzen. "Ist doch nicht so schlimm", beschwichtigt einer der Beamten, "das passiert halt schon mal."

Insgesamt erwischt es am Morgen binnen anderthalb Stunden acht Autofahrer an der Unser-Fritz-Straße. "Mit so vielen hätte ich nicht gerechnet", sagt Bodo Gutt. Doch wird dieser Blitzmarathon nachhaltig für eine Verbesserung sorgen? Gabriele Kosieskowskis Fazit lautet: " Nach so einem Blitzmarathon bessert sich die Lage vier Wochen, dann vergessen es die Leute langsam wieder." Manche aber, weiß sie aus Erfahrung, sind aber auch von Natur aus absolut resistent.

Bochum, Baroper Straße 

Wegen der Baustelle an der Straßenbahnlinie 310 kommt der Baroper Straße eine besondere Bedeutung zu. Sie ist die einzige Verbindungslinie zwischen Bochum und Witten. Das Beamten-Team um Polizeihauptkommissar Thomas Hettinger steht um 10.30 Uhr kurz vor der Auffahrt zur A44. "Hier hat es in der Vergangenheit sehr häufig geknallt", beschreibt er das Gefahrenpotenzial, "weil es hier viele Stopp-Schilder gibt, die gerne überfahren werden." Um die verlorene Zeit durch die Baustelle wieder reinzuholen, so Hettinger weiter, seien Autofahrer hier gern schneller unterwegs. Doch es gilt Tempo 50.

An vier Stationen haben Hettinger und seine Mannschaft an diesem Morgen schon gemessen - seit 6 Uhr. "Kein einziges Auto war zu schnell", schildert er. "Das waren allesamt von Bürgern vorgeschlagene Straßen, teils Wohngebiete, ohne regen Verkehr." Die Wahrnehmung der Anwohner unterscheide sich eben häufig von den tatsächlichen Gegebenheiten, führt der Polizist aus, aber ernst nehmen müsse man die Hinweise alle.

40-Tonner rauscht an Kontrolle vorbei

Der erste Treffer des Tages lässt nicht lange auf sich warten: Ein Audi-Fahrer aus Köln, 64 km/h schnell. Er nimmt den Zwischenfall gelassen, fragt sich aber dennoch, wie sich sein Verwarngeld zusammensetzt. "Ich nehme die Verwarnung an, keine Frage, aber ich wüsste schon ganz gerne, wie diese Summe zustande kommt", erkundigt er sich. Eine Polizistin erklärt ihm, dass er außerorts 11 km/h zu schnell gewesen sei - macht 20 Euro.

Es folgen innerhalb von 20 Minuten ein Fahrer mit EN-Kennzeichen (71 km/h), einer aus Herne (68 km/h) und aus Hamm (70 km/h). Dann rauscht ein niederländischer Lastwagen heran - der Lasermesser zeigt 75 km/h an. Ein Beamter hebt seine Kelle einen Moment zu spät, der 40-Tonner donnert vorbei, obwohl der Fahrer sein Vergehen wie auch den Stoppversuch der Polizisten offenbar mitbekommen hat. Verwirrung bei den Polizisten - der LKW biegt links ab und verschwindet auf der A44.

In der Zwischenzeit fließt der Verkehr langsam und träge vorbei. Auffällig dabei ist, dass viele Autofahrer den Gegenverkehr mit der Lichthupe warnen. "Eigentlich verboten", bemerkt Thomas Hettinger, "kostet fünf Euro." In seiner langen Polizeikarriere hat er ein Auge dafür bekommen, welche Art von Fahrzeugen dazu neigen, zu schnell zu fahren: "Handwerker mit Lieferwagen, Paketboten und Pflegedienste sind meist zügig unterwegs", nennt er einige Beispiele. Es sind Berufsstände, die stets unter Zeitdruck stehen.

Bochum, Zentrum 

In der Bochumer Innenstadt passiert so gut wie nichts. Keinerlei Geschwindigkeitsüberschreitungen sind im Bereich des Zentrums zu verzeichnen. Und weil nichts passiert, haben die Beamten die Augen für anderweitige Delikte geöffnet.

Zum Beispiel für den schnellsten Fußgänger des Tages, den Beamte der Bochumer Polizei am späten Vormittag im Bereich der Drehscheibe dabei beobachten, wie er mit einem großen Rucksack beladen ein Geschäft verlässt. Der Mann ist ein alter Bekannter der Ordnungshüter, und die beschließen, den Rucksack zu untersuchen.

Nach einem kurzen Fluchtversuch können ihn die Polizisten am Nordring stellen und das Gepäckstück in Augenschein nehmen. Darin befinden sich zehn Pakete Kaffee, gestohlen in der Drehscheibe. Der Mann, den die Polizei zur Drogenszene zählt, hat den Kaffee vermutlich gestohlen, um ihn gegen Bargeld oder Betäubungsmittel einzutauschen.

Wattenscheid-Leithe, Krayer Straße 

Die Krayer Straße in Wattenscheid-Leithe ist nahezu schnurgerade. Auf Wattenscheider Gebiet im Bereich der Ortseinfahrt gilt Tempo 50, auf Gelsenkirchener Gebiet, wo kaum Wohnbebauung vorhanden ist, Tempo 30. Die "Wutpatinnen" Heike Spitzer (48) und Kornelia Kopp (51), beide Anwohnerinnen, haben die Straße als Kontrollpunkt vorgeschlagen.

Beide wundern sich vor Ort, dass für die Dauer der Messungen, immerhin anderthalb Stunden, kein einziges Auto zu schnell unterwegs ist. Heike Spitzer nennt ihre Gründe für die Nominierung der Krayer Straße: "Am Abend mutiert sie zu einer Rennstrecke für junge Leute. Die rasen hier aus Jux und Dollerei rauf und runter, zum Teil auch nebeneinander, um zu sehen, wer schneller ist." Seit Jahren bemühen sie sich um eine Verbesserung der Situation vor Ort: "Wir haben schon vorgeschlagen, eine Fußgängerampel zu installieren", sagt Spitzer, "aber das geht nicht, warum auch immer." Auch eine Tempo-30-Zone hatte sie vorgeschlagen. "Das scheint aber nur auf Gelsenkirchener Stadtgebiet zu klappen", sgat sie kopfschüttelnd und deutet die Straße hinunter, wo nach wenigen hundert Metern die 30er-Zone beginnt.

Anderweitige Kontrollen auf einem Aldi-Parkplatz

Der Grund, warum niemand an diesem Nachmittag in die Falle tappt, ist allerdings leicht auszumachen. Die Beamten stehen in ihren neongelben Leibchen an einer exponierten Stelle, die von beiden Seiten gut einsehbar ist. Darüber hinaus befindet sich dort die Einfahrt zu einem Aldi-Markt, die stark frequentiert ist. Allein durch diese Tatsache wird der fließende Verkehr stark abgebremst.

Die Beamten konzentrieren sich darauf, auf dem Parkplatz nach dem Rechten zu sehen. Kindersitzkontrolle und andere Routineuntersuchungen führen sie durch. "Irgendwie müssen wir uns ja beschäftigen", sagt einer der Beamten. Ein Lieferwagenfahrer geht ihnen schließlich ins Netz - er ist nicht angeschnallt. Begeistert ist er von der Kontrollaktion nicht. "Ich bin Kurierfahrer und musste nur ein kurzes Stück zwischen zwei Häusern fahren", begründet er. Das dürfte er sogar, wie es eben Postboten auch dürfen - aber dann nur mit Schrittgeschwindigkeit. Er lag deutlich drüber.