Bochum. Seit 48 Jahren leben sie zusammen. Halten zusammen in guten wie in schlechten Zeiten. Am Montag gaben sich zwei Bochumer vor dem Standesamt das Wort.
Der Ringtausch ist holprig. „Das Wetter“, entschuldigt der Bräutigam seine geschwollenen Finger. Der Kuss im Trauzimmer fällt umso inniger aus. Verliebte Blicke, sanftes Streicheln, zwei überzeugende „Ja!“-Worte: Rolf Kardinahl und Siegfried Eschelbach sind seit Montag, 12.30 Uhr, auch gesetzlich ein Paar. Nach 48 Jahren. In guten wie in schlechten Zeiten.
Deutschland im Jahr 1964. „Gleichgeschlechtliche Betätigung“ verstößt noch gegen das Sittengesetz, als sich zwei junge Männer in Bochum kennen und lieben lernen. Siegfried (16) lernt Reiseverkehrskaufmann in Stuttgart. Rolf (18) ist Versicherungskaufmann in Bochum. Die Fernbeziehung funktioniert. Nach vier Jahren zieht Siegfried mit seinem Partner an der Vormholzstraße in Querenburg zusammen.
Dort sind beide bis heute zuhause. „Als Homosexuelle haben wir gerade in den ersten Jahren manche Anfeindungen erfahren. Es gab aber nie einen Zweifel: Siegfried ist mein Mann. Ich habe immer zu ihm gehalten. Er ist die Liebe meines Lebens“, schwärmt Rolf Kardinahl und grient wie ein frisch verknallter Schuljunge.
Nicht verstecken, nicht wegducken, die Beziehung offen leben: Das war und ist die Maxime, die Rolf Kardinahl auch zu seinem ehrenamtlichen Engagement brachte. Seit mehr als 30 Jahren unterstützt er die Aids-Hilfe Bochum, leistet menschliche Hilfe, stemmt sich gegen die gesellschaftliche Ächtung von Aids. „Früher starben viele Schwule einsam und verlassen. Das darf nie wieder passieren.“
Pflegefall nach sieben Schlaganfällen
Zum Kämpfer wurde der heute 66-Jährige auch daheim. Vor 15 Jahren erlitt Siegfried Eschelbach seinen ersten Schlaganfall. Sechs weitere folgten. Der 64-Jährige ist ein Pflegefall, sitzt im Rollstuhl, bedarf der Betreuung rund um die Uhr. „Ein ambulanter Pflegedienst oder gar ein Heim kommen für uns nicht in Frage. Ich bin immer für meinen Schatz da“, sagt Rolf Kardinahl.
Vor einem dreiviertel Jahr wurde Siegfried erneut von einem Schlaganfall heimgesucht. Tapfer lächelt er über seine lebensbedrohliche Erkrankung und die Schmerzen hinweg. Für Rolf stand fest: Es ist soweit. Wenn nicht jetzt, wann dann soll ein lang gehegter Plan verwirklicht werden? Lasst die Hochzeitsglocken klingen!
Zu allererst ist es ein später, wenngleich nicht zu später Liebesbeweis. Es geht aber auch um praktische Dinge. „Ich kann mich als eingetragener Partner besser um seine Angelegenheiten kümmern. Auch seine Ärzte dürfen mir Auskunft geben. Das war bisher nicht möglich“, erklärt Rolf Kardinahl.
Die Zeremonie im Standesamt ist schlicht und doch voller Würde. Die Ehemänner in spe haben sich in Schale geschmissen. Strass-Herzen prangen am Sakko. Eines rot, eines silberfarben. Drei Freunde sind gekommen. Regina Krause, mit der Siegfried einst das lange Krankenzimmer teilte, ist Trauzeugin. Kai Buyting, der dem Paar nicht nur als Anwalt zur Seite steht, gibt den Trauzeugen. Aufstehen kann Siegfried leider nicht. Doch er strahlt wie die Sonne, die durchs Fenster scheint, als sich Rolf zum Kuss herunterbeugt. Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft nennt der Gesetzgeber das, was hier soeben besiegelt wird. Rolf kann dem Bürokratensprech nichts abgewinnen. „Quatsch. Wir sind verheiratet!“
Nach knapp einem halben Jahrhundert schreitet das Paar mit Urkunde stolz durch das Rathausportal. Beim Hochzeitskaffeetrinken nehmen sie mit einem Bäckerei-Cafè Vorlieb. Die Hochzeitsreise fällt aus: „Siegfried würde so gerne nach Sylt fahren. Aber das ist gesundheitlich leider nicht drin.“
Das Glück ist gleichwohl greifbar – und wird ganz sicher halten. Bis dass der Tod sie scheidet.